Yla von Dach | Café Tabac, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Yla von Dach

 

Es sieht nach nichts aus, dieses Café. Kein überbordender Kunstblumen-Blickfang für Touristen, klick, klick, keine smarten Kellner – simple Metallhocker anstelle der geflochtenen Edelstühle, rote Metalltischchen. Eine aus Covid-Zeiten herübergerettete Holzterrasse, immerhin. 

Aber der Name! 
»Café Tabac«! Ist das ein Name?
Ein »Café Tabac« gibt’s in jedem Kaff auf dem Land, neben der Kirche, in den verlorenen Weiten Frankreichs. 
Hier sind wir in Paris. Montmartre. In einem »Café Tabac« von überall und nirgends, das sich mit der Gattungsbezeichnung begnügt. 
Das »Café Tabac« par excellence?

Der Kaffee ist ausgezeichnet, auf dem Flat White, dem Cappuccino lächelt ein Herz, eine Blume, fein geschwungener Milchschaum, das Auge freut sich, der Gaumen geniesst. Alles ist einfach und von vorzüglicher Qualität: Tee, Pasteis, hausgemachtes Gebäck, leckere Mittagsplättchen, klein, aber fein. 
Der Charme entfaltet seine Wirkung in dem, was flüchtig und beständig bleibt: in dem, was serviert wird, in denen, die es servieren, und natürlich: in den Gästen. 

Sie kommen, gehen, kommen wieder… Nach und nach filtert der Blick die bekannten Gesichter, man bleibt diskret, lächelt sich zu, grüsst allmählich, leichtes Nicken, wechselt ein paar Worte, Bonjour, wie geht’s?, mit einem breiten Lächeln, man sieht sich wieder, Herzlicheres kommt ins Spiel, Sympathien bahnen sich den Weg an die Oberfläche, geben sich vorsichtig, dann freimütiger zu erkennen. Noble Zurückhaltung, aber ungezwungen.
Man wird miteinander bekannt. 
Staunt. 
Verwandtschaften kommen zum Vorschein, von denen man keine Ahnung hatte, etwas in uns hat sie aber längst wahrgenommen, man weiss nicht was: Dieses Sensorium übersteigt den Verstand. In einer unbekannten Tiefe unserer selbst angesiedelt, gleicht es diesem »Café Tabac«: unscheinbar, weder Glanz noch Glitter, aber effizient! 
Ganz unauffällig bahnen sich Café-Freundschaften an.
Ganz unauffällig, sehr zart, webt sich ein Netz im Alltag, von dem ein Duft der Zugehörigkeit ausgeht.
So zurückgezogen, ja einsam man anderweitig auch sein oder sich fühlen mag, hier findet man sich auf subtile Weise mit der Welt verbunden. 

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur? 
Yla von Dach: Literatur schärft auf vielerlei Ebenen das Gehör: Während wir lesen oder übersetzen, lehrt uns ihre Musik das Horchen. Sie kann uns aus uns herausholen, in uns hineinführen. Uns aus den Spurrinnen unserer Ideen herauslupfen, uns in tiefe Gewässer unserer selbst abtauchen lassen, in nie gedachtes, nie in Worte gefasstes Unbekanntes. Sie kann Leben retten. Sie kann Leben kosten. Die Welt kann sie nicht retten. Sie kann unendlich neue Horizonte eröffnen, bis an die Grenze des Denkbaren am Rand einer Stille, die immer grösser sein wird.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
YvD: Das Café war für mich zuallererst eine »Pariser Spezialität«, der erste Ort, an dem die fremd Angekommene Wurzeln schlug. Ich fühlte der Stadt auf den Puls, kam als die Unbekannte daher, doch bald schon als jemand aus dem Quartier, den man begrüsste, wenn sie eintrat. So wunderbar, dieser Empfang, der aus der Anonymität herausholt, ohne irgendwas sonst zu verlangen! Das war genau der Schwimmring, den ich brauchte, um die ersten Monate im Stadtozean nicht unterzugehen. 
Und jetzt? Vielleicht hat mich das Café mehr zur Pariserin gemacht als vieles andere. Das Café als ein Ort, an dem alles möglich ist: konzentrierter Rückzug und unerwartete Begegnungen, stumme Verbundenheit mit der Welt und leichtfüssig wärmende Geselligkeit.

Wo fühlst du dich zu Hause? 
YvD: Da, wo ein Ort etwas ausstrahlt, das in mir eine gewisse Resonanz findet, kann das Gefühl, zu Hause zu sein, zu wachsen beginnen wie ein Pflänzchen auf einem günstigen Boden. Allerdings gibt es nicht wenige Orte auf der Welt, an denen dieser Spross wohl nicht gedeihen könnte…

 

BIO

Zunächst Lehrerin, dann Journalistin, Emigrantin, Übersetzerin und Autorin eines ersten Buches, dessen Titel die Feministinnen von damals entsetzte: Geschichten vom Fräulein (1982), ist Yla von Dach dem Charme von Paris, der tänzerischen Leichtigkeit des französischen Esprits (von damals…!) und dem Sirenengesang der französischen Sprache erlegen, die in der Tiefe ihrer Zellen vielleicht aus einem jahrhundertealten Schlummer erwachte, sollen ihre Vorfahren doch Hugenotten gewesen sein. Seit Jahrzehnten sowohl in Biel wie in Paris zuhause, hat sie zahlreiche Westschweizer Autoren vom Französischen ins Deutsche übersetzt und u. a. drei eigene Texte veröffentlicht, von denen keiner beansprucht, ein »Roman« zu sein.