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Juliana Kaminskaja | Café Podpisnye Isdanija, Sankt Petersburg

Foto: Alain Barbero | Text Deutsch und Russisch: Juliana Kaminskaja

 

Etwas aufgedonnert und auf Absätzen schwankend aus dem Straßenlärm rein.
Voll in eine friedlich wirkende Belagerung. Umringt von Lektüre in Mengen und Lesenden, die Bücher verdünnt mit Kaffee süffeln.
Die durcheinander geratenen Lager sehen zweifach gefährlich aus, wohl wegen der verdoppelten Neigung zum Verschlingen.
Bitterer Espresso-Geschmack mischt sich mit dem Geruch frisch bedruckter Seiten. Beides lässt sich inhalieren. Einige Atemzüge.
Verszeilen allerlei Sprachen drehen sich im fleißig frisierten Kopf. Karussell.
Aber die geschminkten Augen sind noch auf. Wo bin ich?
A schöne Leich. O, du lieber Augustin…

 

Original

Разрядившись в пух и прах, покачиваясь на каблуках – далеко не уйти.
Неожиданно для себя, но решительно поворачиваю и попадаю в окружение, лишь на первый взгляд – мирное. Кольцом обступают книги, стройность их рядов местами нарушают угнездившиеся среди полок букинисты. Они потягивают тексты, слегка разбавленные кофе, временами прихлёбывая.
Книги поглощают внимание людей, люди внимательно поглощают книги. Странным образом – все остаются живы.
Горьковатый вкус эспрессо смешивается с запахом типографской краски и свежих страниц. Приятная ингаляция.
Еще несколько вдохов – и стихотворные строчки на разных языках уже завертелись в моей старательно взлохмаченной голове. Крутится карусель.
А глаза с вечно неровными стрелками все еще широко раскрыты. Где я?
Погребальный шик, похоронный блеск. Ах, мой милый Августин…

 


Interview mit der Autorin

Du bist Wissenschaftlerin und Übersetzerin. Was bedeutet dir Sprache?
Juliana Kaminskaja: Die Sprache ist für mich eine Art fließende, sich dauernd ändernde Materie, aus der ich bestehe, eine Verschmelzung der mir einigermaßen bekannten Sprachen. Dazu gehören nicht nur gesprochene oder geschriebene Sprachen, sondern auch allerlei Zeichensysteme. Mit und aus dieser Materie bilde ich dauernd veränderliche Vorstellungen von mir und allem Sonstigen, indem ich mit mir, anderen Lebewesen und verschiedenen Texten der mir unbekannten, vielleicht auch längst verstorbenen Leute kommuniziere. Die sprachliche Beschaffenheit vereinigt uns alle, wird aber ganz unterschiedlich erlebt, was ich sehr spannend finde. Für mich persönlich sind die Situationen ganz besonders interessant, in denen die Sprache „versagt“, also an ihre Grenzen stoßt, an die Grenzen ihrer Ausdrucksfähigkeiten. Da schimmert für mich etwas sehr Wichtiges in der Nähe.

Was bedeuten dir Cafés?
JK: Cafés sind für mich eine Möglichkeit, aus der alltäglichen Hektik zu flüchten und schöne Gespräche zu führen. Mit mir und mit nahen, besonders wertvollen Menschen. Das gönne ich mir viel zu selten, leider, aber sehr, sehr gerne. Und noch ist für mich Kaffeehauskultur immer mit meinen Gedanken an Wien verbunden, an die schöne Zeit in Wien und an meine Wiener Freunde!

Warum hast du dieses Café gewählt?
JK: PODPISNYE ISDANIJA mag ich, weil es nicht einfach ein Café ist, sondern ein guter und alter Bücherladen, wo man auch Kaffee trinken kann. Das verbindet zwei Beschäftigungen, die mir wichtig sind.
Auch Genius loci stimmt optimal. Dieser Teil des Litejnyj-Prospektes war immer sehr beliebt bei Bücherfreunden, denn da gab es schöne Läden für alte und antiquarische Bücher. Auf der Suche nach interessanten Funden traf man gerne Bekannte, sprach über allerlei Lektüre, zeigte stolz, was man gerade entdeckt hat. Dann konnte man vielleicht ein Tässchen Kaffee irgendwo in der Nähe trinken.
Diese Tradition war sehr wichtig auch in sowjetischen Zeiten. Die großen Verlage haben damals zwar viel Neues in großen Auflagen gedruckt, aber es war nicht immer interessant, die offiziell erlaubten Neuigkeiten zu lesen. So suchte man alte Bücher und traf Freunde und Gleichgesinnte, was eine große Unterstützung war.
Jetzt kauft man alte Bücher eher über Internet, ohne die Seiten anzufassen, was ich schade finde. Es werden andererseits auch viel mehr unterschiedliche Bücher gedruckt, für ganz verschiedene Kreise der Leserschaft, so sind wir weniger auf alte Bücher angewiesen. Sehr vieles gibt es auch im Internet. Aber die Tradition der speziellen Gespräche unter Bücherfreunden lebt zum Glück weiter. Dazu gehört Kaffee oder Tee, den man gemeinsam trinken kann. Darum gibt es in vielen Büchergeschäften eine solche Möglichkeit. Gerade jetzt, wo so viel Quatsch im öffentlichen Raum gesprochen wird, ist es wichtig.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
JK: Wenn ich allein in so einem Bücher-Café bin, verdaue ich meistens meine Eindrücke, blättre in noch nicht gekauften Büchern, phantasiere, was ich alles kaufe, wenn ich endlich mehr Bücherregale in meiner Wohnung habe… Oft finden sich auch bekannte im Büchergeschäft, dann plaudern wir über allerlei Lektüre oder sonst etwas. Sehr schöne Stunden, so erfreulich, wenn man sie hat!