Patricia Malcher | Pension Schmidt, Münster
Foto: Alain Barbero | Text: Patricia Malcher, Auszug aus dem aktuellen Romanprojekt mit dem Arbeitstitel „Nachkoloriert“
Wie soll man zurückfinden in den Alltag nach solch einem Ereignis? Man kann nicht einkaufen gehen, schwimmen, man klebt am Fenster, die Gedanken lassen es nicht zu. Es wäre nicht richtig, den Tagesablauf wieder aufzunehmen, als sei er nur durch einen kurzen Plausch unterbrochen worden. Weiter den Garten sprengen? Nachdem ein Kind mit Sirenengeheul vor der eigenen Tür abtransportiert wurde?
Immerhin, Hermann meistert diese Hürde, die Irma einen kurzen Augenblick lang unbezwingbar erscheint.
„Komm“, sagt er und führt sie weg vom Fenster, hinaus aus dem Wohnzimmer und hinein in die Küche.
Irmas Gang ist wackelig, die Beine zittern bei jedem Schritt. Ein neuer Zustand. Man müsste es besser unter Kontrolle haben. Dem Gefühl zeigen, wo es langgeht.
Hermann brüht einen Kaffee auf, stark und schwarz, auch wenn die Uhrzeit dagegenspricht.
Als sie an der Tasse nippt, merkt sie, dass er nicht schmeckt, dieser Kaffee. Trotz jahrzehntelanger Zubereitung direkt vor seinen Augen bleiben Hermanns Kaffeekochkünste mangelhaft.
Und der Effekt? Bei ihm funktioniert es, er selbst trinkt Tee, entspannt bei jedem Schluck und schaltet den Kopf aus. Können, was er kann, das wäre eine Befreiung. Hermanns Lösungen sind schlicht und vorhersehbar, aber funktional. Es gibt nichts, was sich nicht wieder in Ordnung bringen lässt. Man müsste es ihm gleichtun, Probleme mit einem heißen Getränk wegnippen.
Irma schiebt ihre Tasse auf die andere Seite des Tisches und setzt sich neben ihn auf die Eckbank. Wieder legt er den Arm um sie. Knochig fühlt er sich an, hart und alt, aber trotzdem bekannt. Sie schließt die Augen und konzentriert sich auf den erdigen Geruch seines Körpers. Man kennt jede Falte, jede Bewegung, jede Sehne, jeden Muskel dieses Mannes.
Auch wenn der Kaffee nicht schmeckt, tut die Wärme des Getränkes gut.
Kurzinterview mit der Autorin
Was bedeutet Literatur für dich?
Patricia Malcher: Wahrheit. Mich fasziniert Sprache. Ich kann mich tagelang über einen Satz freuen, der so schnörkellos wie präzise eine Wahrheit ausdrückt.
Die intensivsten Momente beim Lesen sind, wenn ich denke: „Ja, genau auf den Punkt gebracht. Hier ist mein Innerstes von einem Außenstehenden in Worte gefasst.“
Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PM: In einem guten Café hat das gewohnte Leben einen kurzen Augenblick lang Pause. Entweder verschnaufe ich, komme zu Atem, z.B. nach einer intensiven Schreibphase. Oder ich putsche meinen Alltag mit guten Freunden, Klatsch und Tratsch und einem großen Milchkaffee auf, wenn die Wochentage sich kaum voneinander unterscheiden und drohen, eintönig zu werden.
Warum hast du das Café Pension Schmidt ausgewählt?
PM: Die Pension Schmidt unterscheidet sich zu anderen Cafés in Münster durch die Nähe zur Literatur. Es werden Lesungen und Buchvorstellungen organisiert und so wird zusammengebracht, was zusammengehört: Kaffee und Kultur.
Bei geöffneter Fensterfront sind die Stunden in der Pension Schmidt wie Cabrio-Fahren bei lauen Sommertemperaturen – ohne den schädlichen CO2-Ausstoß.
Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PM: Ich sammle Situationen, Gespräche und ausgefallene Charaktere für meine nächsten Schreibprojekte.
BIO
Patricia Malcher, 1970 in Recklinghausen geboren, wohnt und schreibt in Lüdinghausen, einer deutschen Kleinstadt im Münsterland. Im Jahr 2012 beginnt sie mit dem Schreiben zeitgenössischer Prosa. Bereits ihre ersten Texte werden in Anthologien und Literaturzeitschriften sowie als Audio-Dateien veröffentlicht. Ihr Debütroman „Lieb Kind“, ein psychologisches Kammerspiel, erscheint 2020 im Wiener TEXT/RAHMEN-Verlag und wird als Kandidat für die Hotlist der zehn besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2021 nominiert.