Schlagwortarchiv für: Restaurant

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Patrizia Murari, Les Formigues, Dénia

Patrizia Murari | Les Formigues, Dénia

Foto: Alain Barbero | Text: Patrizia Murari | Übersetzung (aus dem Spanischen): Daniela Gerlach

 

Zeiten des Sommers

Es ist nicht Mittag und es ist nicht Mitternacht, es ist irgendeine Stunde und ein viertel.
Ein Glockenschlag, zweimal Miauen der Straßenkatzen und dann Stille.
Es ist keine Heldenstunde, um sich zu einem Abenteuer aufzuschwingen, es überwältigt die Stille, wo der Durchflug einer Wespe oder das Kreisen einer Fliege wie klingendes Metall einen Festzug begleiten.
Festzug Materie gewordener Träume und Traumbilder, Lichter und Schatten, die den Raum erweitern und zusammenziehen.
Zeit der Marionetten ohne Marionettenspieler, des Theaters ohne Schauspieler, des Tanzes ohne Musik, der Spiegelbilder ohne Spiegel.
Es sind Zeiten des Sommers, Zeiten des Wassers und des Feuers.
Ich denke nach ohne zu denken. 

 

Original (Spanisch)

 

TIEMPOS DE VERANO

No es mediodía y no es medianoche, es una hora cualquiera más un cuarto.
Un latido de campana, dos maullidos de gatos callejeros y después el silencio.
No es una hora épica para emprender aventuras, abruma el silencio donde el pasaje de una avispa o el rodar de una mosca resuenan como metales acompañando un desfile.
Desfile de sueños e imaginarios echos materia, luces y sombras que dilatan y contraen el espacio.
Tiempo de títeres sin titerero, de teatro sin actores, de baile sin música, de reflejos sin espejo.
Son tiempos de verano, tiempos de agua y fuego.
Reflexiono sin pensar.

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Patrizia Murari: Sie bedeutet buchstäblich die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft leben.

Welche Bedeutung haben Bars für dich?
PM: Zusammentreffen, Auseinandergehen, Völlerei, Schaufenster, Pause, Zurschaustellung, Fluchtort …, Toiletten für Frauen und Männer.

Warum hast du die Bar Formigues ausgewählt?
PM: Es ist eine typische Bar des Viertels, ohne ästhetische Ansprüche. Ein Ort mit viel „theatralischem Material“ und seinen aktuellen Figuren, … erschwingliche Preise. 

Was machst du, wenn du nicht in Bars bist?
PM: Alles andere: ich esse schlafe telefoniere schreibe restauriere reinige denke lese schaue untersuche und schlafe wieder.

 

BIO

Italienerin aus Padua, studierte Bühnenbildnerin der Academia de Venecia. Seit 1998 in Spanien. Ich habe tausend Jobs gemacht, von der Geschäftsfrau bis zur audiovisuellen Produzentin, von der Raumgestalterin zur Tellerwäscherin, von der Frau und Stiefmutter zur Altenpflegerin, von der Köchin zum Theater. Heute, mit 66 Jahren, kultiviere ich die Kreativität und das Handwerkliche, … das verbessert die körperliche und geistige Gesundheit …, hat mir der Arzt geraten!   

Philippe Baudry | Aux Sportifs, Vanves

Foto: Alain Barbero | Text: Philippe Baudry | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Unendliche Veralterung, die Langeweile räkelt ihre Ausschweifungen, Belieben des Wartens im exakten Mittelpunkt der Seele. Der Bierdeckel saugt das Elixir zuerst auf und sabbert dann den Überschuss auf den Lack, klebrige Gerstensaftringe in der perlmuttenen Dunkelheit.

Eindringender Nebel, bitteres Gift der Adern der Sorglosigkeit. Nichts hervorbringen, Unendlichkeit, getarnte Effizienz der Trägheit. Göttliches Geheimnis unserer Seelen, die das Absolute des unvermeidlichen Anderen suchen, hervorquillt langsam die erhabene Melancholie des bitteren Sehnens.

Instabiles Gleichgewicht der Seele, stummer Star, Lebenskäfig, ich strebe nach dem anderen. Blauer Himmel zerzaust von lachenden Wolken, keinerlei Talent für die Gewissheit, Notwendigkeit zu leben. So viele Idioten um uns… jemand werden. Also gut: sein genügt nicht?

