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Marcus Klugmann | Café Das Kapital, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Text: Marcus Klugmann

 

Da die Eltern meiner damaligen Freundin eher Cafés mit uniformiertem Mobiliar und ebensolcher Musik bevorzugten, fühlte ich mich ein wenig als Gastgeber (der seine Gäste am Ende zahlen lässt). Auch wenn ich nicht der Smalltalktyp war, versuchte ich mich doch als Eisbrecher. Ich erzählte, dass ich in letzter Zeit jeden Tag an diesem Tisch da hinten säße, schriebe und läse, wie hübsch das sei im Kerzenschein, wenn es ein bisschen flackert auf der Seite, die vor einem liegt, wie man sich in einer Art wohliger Blase befinde, behütet vom Kegel des Kerzenlichts, abgeschirmt von allem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Übel der Welt und den übrigen Gästen, und doch genährt von der hoffnungsspendenden wattehaften Plazenta ihres Gemurmels …
Jetzt habe ich mich wohl etwas hinreißen lassen, Verzeihung, der genaue Wortlaut war das sicher nicht. Ich schloss meine kleinen Ausführungen aber jedenfalls folgendermaßen: Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre Peter Altenberg in Wien vor hundert Jahren. Das war ein Schriftsteller, der hat quasi im Café gewohnt. Der sitzt jetzt noch als Statue an seinem Stammplatz. Vielleicht setzen sie hier ja auch irgendwann eine von mir, wie ich mich bucklig über meine Manuskripte beuge, an den Tisch dort in der Ecke. Hehe.
Man sollte nicht versuchen das Eis zu brechen, auf dem man sich noch einen Abend lang bewegen muss. Ich hatte eh schon immer das Gefühl, die Eltern meiner damaligen Freundin wünschten sich eher einen pragmatischer veranlagten Mann für ihre Tochter als mich. Um so unverständlicher, dass ich glaubte, mit folgendem Satz ans bescheidenere und damit vermeintlich sicherere Ufer zurückzurudern: Naja, viel hat er ja nicht verdient mit seiner Kunst, er musste sich seinen Einspänner (das ist ein Espresso mit Schlagsahne – sehr beliebt in Wiener Kaffeehäusern) ständig erschnorren. (Genau genommen – erfuhr ich beim Überarbeiten dieses Essays – gibt es gar keine Statue an Altenbergs Stammtisch. Was es gibt, ist eine wächserne Puppe, direkt am Eingang, eigentlich alles andere als schmeichelhaft.)

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Marcus Klugmann: Zum Glück und leider so ziemlich alles. Keine Sekunde am Tag, in der ich nicht an sie denke zumindest.
Zum Glück, weil ich lange nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen will, weil ich immer bedauert hab, dass ich für nichts brenne, und immer die bewunderte, die voller Leidenschaft für etwas leben.
Und dann leider, weil ich nichts anderes mehr will und kann, ich bin für alles unbrauchbar, das sage ich ganz unkokett, und das ist ziemlich hinderlich im Alltag (sehr, nicht ziemlich). Ich meine: Ich könnte mich doch jetzt, wo wir einen Garten haben, für Anbau und Pflege der Pflanzen interessieren oder wenigstens das Häuschen reparieren wollen, das da steht, im Schrebergarten. Fällt mir aber schwer.
Ausnahmen bilden meine Kinder und meine Frau, die sind genauso immer anwesend in mir und um mich herum und sollen das auch bitteschön für immer bleiben.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MK: Früher unendlich große, jetzt kaum noch bis gar keine Bedeutung. Früher konnte ich dort lange alleine sitzen, gleichzeitig unter Menschen sein, aber ohne Gefahr angesprochen zu werden. Ich fand es im Grunde von Anfang an ein bisschen peinlich, im Café zu schreiben, ungefähr hundert Jahre zu spät zu der Party, lächerlich. Schaut her, ein Literat! Aber genau das zwang mich, dann auch wirklich zu schreiben. Wenn ich jetzt nicht schreiben würde, dann wäre ich mir vor mir selber ganz unrettbar peinlich. Zu Hause war ich zu sehr abgelenkt von Internet und Ruhe, Müdigkeit, das Bett lockt. Seit Corona, d. h. geschlossenen Cafés, später verkürzten Öffnungszeiten, hab ich mich daran gewöhnt, hier am Esstisch zu sitzen, na ja, fast, fast (das Internet ist immer noch zu groß: PROKRASTINATION!). Außerdem: Geldgründe.

Warum hast du das Café Kapital ausgewählt?
MK: Die Musik dort nervt nicht, die Bedienungen sind mir nicht unsympathisch, ich muss nicht dauernd was bestellen … und dann wollte ich das Café zeigen, in dem ich immer saß, in dem ich auch den Großteil meines Romans schrieb, der hoffentlich bald erscheinen wird. Ist ja auch fotogen, das Kapital.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
MK: Schreiben, lektorieren, die Kinder in die Kita fahren/abholen, essen, trinken, Windeln wechseln, lesen, Youtube gucken, vorlesen, Katze streicheln – so was halt.

 

BIO

Geboren 1981 in Halle, Germanistikstudium in Halle, dann am DLL in Leipzig, dann Hochzeit, zwei Kinder, noch selbständig als Lektor und Schriftsteller, bald erstes Buch.