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Günter Vallaster | Café Bendl, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Günter Vallaster, auch in: „Melange der Poesie“ (Kremayr & Scheriau, 2017)

 

Bücke dich, sonst prellst du dich, am Türstock und am Lauf der Zeit. Bücke dich, heb die Stunden auf, die irgendwo verloren waren, jetzt sind sie wieder da. „Es ist kurz nach halb sieben“, lacht die Frau in Weiß mit grünem Schal. „Es ist halb acht“, lacht der Mann mit schwarzem Hut an der Bar. Beide haben recht. In diesen Räumen gilt jede Zeit. Aus dem Riemenboden knarren Jahrhunderte, aus den Spalten im Fauteuil schauen Jahrzehnte. Die Überzüge werden bis zum letzten Faden ausgesessen. Die Tische sind Marmorsockel für Figuren, die kommen, gehen, kommen. Und bleiben. Hier sind Kaffeetassen in Tapeten eingewebt. Hier werden Bierdeckel als Kunstwerke gefeiert. Die Leberkässemmeln tragen Strapse. Die Vorhänge hängen, bis sie nicht mehr hängen können. Die Ikonen sind in Blech gestanzt, es wird knisternd zu Vinyl getanzt. Marilyn und Elvis. Wurlitzer und American Heating. Gelborange schimmert die Jukebox in silbergrauer Flammengravur.

 


Interview mit dem Autor

Welche Bedeutung hat Literatur für dich?
Günter Vallaster: Welt entdecken. Menschen entdecken. Sprache entdecken. Sich selbst entdecken.

Welche Bedeutung hat „Kaffeehaus“ für dich?
GV: Als Treffpunkt für verschiedene Besprechungen nach wie vor eine sehr große. Die Atmosphäre aus Kaffee- und Kuchenduft und die patinabehaftete, Geschichte und Geschichten atmende Aura des Interieurs eines Kaffeehauses sind immer Inspirationen, die sich auch gut auf die Kommunikation auswirken.

Warum hast du das Café Bendl gewählt?
GV: Das Bendl ist für mich der Inbegriff von Kaffeehauspatina, alles scheint seit Jahrzehnten unverändert zu sein. Die Plakate gilben, nichts scheint verrückbar. Es ist Kaffeehaus und Kaffeehausmuseum oder -archiv in einem. Man kann auch alleine darin sitzen und dennoch ist die ganze Welt da. Im Interieur kann gelesen werden wie in einem Buch.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
GV: Arbeiten, lesen, schreiben, essen, trinken, schlafen und so weiter, die Dinge des Alltags eben. Wobei ich alles bis auf schlafen auch schon in einem Café gemacht habe.

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Barbara Rieger | Café Bendl, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Auf einem Sessel, der seiner Erfahrung müde ist, wartet A. im Cafe Bendl auf mich. Er wirft seine letzten Münzen in die Jukebox und spielt das Lied der Erinnerung wieder und wieder. Dazu ertönen Rufe der Schiffe des Hamburger Hafens und Schreie der DemonstrantInnen gegen die Abschaffung der Wissenschaft und Kultur in Österreich. Ein Lehrer drängt sich vor die Jukebox und fragt: „Ist das ihr Freund?“ – „Nein, das ist mein Fotograph“, antworte ich und füge hinzu: „Auch ich bin Lehrerin.“ – „Und wo unterrichten Sie?“ – „Hier, aber heute nicht“. Und wenn die Tradition es will, dann werfen wir Bierdeckel in die Menge der deutschen Junglehrer, essen Szegedinergulasch und sprechen Französisch.