Auflachen, provokant, gurrend vor Präsenz. Stück eines Theaters, einfach, des Lebens.
Schulterstoß: Luftzug der schlagenden Tür, geölte Scharniere, Gelächter, Klappern von Geschirr, das Café wird voller, kleine Tische. Menschensittiche übertreiben es mit dem existenziellen Getöse.
Batman, der Lakritz-Minz-Kater, wackelt mit einem buschigen Schwanz zwischen Stuhlsprossen und Füßen.
Ich ertrinke in menschlicher Trägheit, benommen von Glück…

 


Interview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Philippe Baudry: Verblüfft, alle, durchqueren wir die Logik des Absurden unserer Leben; schreiben dient daher dazu:
– den alchimistischen Kreis aufzulösen
– den Reichtum unserer Sprache zu genießen, sie bis an die Grenzen eines subtilen und poetischen Verständnisses zu strapazieren; eine kleine innere Musik der Seele. Indem wir die Wörter hinunterstürzen, suchen wir ihr verschüttetes Geheimnis.
– in Resonanz mit dem Universellen zu treten und, befreit, sich selbst zu finden und sich den anderen zu öffnen

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
PB: Kaffeehäuser, gemeinschaftliche Orte, an denen man in eremitischer Einsamkeit leben kann, mit den anderen, dem Außer-sich. Sich vergessen, von der langweiligen Beständigkeit seines Seins abweichen, Niemandsland des Wartens.

Warum hast du „Aux Sportifs“ gewählt?
PB: Pariser Großstadtkind aus der Banlieue in rauen Mengen… sich in einer echten, normal gebliebenen Café-Brasserie, wie es sie bald nicht mehr geben wird, unters Volk mischen:
Zwei Schwestern schaffen eine erstaunliche Vorstadt-Symphonie; Martha am Klavier (… am Ofen), Germaine, Kammer- und Wirtsstuben-Sängerin, eine Bianca Castafiore mit kristallenem Lachen. In Sachen Schlagfertigkeit würde ein Michel Audiard neben ihr wie ein Ministrant dastehen. Thomas, der Neffe, sucht vergeblich nach einem noch so kleinen Platz für Männer, während Lélé (Eleonora), einer Lithographie von Toulouse Lautrec entsprungen, mit leichter Hand für beeindruckende Effizienz sorgt.
Von dieser gutbürgerlichen Küche mit ihren überquellende Speisefolgen hätte ein Chirac hier alles verschlungen, eingehüllt ins anschwellende Getöse. Die Zeit vergeht… die große Szene des dritten Akts kippt in Hysterie, eine surrealistische Kakophonie.
Oft allein an meinem Tischchen, gelingt es mir, dort zu lesen, zum fünfzehnten Mal dieselbe Zeile, manchmal im Nahkampf mit Lélé… damit sie mir die Holztafel mit dem Tagesmenü, die mir als Lesezeichen dient, nicht wegnimmt… Jetzt reichts aber, die Tafel ist nicht dafür da!… Batman, der Lakritz-Minz-Kater, hat etwas zugenommen. Weltgewandt und ungezwungen holt er sich flüchtige angedeutete Streicheleinheiten ab. Nach so langer Zeit immer noch an ihrem Platz, hält die Matte des alten, hinkenden, längst toten Hundes die Anwesenheit und das Verschwinden der Erinnerung an früher fest…

Was machst du, wenn du nicht in einem Café anzutreffen bist?
PB: Geschichte, Schreiben, Tai Chi und Daito Ryo, Neo-Genealogie, Aquarell, Irrungen der Seele und andere spirituelle Exegesen

 

BIO

Philippe Baudry, geboren am 11. Januar 1953, Magister der Geographie, später Doktorand, hat sich zuerst in Richtung Graphik orientiert, eher er, spät, zu schreiben begann. Seine Feder versucht die Idee der Geographie selbst in ihrem lebendigsten Sinn zu rehabilitieren, an eine körperliche Sprache des Materials „Natur“ anzuknüpfen, den universalistischen Geist der Gelehrtenrepublik wiederzufinden.
Publikation: „Du côté d’Oléron…“ : Edition LOCAL Mai 2020