Andreas Unterweger | Café König, Graz

Foto: Alain Barbero | Text: Andreas Unterweger

 

Ich versank in den Anblick zweier alter Damen, auf deren Tischlein, zwischen einer respektablen Anzahl von Tassen und Tellern, ein Bilderrahmen in der Größe eines Porträtfotos aufgestellt war. In diesem vergoldeten Rahmen, den ich nur von hinten sehen konnte, musste sich – das stand für mich schnell außer Frage – das Foto einer verstorbenen Freundin befinden. Sie mochte den beiden vorausgestorben sein, dachte ich, doch dank des Bildes war sie noch immer hier, immer noch unter ihnen, „unter uns“.
Mein Blick wanderte von den Damen zum Porträt Alfred Kolleritschs, das über meinem eigenen Tisch hing, wanderte hinüber zur Theke, wo die Parte von Heimo Steps platziert war (samt Foto, versteht sich), und mit dem Blick wanderten meine Gedanken: von der Macht der Bilder (wobei mir ein alter Buchtitel einfiel: Noch leuchten die Bilder) zu jener des Stammtischs. Man darf den Kaffeehaus-Stammtisch, die Nachfolge des rituellen Sitzkreises rund um die Feuerstelle, dachte ich, eben nicht unterschätzen. Am Ende, dachte ich, ist der Stammtisch, und mag es sich auch nur um ein -tischlein handeln, größer als der Tod.
Tröstlich, wie mir dieser Gedanke schien, wollte ich ihn sofort notieren und tastete im Rucksack nach meinem Notizbuch. Erst jetzt, kramend und dabei, wie ich gestehen muss, eine Träne aus dem Augenwinkel blinzelnd, bemerkte ich, dass auch auf dem Tisch neben jenem der beiden Damen, an dem ein ehemaliger Fußballspieler die Tagesaktualitäten aus der Zeitung pflückte, ein solcher Bilderrahmen stand. Und ein Tischlein weiter, wo niemand saß? Das Gleiche. Ja, selbst auf meinem eigenen Tisch, unmittelbar neben dem großen Wasserglas, das ich immer bestelle und nie austrinken kann, stand, mir den Rücken zuwendend, ein goldener Rahmen. Als ich ihn umdrehte, sah ich: kein Bild, sondern Wörter (und Zahlen). Die neue Speisekarte.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Andreas Unterweger: Unter den vielen Vorzügen der Literatur ist folgender wohl nicht der geringste: Sie kann einen guten Vorwand darstellen, um Kaffee zu trinken. Manche trinken beim Lesen Kaffee, manche beim Zuhören, viele beim Schreiben. Balzac zum Beispiel soll täglich bis zu 50 Tassen getrunken haben. Es heißt, er habe all den Kaffee trinken müssen, um seine vielen Romane schreiben zu können. Mich aber lässt der Verdacht nicht los, dass es in Wirklichkeit genau andersherum war. Ich glaube, er hat nur deshalb so viel geschrieben, damit er so viel Kaffee trinken konnte.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
AU: Meist gehe ich ins Café, um dort zu schreiben. Aber vielleicht ist es wie bei Balzac, und ich schreibe nur, um einen guten Grund zu haben, ins Café zu gehen.

Wo fühlst du dich zu Hause?
AU: Das ist mein Kaffee.

 

BIO

Andreas Unterweger ist Schriftsteller und Herausgeber der Literaturzeitschrift manuskripte.
Seine bislang sechs Bücher sind im Literaturverlag Droschl erschienen, zuletzt der Roman So long, Annemarie (2022), der in Nantes spielt. Seine Prosa und Lyrik wurden in mehrere Sprachen übersetzt, etwa Le livre jaune (übersetzt von Laurent Cassagnau, Lanskine, Paris 2019). Er selbst übersetzt hauptsächlich aus dem Französischen (Laure Gauthier, Guillaume Métayer, Fiston Mwanza Mujila …).
Unterweger erhielt u.a. den manuskripte-Preis des Landes Steiermark 2016 und den Preis der Akademie Graz 2009. 2023 wurde er in das schreibART-Förderprogramm des österreichischen Außenministeriums aufgenommen.
www.andreasunterweger.at