Aiat Fayez | Das Möbel, Wien [2/2]
Foto: Alain Barbero | Text: Aiat Fayez | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl
Seine große Liebe zum Café Möbel liegt bestimmt darin begründet, dass der Schriftsteller hier seine Art zu sein bewahrt fühlt: All die Computer auf so vielen Tischen zu sehen gibt ihm jedes Mal aufs Neue die Sicherheit, völlig anonym sein zu dürfen, in diesem langgestreckten Raum, der es ihm erlaubt, nach vorne zu schauen und seinen Blick sich im Leeren verlieren zu lassen, wie der Fischer seine Schnur auswirft, mit einem Haken am Ende: Der Fisch, das ist die Idee, die Vorstellung. Und oft findet der Autor den Gedanken amüsant, dass er aussehen muss wie ein alter Doktorand unter all diesen Studierenden. Die Beleuchtung in diesem Café könnte besser sein, kein Tisch wird für Stammgäste freigehalten, doch im Grunde kann der Schriftsteller noch auf vieles mehr verzichten, solange er im Gegenzug dafür Unsichtbarkeit bekommt. Wenn das Jelinek auch das Café seines Herzens ist, so hat das Möbel darin ohne den geringsten Zweifel einen bevorzugten Platz.
Nein, zuhause könnte er nicht bleiben: Die Stille würde ihn umbringen: Die Stille einer Bibliothek oder eines Museums bringt ihn sofort um die Konzentration. Er braucht die anderen, der Schriftsteller, dieser hier wenigstens: Er will die Gegenwart von Menschen, aber als Hintergrund, um auf sich selbst konzentriert bleiben zu können: Dank der anderen kann er sich allein fühlen. Die Abgeschiedenheit ist seine Sache nicht, doch die Einsamkeit ist das Brett, an das er sich klammert.
So oft, wie er ins Möbel geht, wird er dort eines Tages als Teil des Mobiliars gelten, dachte der Schriftsteller einmal, innerlich lachend. Im Gesicht jeder einzelnen Kellnerin entdeckt er ein Gemälde oder eine Romanfigur: es gibt dort das Selbstporträt von Parmigianino, von Anfang an ein kurzer Schimmer in seinem Herz, so wie eine andere, die ihn an Nadja von André Breton denken lässt; bei wieder einer anderen sieht der Schriftsteller eine Kombination aus Leonardos Mona Lisa und Ginevra de‘ Benci, während er der vierten insgeheim für ihren Kleidungsstil gratuliert, und so geht es bei den anderen weiter.
Unabänderlich bestellt der Schriftsteller Cappuccino: Würde man ihm die Augen verbinden, müsste er nur daran nippen, um zu erraten, welche der Kellnerinnen ihn serviert: Es sind die gleichen Kaffeebohnen, die Maschine ist dieselbe, und doch ist der Cappuccino der einen stärker als der der anderen; der einer dritten ist milder; eine andere füllt die Tasse ein kleines bisschen weniger an als ihre Kolleginnen, dafür ist der Milchschaum bei ihr ungleich samtiger. So geht es dem Schriftsteller: Niemals beginnt sein Tag auf die gleiche Weise, er, der auf Arbeitsdisziplin und seine kleinen Marotten Wert legt, befindet sich am gleichen Ort, im gleichen Viertel, umgeben von den gleichen Gesichtern: er ist zuhause, ohne zuhause zu sein. Und im Grunde ist es diese Erschütterung, die ihn anrührt: ein paar Takte Exil.
BIO
Aiat Fayez, geboren 1979, studierte Philosophie in Paris. 2010 verließ er Frankreich, lebte in Berlin, Oxford, später Wien, wo er sich dem Schreiben widmet. Er hat bisher drei Romane im Verlag P. O. L. veröffentlicht, sowie zehn Theaterstücke im Verlag L’Arche. 2016 war er im Finale des Grand Prix de littérature dramatique, im selben Jahr wurde ihm der Prix Scenic Youth zuerkannt. Das Kulturministerium verlieh ihm 2018 den Orden Chevalier des Arts et des Lettres.
Romane: 2009 : Cycle des manières de mourir, éditions P.O.L, 2012 : Terre vaine, éditions P.O.L, 2014 : Un autre, éditions P.O.L
Theater: 2011: Les Corps étrangers, L’Arche Éditeur (deutsche Übersetzung : Fremdkörper. In: Scène 16, Neue französische Theaterstücke, Hg. v. Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand, Theater der Zeit, Berlin 2013), 2015: La Baraque, L’Arche Éditeur, 2016: De plus belles terres / Angleterre, Angleterre, L’Arche Éditeur, 2018: Place des Minorités / Le Monologue de l’exil, L’Arche Éditeur. Bei L’Arche Agence: 2013: Perceptions, 2013: Naissance d’un pays, 2015: L’Éveil du printemps (deutsche Übersetzung : Frühlingsgefühle, verfügbar unter: https://henschel-schauspiel.de/de/werk/5209), 2016: La Valise, 2019: Un pays dans le ciel