Gundula Schiffer | Café Feynsinn, Köln

Foto: Alain Barbero | Text: Gundula Schiffer

 

Im Café Feynsinn weiß ich das kraftvolle Beit Haknesset mit dem zarten, aber stabilen Davidstern, der an der Spitze des Pyramidendachs in den Himmel aufragt, in meiner Nähe. Das Portal lässt mich an die Tore Jerusalems denken. Das Beit Hacafé, das Kaffeehaus schaut geschwisterlich nach dem Beit Haknesset, der Synagoge: Kunst und Gebet fechten nicht miteinander, nein, sie achten, umwinden sich neugierig. Der Samtvorhang in der Tür, die glitzernden Kronleuchter und Spiegel verwandeln das Feynsinn in einen Theatersaal. Auf jedem Tisch steht eine Schnittblume in einer eleganten Vase wie eine Schreibfeder im Tintenfass. Durch den Eingang weht eine Brise Paris – das Café ist in einem dieser schönen Altbauten, in roter Schnörkelschrift leuchtet „Feynsinn“ über der Tür. Am Rathenauplatz ist Köln am französischsten, seine Liberté am edelsten. Ein Grüppchen beugt sich über die Boulekugeln auf der Erde wie die Männer am Schabbat über die Torarolle auf der Bima. 
Im Sommer wirkt der Rathenauplatz für mich nahöstlich. Staub liegt nah bei Sand. Sand – da ist er! „Flucht man mich, so möge meine Seele schweigen, meine Seele sei allem gegenüber wie Staub“. Dieser Vers wird in der Amida, als Gebet die Mitte jedes jüdischen Gottesdienstes, gesprochen. Glanzlos, haltlos erscheint der Staub vor dem Kristallglas, in dem sich das Sonnen- und das elektrische Licht brechen, in festen, scharfen Strahlen. Die Füße in den Sandalen brennen, das Französische wird zu Israelischem: einem Stück Wüste. Weil Abraham absolut gehorchte, sich anschickte, Gott seinen einzigen Sohn als Brandopfer darzubringen, wurden Sand und Sterne zu Zeichen eines Segens, der strahlender, dauerhafter ist als jeder Lüster, der Lohn des Ewigen für den Frommen. So suche ich von allen Cafés de Cologne am liebsten das Feynsinn auf, wo eine biblisch-abrahamitische Strenge die sinnlich-vergnügliche Leichtigkeit durchweht – beides trifft sich im herb-süßen Geschmack einer Tasse Kaffee mit Milch, die mir Worte eingibt. 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Gundula Schiffer: „Triumph der Verletzlichkeit“ hieß einmal eine Tanztheaterkritik. Umklammert von den Nachwehen des Terrors und vom Sterben im Krieg wollte ich im Dezember in Israel nicht tatenlos in einer Schriftsteller-Residenz sitzen. Ich fand ein Krankenhaus für Freiwilligendienste. Und wählte dann doch meine Werkzeuge – das Schreiben und Übersetzen, ich kann kaum etwas anderes gut. Ingold hat Becketts Antwort auf die Frage, warum er schreibe – „Bon qu’à ça“ – darum mit „Bonkassa!“ übersetzt. Elija konnte ein totes Kind wieder zum Leben erwecken. Ein Gedicht-Blatt ist wehrlos, wo ein Schuss fällt. Doch dieses verletzliche „Trotzdem“ birgt eine bleibende Gegenmacht. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
GS: Diese anmutige Stimmung, die von Cafés ausgeht, ähnelt kleinen Theatern, erinnert mich an Bühnen. In Cafés schreibe ich spontane Notate und Betrachtungen. Fürs Textewerken suche ich die Einkehr, vertraute Dinge um mich her. In Cafés genieße ich Gespräche mit Freunden, den Rummel.        

Wo fühlst du dich zu Hause?
GS: Da ich seit über der Hälfte des Lebens mit der hebräischen Sprache, dem Judentum und Land Israel verbunden bin, ist mein Herz auch nach Jerusalem gerichtet, fühle ich mich in Deutschland nicht vollständig. Es macht mir immer Freude, in Israel ein kleines Zimmer geschwind einzurichten: Notizhefte, Computer, Bücher, ein paar Bilder, Kaffeetasse, fertig. Noch teile ich mich auf zwei Orte auf. 

 

BIO

Gundula Schiffer, geboren 1980 in Bergisch Gladbach, lebt als Dichterin und Übersetzerin in Köln. Sie schreibt Lyrik hauptsächlich auf Deutsch, daneben auf Hebräisch und übersetzt sich selbst ins Deutsche. Sie hat Komparatistik sowie hebräische Sprache und Literatur in München und Jerusalem studiert und zur Poesie der Psalmen promoviert. Derzeit schreibt sie, unterstützt durch ein Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW, an ihrem vierten Lyrikband Fremde Einkehr, der im Herbst 2024 im Verlag Ralf Liebe herauskommt.