Dominique Manotti | Corso Quai de Seine, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Dominique Manotti Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Als François Mitterrand, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, 1981 unter allgemeinem Jubel und nach zwanzig Jahren heftiger sozialer und politischer Kämpfe in Frankreich zum Präsidenten der Französischen Republik gewählt wurde, hatte ich sofort den Eindruck, dass diese Wahlen der Linken den Todesstoß versetzten, und das auf Dauer. Jedesmal, wenn ich diese Erinnerung bei einer Diskussion oder einem Treffen erwähne, reagieren meine Gesprächspartner ungläubig. Und dennoch… Ich bin aus der Generation, die den Algerienkrieg erlebt hat. Dieser Krieg hat mich ein für alle Mal verstehen lassen, dass man nicht darauf vertrauen darf, was die Leute und die Organisationen sagen, in der Politik und anderswo, sondern darauf, was sie tun. Als François Mitterrand an die Macht kam, kannte ich seine Rolle als Unterstützer der kolonialen Expansion Frankreichs und seine gewichtige Rolle im Algerienkrieg sehr genau. 1956 stimmt er für die Sonderbefugnisse der französischen Armee auf algerischem Boden und öffnet dadurch eine Büchse der Pandora. Die bösen Geister, die ihr entschlüpft sind, plagen unsere Gesellschaft noch immer. In den Sechziger- und Siebzigerjahren habe ich mich stark im gewerkschaftlichen Milieu Frankreichs engagiert, überzeugt davon, dass wir dabei waren, die Welt zu verändern. Und ich war nicht allein. Ich kannte daher, durch meine Erfahrung in der Gewerkschaft, die tiefe Ignoranz des sozialistischen Parteiapparats gegenüber den sozialen Kämpfen für eine Erneuerung, die das Land erschütterten. Für mich war klar, dass die Machtübernahme und die riesige kollektive Begeisterung, die sie ausgelöst hatte, schwer an der totgeschwiegenen kolonialistischen Vergangenheit zu tragen hatten und außerdem eine echte Verwurzelung in den sozialen Kämpfen fehlte, sodass alles in einer Sackgasse und in Verdrossenheit enden würde. Ich war verzweifelt, habe mein Engagement aufgegeben, Bilanz gezogen und ein Jahrzehnt später damit begonnen, Romane zu schreiben um zu erzählen, wie meine Generation gescheitert ist. Romans noirs natürlich – immer erzählen, was die Leute machen, und nicht, was sie sagen.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur ?
Dominique Manotti: Es ist schwer, auf eine so allgemeine Frage zu antworten. In meiner Jugend haben mir die Romane, die ich verschlungen habe, die Welt eröffnet. Ich habe Figuren kennengelernt, mit denen ich jahrelang Gespräche geführt habe. Sie haben mich zu lieben und zu hassen gelehrt. Ich habe sie immer wieder getroffen, und sie haben mir dabei geholfen zu verstehen, wer ich war. Wenn ich jetzt ein Romanthema wähle, wenn ich zu schreiben beginne, dann mache ich das, um die Ereignisse, von denen ich erzähle, zu verstehen, sie zu vertiefen, um einen Dialog mit den Männern und Frauen, die mich lesen, zu beginnen.

Welche Bedeutung haben Cafés für Sie?
DM: Das Café Corso, gleich bei mir ums Eck, liegt am Bassin de la Villette, einem der schönsten Plätze von Paris. Immer, wenn ich es sehe, bin ich glücklich. Dieses Café bezeichnet sich als „Pariser Café mit dem Geschmack Italiens“ – alles, was ich liebe. Und gleich daneben ist ein Kino, in das ich oft gehe. Durch den amerikanischen Film noir habe ich den Roman noir entdeckt, das Kino beeinflusst mein Schreiben, ich liebe das Kino. Ich wünsche dem Café Corso, wo ich mich mit Freunden treffe um zu plaudern und über die Filme zu sprechen, die wir uns gerade gegönnt haben, noch viele Jahre.

Wo fühlen Sie sich zu Hause?
DM: In meiner Wohnung.

 

BIO

Geboren 1942 in Paris. Unterrichtete Geschichte zuerst im Gymnasium, später an den Universitäten Vincennes und Paris VIII. Seit ihrer Jugend politisch engagiert, zuerst für die Unabhängigkeit Algeriens, später, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, in verschiedenen Bewegungen und Gewerkschaften, später schließlich Romanautorin. Debüt 1995 mit Sombre Sentier (Hartes Pflaster,2004). Sie hat 13 Romane geschrieben, die alle auf Deutsch und teilweise auf Italienisch, Englisch, Spanisch, Katalanisch, Türkisch, Griechisch, Rumänisch und Russisch übersetzt wurden.

Website: dominiquemanotti.com