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Ángel Rebollar | Hotel Chamarel, Dénia

Foto: Alain Barbero | Text: Ángel Rebollar | Übersetzung (aus dem Spanischen): Daniela Gerlach

 

Wie ein blinder Akrobat
(Freiheit kostet mehr als Unterwerfung)

Wie ein blinder Akrobat
auf einem gespannten Drahtseil
in einer dunklen traurigen Nacht,
den Urinstinkt suchend
den die Sicht erschwert.

So erhebt sich die Freiheit
ohne das Korsett der Vernunft
das sie versklavt,
wie das reine Denken, 
wenn es den Filtern entflieht, die es beschneiden.

Wir sind frei, ohne es zu wollen,
auf unbewusste Art,
durch die beharrliche Kraft
die uns fordert und bereichert,
wir sind es, weil wir leben, weil wir geboren worden sind.

Später lernen wir das Laufen
mit den Regeln und Vorschriften
der furchtsamen Gesellschaft,
deren Stricke den Instinkt ersticken, 
und, einmal erstickt, uns beugen werden,
und so hören wir auf zu sein
umgeformt schon
in wohlerzogene Automaten.

Dann, allmählich, kultivieren wir uns,
wie jene, die die Leben einordnen, sagen
jene, die die Regeln der Welt aufstellen, 
die Herren, die dir die Tage rauben
und dir dein Geld nehmen,
ohne dass du es merkst,
für die Achterbahn des Schwindels,
das hormonelle Gefüge ohne Reue,
wo die sensorische Intelligenz
uns dazu bringt, Gefühle, schicklich zurückgehalten, 
nicht zu entfesseln.

Um die eingetrichterten Ängste zu brechen,
gilt es, die Schlingen des Unsinns zu durchschneiden,
die Bequemlichkeit altbekannter Wege zu verlassen,
die Routen, die uns markiert wurden, zurückzugehen,
die vorgegebene Richtung zu missachten
und wieder auf dem dunklen Draht zu gehen
wie ein Akrobat mit verbundenen Augen
um uns in der Leere 
erwachter sinnlicher Sexualität wiederzufinden,
dieser Nächte, in denen wir auf die ersehnten
Wüsten der Freiheit treffen.

 

Original (Spanisch)

 

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Poesie für dich?
Ángel Rebollar: Sie ist eine dringende Notwendigkeit, sie ist ein Ort des Aufgenommenwerdens, in dem ich mich schütze, in dem ich Vorlieben und Abneigungen hin und her drehe, die Rastlosigkeit und die Stille, ein Ort, wo die Ungerechtigkeit besiegt wird und man Frieden findet, wo ich Bilis speie und mich an den Trost klammere, wo ich sterbe und wieder auferstehe, der Lebensraum, in dem ich Antworten auf meine Fragen finde. Letztendlich ist sie der Ort, wo Licht in meine Dunkelheit gelangt. 

Was bedeuten Cafés/ Bars für dich?
ÁR: Ein Heim, um in Gesellschaft zu sein, eine familiäre Agora, wo man die Leute trifft, mit denen man Energie, Muße, Ideen, Lachen und Sorgen austauscht, Komplotte schmiedet. Hier kennen sich Frauen und Männer, öffnen sich Türen zur Geschwisterlichkeit, sogar Liebe, gelegentlich gibt es auch Meinungs-
verschiedenheiten. Sie sind eben lebendige Orte. Außerdem ist es ein intimer Treffpunkt aller Kunstdisziplinen, ein Tempel für den Hexensabbat.

Warum hast du die Lobby des Chamarel gewählt?
ÁR: Ich frequentiere normalerweise keine Cafés, aber dies hier ist ein gemütlicher Ort, mit einer romantischen Dekoration, ein stilles Plätzchen voller Harmonie und geeignet, um die eigenen Gefühle zu ordnen. In diesem Raum habe ich während vieler Jahre an poetischen Sitzungen und Lesungen teilgenommen, darunter einige voller Magie. In diesen Möbeln, die zugleich nützlich und dekorativ sind, sind die Poren des Holzes auch imprägniert mit meinem poetischen Empfinden, wie auch dem vieler anderer Dichter und Dichterinnen. Der blumengeschmückte Innenhof, im Sommer eine Bühne, hat unter dem Licht des Mondes und der Sterne unsere deklamierten Reime aufgenommen. 

Was tust du, wenn du nicht im Café bist?
ÁR: Mein Leben leben, das scheint einfältig, ist es aber nicht. Ich bin 67 Jahre alt und das gestattet mir eine lebendigere Vision der Gegenwart. Ich mache Sport, lese, höre Musik aller möglichen Richtungen, ich denke über die Gesellschaft nach, die meine Generation denen, die nachkommen, hinterlässt, und ich schreibe ohne irgendwelche Ansprüche, einzig zur Befriedigung.

 

BIO

Ich bin ein Sohn des sogenannten „Ameisen-Viertels“, einer Gemeinde aus Wellblechhütten in den Nachkriegsjahren. Mir meines sozialen Umfelds bewusst, wuchs ich auf. Mit 14 Jahren begann ich zu arbeiten, wodurch mein Bewusstsein erwachte, und aus dem Untergrund stellte ich mich gegen die grausame Diktatur. Ich bin Vater, was mir die Sicht auf das Leben erschloss, die Gefühle und die Liebe erforschen ließ, weit über das Physische hinaus.