Bénédicte Vidaillet | Tok’ici, Lille

Foto: Alain Barbero | Text: Bénédicte Vidaillet | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Im Tok’ici  („Hier klopfen“)

In dieser Welt der großen Machtverrückten – toqués au pouvoir – gibt es glücklicherweise das Tok.

Kochmützen – toques – sind hier zu finden. Keine mit Sternen übersäte, aber solche, die uns Sterne in die Augen treiben. Gefüllte Bao, Tahchin, Won-Ton-Suppe und Tarator-Sesamsauce, Cromesquís oder flämischer Waterzooi-Eintopf. Gib´s zu: dir läuft schon das Wasser im Mund zusammen. 

Klopf-klopf – toque –, tritt ein. Kein Kamin, aber Lächeln, Begrüßung, ein Gläschen, ein paar Worte und oft mehr.

Und wenn du einen Fimmel hast – ein bisschen toqué bist –, kannst du deine Ticks, deine tocs, mit ins Tok schleppen. Richte deinen Barhocker genau über die Fugen der Bodenfliesen aus, überquere die Schwelle eher zweimal als einmal, bekreuzige dich vor jedem Schluck: Das verleiht dir nur Stil, man macht nicht viel Aufhebens davon.

Und aus – et tok!

 


Interview mit der Autorin

Aktivismus und Literatur – wie geht das bei dir zusammen?
Bénédicte Vidaillet: Mir gefällt nicht, was aus dieser Welt wird. Anstatt zu heulen oder allein wütend zu sein, bin ich aktiv und gründe Vereine, um zusammen mit anderen einen Park im Vorort und dann eine große Brachfläche im Zentrum von Lille vor einer verrückten Urbanisierung zu schützen, die uns und unsere Geschichten, unsere Erinnerungen und unsere sensiblen Bande mit unserem Lebensraum enteignen. Und die jeden Tag die lebendige Welt, tierische und pflanzliche, ein Stück mehr zerstört. Und ich schreibe: Manifeste, lautstarke Appelle, Essays. Schreiben und Handeln sind für mich eng miteinander verknüpft.

Was sind deine Ziele?
BV: Als Aktivisten versuchen wir, etwas anderes zu verteidigen und zu erfinden als die Stadt und das Leben, die die Vorschriften dieser Experten, die „zu unserem Wohl“ urbanisieren, uns zuweisen. Wir drücken unsere Suche nach einer Welt aus, die unseren Bestrebungen, Wünschen, unserem Bewusstsein, mehr entspricht. Eine Welt, die uns Lust auf das Leben macht, das wir mit unseren Körpern, unseren Sinnen und unserer Sensibilität bewohnen können.  

Wie soll die aussehen? 
BV: Im Grunde wollen wir die einfachen und wesentlichen Dinge: Luft zum Atmen, langfristig sauberes Trinkwasser, verschonte Böden, die uns ernähren, Schönheit; wir wollen in Reichweite unserer Schritte oder Fahrradreifen den Rhythmus der Natur spüren, einen Kohlkopf oder einen Baum wachsen sehen, staunen, uns treffen, diskutieren, lernen, Erfahrungen machen, in Bewegung sein. 

Uns lebendig fühlen. 

 

BIO

Ich liebe Wörter. Kein Wunder, dass ich Psychoanalytikerin geworden bin. Auch dass ich schreibe, Artikel, Bücher. Einige sind ins Italienische oder Englische übersetzt worden. Das letzte heißt: Pourquoi nous voulons tuer GretaNos raisons inconscientes de détruire le monde (Warum wir Greta töten wollen – Unsere unbewussten Gründe, die Welt zu zerstören, érès, 2023)