Sergei Kovalsky | Puschkinskaja 10, Sankt Petersburg
Foto: Alain Barbero | Text: Sergei Kovalsky | Übersetzung aus dem Russischen: Juliana Kaminskaja
Für Alexander Lotzman
Am Anfang des dritten Jahrtausends,
Den Zaren und den Glauben nacheinander austauschend,
Jenen ganzen Sommer lang am Strand,
Beobachte ich die nichtssagenden Spiegelungen
Vorüberziehender Truppen
Durch Hinterhöfe auf den Platz.
Weit offene Fläche
Auf der man sich zeigen kann.
Vorbereitet für ebenso viele Jahre
Eines blinden Weges durch die hinterste Provinz.
Dort heben sie die Hände zum Gruß,
Salutieren sich selbst,
Nachdem hier sonst niemand ist.
Und ich schnaube mit einem Atemzug
Kommt schon!
Jenen, die über diese Ansammlung richten wollen.
In Scharen um die Tische,
Leere Flaschen mit den Fäusten zu Boden fegend,
Fluchen und johlen wir: fangfrrrrisch-erfischhhh!!
«Fangfrischer Fisch» keifte mein Großvater.
Für jeden zwei Shots Vodka die Kehle hinunter
Und das Bier in sechs Schlucken.
Es reiften in Onkel Saschas Hainen die Äpfel.
Man kann ihn im Biwak hören,
Inmitten der Pflastersteine.
Er sät nicht, er pflügt nicht,
Er spuckt nur große Töne,
Und die skurrile Melodie wankt
Den Siebenvierzig*, den Chorowody*, den Gopak*.
Wassilij Terkin**
Mit dem Morgengrauen bricht Stille an
Die Lagerfeuer sind erloschen
Die Truppen schlummern, sturzbetrunken,
Der Weg zum Ausbruch ist frei!
*Bekannte jüdische, slawische und ukrainische Volkstänze.
**Der Held von Twardowskijs epischem Gedicht. Terkin war ein Symbol für den idealen Soldaten während des großen Krieges.
Original
Александру Лоцману
В начале третьего тысячелетия,
в очередной раз поменяв царя и веру
на берегу всё той же Леты
смотрю на бессмысленное отражение
проходящего войска
по проходным дворам на площадь.
Там широкое место,
где можно себя показать,
готовыми на столько же лет
слепого пути по задворкам.
Вот вздымают в приветствии руки
салютуют себе
– больше некому
и я, в едином порыве со всеми, выдыхаю
Даёшь!
Кто осудит толпу.
Сгрудившись вокруг столов,
кулаками сметая пустые бутылки,
материмся и орём: ссволл-ги-рррыба!!
– «с Волги рыба» ругался мой дед.
Каждому два раза по сотке на грудь
и пива по шесть оборотов и:
Созрели яблоки в саду у дяди Саши
– звучит на бивуаке посреди брусчатки,
а он не сеет, а он не пашет,
а он руками и ногами только машет.
Смешная песня мечется нелепо –
семь сорок хороводы и гопак
Василий Теркин…
С рассветом наступила тишина
костры загашены.
Мертвецки пьяно спит войско
путь для побега наконец открыт!
BIO
Reisender, Künstler, Dichter.
Geb. 1948 in Leningrad. Ende der 1960er begann er sich beruflich mit der Malerei und Literatur zu beschäftigen. Seit 1969 entwickelt er die Richtung Meta-Elementarismus in der visuellen Kunst als eine Transformation des Klangs zur Farbe in der Technik der Contracollage. 1978 publizierte er Gedichte in der Samizdat-Zeitschrift „Golos“ Nr. 7 unter dem Pseudonym S. Kanin, seit Anfang der 1980er Jahre – in den Zeitschriften „Tschasy“ und „Mitin journal“. Herausgeber der Sammelbände zur inoffiziellen Kunst Leningrads: „Galerie I und II“ und „Dokument“. Seit 1981 Mitorganisator der Gemeinschaft für Experimentelle Bildende Kunst. Zur gleichen Zeit beginnt er die zweite Richtung in seiner Kunst zu entwickeln: soziale folk-art. Autor des Konzeptes „PARALLELOKUGEL“ – das Kunstzentrum „Puschkinskaja 10“ als ein sich selbst reproduzierendes und entwickelndes kinetisches Objekt zeitgenössischer Kultur. Mitgründer der Gemeinschaft „Freie Kultur“ (1991) und des Museums für Nonkonformistische Kunst (1998). Seit 1994 Präsident der Gemeinschaft „Freie Kultur“. Seit 2006 publiziert er visuelle Poesie und andere Werke in den Zeitschriften „AKT“ (St. Petersburg) und „Tschernowik“ (New York) sowie in der „Anthologie aktueller Poesie in der Puschkinskaja 10“.
Autor von Chroniken der „nonkonformistischen“ Kunst und Aufsätzen zu deren Geschichte in den selbst herausgegebenen Büchern: „Puschkinskaja 10. Stiftung der `Freien Kultur´ – 1998“, „Vom Fall in den Flug. Unabhängige Kunst Leningrads/St. Petersburgs der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (2006), „Von Leningrad nach St. Petersburg. Gemeinschaft für Experimentelle Bildende Kunst. Inoffizielle Kunst 1981-1991“ (2007), „Kunstzentrum `Puschkinskaja 10´ – PARALLELOKUGEL. 1989-2009“ (2009). Seit 2005 Herausgeber der Samizdat-Zeitschrift „PARALLELOKUGEL“.
Co-Autor in «Ein Polylog der Visuellen Poesie» (2010); «Alphabet of Art» (2011); Pskover lliterarisch-künstlerischer Almanach (№1, 2014); «literi ЧЕ» (2018); «Sreda» (№3, 2018). 2011 erschien sein Buch der visuellen Poesie „Farblexikon des Transregenbogens“, 2018 – sein zweites Buch „Parallelo Farbxte“.