Simone Scharbert | Café Dorfladen Koettingen, Erftstadt
Foto: Alain Barbero | Text: Simone Scharbert
Wie es auch ist, »alle Bilder werden verschwinden«, heißt es bei Annie Ernaux in »Die Jahre«, und fast alle meine Texte beginne ich mit einem »wie es auch ist«, nahezu ein Selbstvergewissern, dass immer etwas »ist«, im »Sein« inbegriffen, noch-nicht-verschwunden, alles irgendwie immer weitergeht, und selten aber beginne ich einen Text mit »wie es auch ist«, den ich an mich oder an ein Bild oder an die Idee eines Bilds, eines Abbilds schreibe, eine Fotografie, so wie jetzt, wenn ich das Schwarz-Weiß-Bild von mir sehe, die leere Flasche im Vordergrund, »existieren ist trinken ohne Durst«, heißt es auch in Annie Ernaux‘ Text und darin auch ihre Frage, woher wir von klein auf wüssten, dass wir das selbst auf dem Foto seien, anschließend an Susan Sontags Essays über Fotografie, vielleicht korrespondierend, die Objektivierung des Menschen von der Kamera, oder: »wer kennt schon sein eigenes Ich?«, wie ich später selbst schreiben werde, und also sehe ich zu mir, in diesem »Augenblick«, sehe auf das Bild, sehe auch und sehe nicht Alain, wie er fotografiert, sehe wie viele Menschen eigentlich im Raum sind und doch nicht zu sehen sind, sehe Stille auf dem Bild, für diesen einen Moment, »von wo aus sprichst du?« und wie unterschiedlich Gegenwarten sein können, auch das denke ich, wie sie also auch ist, wie wir sind, »wie es auch ist«.
Kurzinterview mit der Autorin
Was bedeutet Literatur für dich?
Simone Scharbert: Literatur ist immer ein Anker, ein Rückzugsort. Oft aber auch ein wunderbarer Punkt, um etwas Neues zu beginnen, ein Gespräch, eine einzelne Verszeile, ein Schweigen. Allein. Gemeinsam. Oder in den Worten von Wislawa Szymborska: »Poesie ist etwas, was man zum Leben braucht, ohne genau zu wissen, warum.«
Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SS: Wie die Literatur waren Cafés (und Kneipen) immer wieder Anker, Rückzugsorte in meinem Leben. Stunden und Wochen und Monate, kurzum Jahre habe ich hinter vielen Tresen unter noch mehr Menschen verbracht, Frühstücke serviert, Kaffee oder ein Gläschen Wein, mich unterhalten, manchmal einfach nur zugehört, als Gast gelesen, und immer wieder geschrieben. Vor allem geschrieben. Und: Letzteres nach wie vor.
Warum hast du Café Dorfladen Koettingen ausgewählt?
SS: Das Lädchen ist einer meiner Lieblingsorte. Ein ehrenamtlicher Lichtblick. Die Rückkehr hinter den Tresen, die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Menschen etwas auf den Weg zu bringen. Ein Ort für Lyrik auch. Einfach so. Lesungen ohne großes Tamtam, aber ganz liebevoll mit kleinem Büfett und der Möglichkeit zum gemeinsamen Gespräch. Wie es auch sein kann, wie es auch ist.
BIO
Simone Scharbert ist 1974 in Aichach geboren, hat Politikwissenschaft, Philosophie & Literatur in München, Augsburg und Wien studiert, anschließend in Politikwissenschaft promoviert; lebt und arbeitet als freie Autorin und Dozentin in Erftstadt. Seit 2017 Lehrbeauftragte am Institut für Deutsche Sprache der Universität Köln, seit Mai 2022 verantwortet sie die Kulturelle Bildung der VHS Erftstadt. 2017 erschien ihr Lyrikband »Erzähl mir vom Atmen« (Raniser Debüt), 2019 »du, alice. eine anrufung« (edition AZUR) und 2022 »Rosa in Grau. Eine Heimsuchung« (edition AZUR/Voland & Quist).