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Linn Schiffmann | Wohnzimmer Cafebar, Dortmund

Foto: Alain Barbero | Text: Linn Schiffmann

 

Der fremde Gast

Er zog ein, als die Hühner nur noch drei Wochen zu leben hatten. Wir sahen uns zum ersten Mal und obwohl er von sich erzählte und dabei lachte, mochte ich ihn nicht. „Ich finde ihn nett“, sagte meine Freundin, nachdem sie mit ihm fünf Sätze gewechselt hatte.
Der Hund konnte ihn schon leiden. Glaube ich zumindest. Vielleicht sollte ich aber nicht zu viel im Namen meines Tieres sagen. Womöglich hat der Hund nur feinere Manieren als ich. Schließlich ist er keine Katze. 

Die letzte Lebenswoche der Hühner brach an. Ich hoffte, dass es auch die letzte Woche des Gastes bei uns sei.
Was an ihm mich so irritierte, vermochte ich nur unscharf zu erfassen. Wir sprachen die gleiche Sprache. Aber meinten unsere Wortkombinationen auch dasselbe? Ich merkte, dass er zwar Fragen stellte, aber die Antworten nicht wahrnahm. 

Als er ging, hatten die Hühner noch fünf Tage zu leben.
Er drückte mich und dankte mir. Ich wartete vor dem Haus, bis er auf seinem Fahrrad nicht mehr zu sehen war. Erleichterung breitete sich aus.

Erst als die Hühner zur Suppe geworden waren, fiel mir auf, dass er nie den Garten betreten hatte.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Linn Schiffmann: Durch Lesen und Schreiben habe ich die Möglichkeit, mich aus Raum und Gegenwart zu lösen. Ich kann mich aber auch in die Literatur hinein graben und darin ein neues Tunnelsystem schaffen, das mir dabei hilft, uns Menschen zu verstehen. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
LS: Idealerweise ist ein Café für mich ein Ort, wo die Gespräche freier fließen können. Ein Ort, der genügend Sogkraft hat, um uns für ein paar Stunden auf den Polstern zu halten und uns zugleich die Freiheit gibt ohne Angst unsere Gedanken zu teilen.

Warum hast du Wohnzimmer Cafebar ausgewählt?
LS: Mit dem Wohnzimmer verbinde ich ein paar schöne Erinnerungen an meine Teenagerzeit und mit meiner damaligen Freundin, mit der ich mich öfters im Wohnzimmer getroffen habe. Seitdem hat das Wohnzimmer sich etwas verändert. Aber ich finde, dass es immer noch ein Café mit Charme ist. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
LS: Ich verbringe viel Zeit vor der Tastatur. Gerade arbeite ich an drei Manuskripten. Ab und zu kommen auch Bestellungen für Origami Kraniche rein und ich verbringe einen Vormittag mit Papier falten. Seit Anfang 2021 produziere ich außerdem meinen Podcast WORTWISCHER über Literatur und Literaturbetrieb. Dafür bin ich immer auf der Suche nach interessanten Autor*innen und Verlagen aus dem Ruhrgebiet.

 

BIO

Linn Schiffmann, geboren am Freitag, den 13. Juli 1990 in Dortmund, schreibt Prosa und manchmal auch Lyrik, sie faltet Kunst aus Papier und kreiert, was ihr sonst noch so gefällt.
Seit 2020 ist Linn Mitglied beim LiteraturRaumDortmundRuhr und seit 2021 veröffentlicht sie monatlich eine Folge des WORTWISCHERs, Podcast über Literatur und Literaturbetrieb mit Fokus Ruhrgebiet.
www.linnschiffmann.de
@linnschiffmann auf Instagram & TikTok
@wortwischer_podcast auf Instagram

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Daniela Gerlach, Café Strickmann, Café, Kaffeehaus, Dortmund

Daniela Gerlach | Café Strickmann, Dortmund

Foto: Alain Barbero | Text: Daniela Gerlach

 

Papierweiß auf dem Glastisch, immer noch der grüne Untergrund. Tief grün so wie die Vergangenheit riecht, urgründlich. Frau W. stellt eine Tasse Kaffee darauf. Ein kurzer Blick, darin das Wissen der letzten 30 Jahre an diesem Ort. Erkennt sie mich?
Sie weiß etwas von mir, von dem ich nichts weiß.
Papierweiß. Ich schreibe nicht. Sie sieht auch das.
Der Kuchen in diesem Café tröstet über das Erfahrene und Überstandene hinweg, über das schlimme und schöne Erlebte, das Verlorene, in der Erinnerung aufbewahrt. Hier ist alles Sehnsucht. Ich frage überflüssigerweise: Wonach nur? In mir verborgen, jederzeit aus dem grünen Urgrund der Tische zu holen.
Ein Moment. Ein Ort, wo ich. Bin.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Daniela Gerlach: Sie ist von existentieller Bedeutung, eine Notwendigkeit. Ohne Literatur ist der Mensch nur ein halber. Und ich natürlich auch. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
DG: Sie spiegeln das Spezifische eines Ortes, z.B. einer Stadt, wider. Darin tauche ich gerne ein. Es ist wie durch eine Wand zu gehen und dahinter zu schauen. Ich kann auf einmal mittendrin sein, meine Schlüsse ziehen oder überlegen, wie ich mich fühle.

Warum hast du das Café Strickmann ausgewählt?
DG: Weil ich zur Melancholie neige und sentimental bin. Das Strickmann erinnert an die Kaffeehaus-Kultur von einst, an etwas, von dem ich glaube, dass es verloren geht, das ist schmerzlich. Hier wird etwas Altes bewahrt und in unsere Zeit gereicht. Ein Geschenk. Außerdem ist der Kuchen gut und die Bedienung sehr freundlich.
Ich war schon als Kind hier. Diese Verbindung von der kleinen Daniela zu der Frau, die ich jetzt bin, das lässt mich sentimental werden.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
DG: Ich schau mich draußen um und hetze manchmal durchs Leben.

 

BIO

Daniela Gerlach wurde in Dortmund geboren. Lebt seit 1997 in Spanien, wo sie den Kultur-Salon la ñ betreibt. Pendelt zwischen Spanien und Ruhrgebiet. Verbandelt mit dem LiteraturRaumDortmundRuhr.
„Revierkönige“ (Roman); „Was das Meer nicht will“ (Roman, Stories&Friends).