Katharina Godler | Lendhafencafe LC, Klagenfurt

Foto: Alain Barbero | Text: Katharina Godler

 

Kondensat

Gestern ein Finden
von Gerüchen

Ein Luftzug in das
Café hinein
wie Melissensaft
und Zitrone

Diese Kommoden
die Geschichten
erzählen | mürbe
Wie ein Flieder

Pfeifentabak und
Mokkatassen
auf deinem Stammtisch
bleiben zurück

Kastanien fallen
im Lendhafen
zu Boden | knacken
feucht und nussig

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Katharina Godler: Im Moment sein.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
KG: Orte, an denen ich rund um die Uhr den Geruch von frisch gemahlenem Kaffee einatme. Ich kann diesen Geruch sogar in den Rucksack packen und mit nach Hause nehmen.
Also eine große Bedeutung!

Wo fühlst du dich zu Hause?
KG: Zwischen einem Birkenblatt im Herbst und lieben Freund:innen.

 

BIO

Katharina Godler wurde 1991 in Wien geboren und lebt heute in Klagenfurt. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik.
2015 bis 2019 forschte sie an der Akademie der Wissenschaften und im Kärntner Literaturarchiv der Universität Klagenfurt zu Ilse Aichinger, Thomas Bernhard, Josef Winkler und Robert Musil.
Heute ist sie als Autorin, Lektorin und Journalistin für Hörfunk und Magazine tätig. Literarische Publikationen in den österreichischen Literaturzeitschriften Die Rampe und manuskripte und in der Tageszeitung Die Presse.

Felix Kucher | Theatercafe Cho-Cho-San, Klagenfurt

Foto: Alain Barbero | Text: Felix Kucher

 

Wieder ist es zwei Uhr früh, wieder sind wir die letzten Thekensteher und meditieren unsere leeren Biergläser. Nur Joe tut noch immer so, als läse er die FAZ, die vor ihm auf der Theke liegt. Karl hat mich gerade gebeten, mir einen beliebig großen Teil der Bevölkerung Klagenfurts auszudenken. Nach dem dritten Bier kommt bei ihm der ehemalige Lehrer raus. Die Stadt hat etwa hunderttausend Einwohner.
„Und es ist völlig egal, wie groß“, frage ich. „Von eins bis neunundneunzigtausend.“
Georg rechts neben mir brummseufzt.
„Völlig egal“, sagt Karl. „Vroni, noch eine Runde.“
„Die ganze Bevölkerung sind hundert Prozent, logisch“, sagt Karl überflüssigerweise.
„Habe mir eine Zahl ausgedacht“, sage ich.

Karl hebt den Zeigefinger. „Nicht sagen. Pass auf: Ich verschicke an deine Auserwählten jetzt Briefe, in denen sich eine weiße Postkarte befindet. Alle anderen bekommen eine schwarze.“
Ich sollte nachhause gehen. Jetzt.
„Ich frage dich jetzt: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass du als Bewohner dieser Stadt bei der größeren Gruppe dabei bist?“
Er schaut abwechselnd zu Georg und mir. Ich stelle mir Menschen vor, die leere weiße und schwarze Karten bekommen, auf denen nichts steht.
„Wie soll man wissen,  ob man bei der größeren dabei ist oder bei der kleineren?“, frage ich. „Wenn ich mir mehr als fünfzig Prozent ausdenke, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich beim größeren Teil dabei bin, natürlich größer.“
Die neuen Biere sind da. Wir trinken.
„Ja, das denke ich auch. Es sind ja mehr“, steuert Joe bei.
„Die Frage ist, warum“, sagt Karl.
„Na, weil’s mehr sind. Ach, Karl, es ist verdammt spät.“
„Nein“, sagt Karl. „Die Wahrscheinlichkeit ist größer, weil du dabei bist. Ob du’s glaubst oder nicht: Die erwartete Größe einer Gruppe verändert sich abhängig davon, ob du Mitglied bist.“
Ich blicke auf die Gläser im Regal hinter der Theke. Ich will nirgendwo Mitglied sein.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Felix Kucher: Alles. Aufputschen, beruhigen, Trost spenden, Wut schüren, Mitgefühl erzeugen (phobos kai eleos!) reinigen, beschmutzen, versöhnen, entzweien, aufheitern, betrüben, einschläfern, aufwecken. Ad infinitum.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
FK: So viele verschiedene: Es gibt Cafés wie das Theatercafé in Klagenfurt, wo man an einem Nachmittag unter der Woche der einzige Gast ist. Aus den Lautsprechern schmettert Alfredo Kraus Di quella pira, man versteckt sich vor niemandem hinter einer Großformatzeitung oder sieht einfach nur aus dem Fenster, vorbei an den uralten Sansevierien, die wie Lanzenspitzen die Außenwelt abwehren.
Und es gibt Cafés wie das Jelinek, wo ich mich mit meinem alten Freund Edi zwischen voll besetzten Tischen auf ein Bier und ein Schinkenbrot treffe, wir sofort in das Gespräch des Nebentisches involviert sind und viel später als geplant die Otto-Bauer-Gasse hinaufwanken.

Wo fühlst du dich zu Hause?
FK: Überall, wo ich Freunde und Bekannte habe und treffe.

 

BIO

Geboren am 23. 10. 1965 in Klagenfurt, Kärnten. Studium der Klassischen Philologie, Theologie und Philosophie in Graz, Bologna und Klagenfurt. Arbeitet bei der Bildungsdirektion für Kärnten. Lebt in Klagenfurt und Wien.
Publikationen: Malcontenta. Roman, 2016. Kamnik. Roman, 2018. Sie haben mich nicht gekriegt. Roman, 2021. Vegetarianer. Roman, 2022. (alle: Picus Verlag, Wien). Daneben zahlreiche Beiträge (Kurzgeschichten, Lyrik) in Anthologien und für den ORF (Ö1). Zuletzt: Schnitt (Kurzgeschichte), gesendet auf Ö1 in „Radiogeschichten“ am 29.05.2022.