Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Katharina Bendixen, Museumscafé Goetz, Leipzig

Katharina Bendixen | Museumscafé Goetz, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Text: Katharina Bendixen

 

Straßencafé

Früher, wenn ich den Braten oder das Gemüse nicht essen wollte, brachten meine Eltern unseren Esstisch auf die Straße. Es war ein großer Tisch, aus massivem Holz, mit einer zusätzlichen Platte, um ihn zu vergrößern. Gemeinsam trugen meine Eltern den Tisch nach unten, ich trug meinen vollen Teller und einen Stuhl hinterher. Wie eine Kellnerin breitete meine Mutter die Tischdecke über das Holz. Ich musste mich setzen, meine Eltern verschwanden nach oben in die Wohnung. Aus den geöffneten Fenstern hörte ich bald die Stimme des Nachrichtensprechers, später sanfte Filmmusik. Ab und zu tauchte im Fensterrahmen über mir der Kopf meiner Mutter oder meines Vaters auf, und ich griff den Löffel etwas fester, aß aber nicht.
Manchmal kamen Hunde vorbei, und wenn es dunkel genug war, warf ich den Tieren Brotkanten oder Speckränder zu. Das war ein Glück. Das größte Glück aber war es, wenn ein anderes Kind aus der Straße dieselbe Strafe bekommen hatte wie ich. Oft war sein Teller mit einem Gericht gefüllt, das mir schmeckte, und ihm ging es mit meinem Essen ebenso. Mit ein wenig Geschick gelang es uns, über die Straße hinweg die Teller zu tauschen. An solchen Abenden mussten weder das andere Kind noch ich mit hungrigem Magen schlafen gehen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Katharina Bendixen: Sehr vieles – in wenigen Worten vielleicht ein starkes Gefühl der Verbundenheit, das ich in Momenten des Lesens oder (seltener) des Schreibens empfinde.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
KB: Orte der Begegnung, in denen ich mit dem richtigen Menschen im richtigen Moment ebenfalls eine große Verbundenheit fühlen kann.

Warum hast du das Museumscafé Goetz im Unikatum Kindermuseum ausgewählt?
KB: Weil es in Leipzig einer der extrem wenigen öffentlichen Orte ist, an denen über die Anwesenheit von Kindern nicht die Augen verdreht werden. Weil es in der perfekten Sonntagnachmittag-Laufrad-Tour-Entfernung von unserer Wohnung liegt. Weil es dort Kinderbücher, Spielzeug und jede Menge Spiele gibt. Weil Kaffee, Kuchen und Kekse lecker sind. Und weil niemand ein Problem damit hat, wenn die Saftschorle umkippt.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
KB: Schreiben, lesen. Kochen, Brot backen, Kuchen backen. Podcasts hören. Kinder irgendwohin bringen oder von irgendwo abholen. Mit den Kindern zum See radeln und hoffen, dass sie ein paar Minuten zu zweit und ohne Streit im flachen Wasser spielen. Wenn das nicht klappt (also so gut wie immer), mich zu ihnen ins Wasser setzen und mitspielen, bis wir nicht mehr können vor Lachen.

 

BIO

Katharina Bendixen, *1981 in Leipzig, schreibt Bücher für Kinder (Loewe), Jugendliche (Mixtvision) und Erwachsene (poetenladen). Ihre Texte erhielten zahlreiche Preise und Stipendien, u.a. den Kranichsteiner Literaturförderpreis (2014), das Heinrich-Heine-Stipendium (2017) und ein Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds (2020/21). Zuletzt erschien der Jugendroman „Taras Augen“ (2022), der mit dem Lesekompass der Leipziger Buchmesse und dem Klima-Buchtipp der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet wurde. Auf dem Blog Other Writers Need to Concentrate (www.other-writers.de) setzt sie sich für eine bessere Vereinbarkeit von Schreiben und Care-Arbeit und einen familienfreundlichen Literaturbetrieb ein. Sie ist Vorstandsmitglied des Sächsischen Literaturrats e.V. und Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.