Volkmar Mühleis | Forcado Pastelaria, Brüssel

Foto: Alain Barbero | Text: Volkmar Mühleis

 

Das Forcado ist für mich ein Buch der Ruhe – man betritt den Raum, wird von feinster Patisserie begrüßt, dem freundlichen Lächeln der lebenslustigen Damen hinter der Theke, versucht sich am weichen Klang der portugiesischen Aussprache, um die eigene Wahl anzudeuten, bestellt ein Getränk dazu, je nach Tageszeit Kaffee oder Porto, und geht danach in den tiefen, hellen Bauch des Cafés, um gemütlich Platz zu nehmen. Es ist kein altes Café, kein betont modernes, es läuft keine Musik, nur die Stille der Gespräche und Lektüren erfüllt die Atmosphäre (ein Blick aufs Smartphone inbegriffen, Laptops jedoch sind verpönt). Er kam und setzte sich vor die Kaffeetasse / sprach langsam mit ernster Stimme / so liebenswert und wild wie einer der / den Schlüssel seiner Tage in den Worten fand – Gastão Cruz. So höre ich in mich hinein, beim Lesen dieser Worte, bedanke mich für Kaffee und Gebäck, welche mir die Frau auf einem weißen Tablett reicht. Ein älteres Paar sitzt am Tisch gegenüber, schweigt, er schaut aus dem Fenster, sie blättert in einer Zeitschrift, dann zeigt sie ihm eine Stelle und er nickt, mit verschmitzten Augen. Vorne an der Theke hat sich eine Schlange gebildet, immer wieder strömen Touristen vom nahegelegenen Horta Museum herein. Ich sitze gut gepolstert im Bauch des Cafés, blättere in meinem Buch, lass Seiten und Zeit an mir vorüberstreifen, geschäftige Passanten und Straßenbummler. Mich weckt / das Geräusch eines Vogels. / Vielleicht ist es der Abend / der fliegen will – Beginn eines Gedichts von Eugénio de Andrade, und wie schnell auch die Zeit vergeht, die beiden Gastgeberinnen haben Zeit, stellen irgendwann diskret die ersten Stühle hoch, aber bleiben Sie ruhig sitzen, so eilig ist es nicht. Sie selbst scheinen es zu genießen, einen Gast zu sehen, der sich Zeit lässt. Also doch noch einen Porto nach dem Kaffee? Claro!

 


Kurzinterview mit dem Autor

Cafés: Orte der sozialen Interaktion oder des reinen Konsums?
Volkmar Mühleis:  Nichts schöner, als im Café mit lieben Leuten zu reden, gemeinsam das Geschehen zu genießen, zu lesen, aus dem Fenster zu schauen. In der Brasserie Verschueren in Brüssel lernte ich den Dichter Rashid kennen, wir haben uns nie unsere Nachnamen gesagt, seit einigen Jahren scheint er weitergezogen – ein feinsinniger, weltgewandter Mann, mit einer großen Sehnsucht im Blick (ihm habe ich einen Abschnitt in meinem Brüsseler Tagebuch gewidmet, das 2022 erschienen ist). Allein mit einem Buch wiederum sind die Stunden im Café auf andere Art ein Genuss – intim, inmitten anderer, mit den eigenen Gedanken auf Reise…

Du bist Autor und Musiker. Wie gehen diese beiden künstlerischen Ausdrucksformen bei dir zusammen?
VM: Das Schreiben bildet den roten Faden durch all meine Tätigkeiten – ich schreibe Gedichte, Geschichten, Lieder, komponiere Musik, arbeite an philosophischen Texten. Tag und Zeitpunkt bestimmen den Rhythmus zwischen alledem. Dichtung braucht ein gutes Gehör für Worte, Philosophie auch ein literarisches Gespür, Musik lebt nicht nur vom Einfühlungsvermögen allein, sie bedarf ebenso der kritischen Sicht auf das Leben. Diese Durchdringung empfinde ich als ungemein bereichernd.  

Wo fühlst du dich zu Hause?
VM: Unter wohlgesinnten Menschen, in meiner deutschen Muttersprache, bei berührender Musik, an Orten, die zur Betrachtung einladen…

 

BIO

Volkmar Mühleis (*1972) ist Schriftsteller, Philosoph und Musiker, er unterrichtet Philosophie und Ästhetik an der LUCA School of Arts in Brüssel und Gent. Zu seiner Veröffentlichungen zählen drei Gedichtbände, drei Novellen, zwei Tagebücher sowie mehrere philosophische Monographien. Mit seinem Improvisationsensemble Brussels Cleaning Masters seit 2015 zahlreiche Auftritte: in Les Ateliers Claus, Brüssel, dem Kunstmuseum Solingen, 019 Gent, Alter Schlachthof Eupen, u.a. Mehr Info auf www.volkmarmuehleis.eu