Matthieu Garrigou-Lagrange | L’Estampe, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Matthieu Garrigou-Lagrange Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Ich hatte einen kleinen Text über das Café l‘Estampe verfasst. Ich hatte ihn in den Tiefen eines Sofas geschrieben. Es war ein angenehmer Moment, denn ich nahm mir alle Zeit, die notwendig war, um die Worte zu wählen, die diesen Ort, den ich gern mag, beschreiben. Ich unterhielt mich mit mir selbst, das heißt auf eine eher dekonstruierte Art und Weise. Ich erzählte mir von dem sehr großen Schaufenster, das eine Membran zwischen der Straße und dem Inneren des Cafés ist. Dieser Ort, von seiner großen Seitenscheibe aus gesehen, lässt an ein Aquarium denken, denn das Innere ist blau-grün gestrichen, die Farbe des Wassers und der Algen. Wenn ich daran vorbeigehe, kann ich es nicht vermeiden, zu beobachten, was die Leute dort drin machen, als wären sie Fische.
Ich träumte auch so vor mich hin, über den Park der Buttes-Chaumont, der sich ganz in das Dekor einfügt; er ist der große Nachbar des l‘Estampe, ein vollständiger Bestandteil. 
Aber ich habe diesen kleinen Text verloren, unmöglich ihn wiederzufinden. Kein Wunder, meiner Meinung nach. Ideen dieser Art verschwinden, sie sind zu leicht, um an ihrem Platz zu bleiben. Das ist es, was in Cafés passiert, das Auftauchen und Verschwinden von Ideen, von denen die meisten davonfliegen, aber dennoch etwas übrig bleibt.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Matthieu Garrigou-Lagrange: Literatur ermöglicht es, sich in andere hineinzuversetzen, vom Inneren heraus Figuren zu verfolgen und dadurch immer wieder die Erfahrung zu machen, dass andere nicht so denken wie wir. Jeder lebt in einem Universum, das etwas anders ist, als das seines Nachbarn. Sich das immer wieder vor Augen zu führen, bringt uns einander näher.

Wie wichtig sind Cafés für dich?
MGL: Cafés gehören für mich zu den Hochburgen der Zivilisation. Sie sind der Ort, wo man die wichtigsten Dinge tut: diskutieren, sich annähern, nachdenken. Sie sind die Plätze, wo sich selbst die Einzelgänger zusammenfinden.

Wo fühlst du dich zu Hause?
MGL: Überall, wo der Horizont offen ist. Das kann ein Appartement mit großen Fenstern sein, die Café-Terrasse mit Aussicht, ein Ufer an der Küste Lissabons. Aber es kann auch ein Wald sein, wo man ihn zwar nicht sieht, die Präsenz des Horizonts aber überall spüren kann.

 

BIO

Matthieu Garrigou-Lagrange ist Autor, Produzent und Journalist, er lebt in Paris und Lissabon. Er produziert und moderiert „Salle des archives“ für France Culture. Davor präsentierte er zahlreiche Sendungen: Une vie, une œuvre, La Compagnie des auteurs/ des œuvres, Sans oser le demander, Géographie à la carte. Zuletzt erschienener Roman: Le Brutaliste (L‘Olivier)