Mario Schlembach | Gasthof Schlembach, Sommerein

Foto: Alain Barbero | Text: Mario Schlembach

 

„Gemma zum Schlembach“ sind geflügelte Worte in Sommerein. Gemeint ist damit ein Besuch im Gasthof meines Onkels. Die Eröffnung fand im Frühjahr 1986 statt, weshalb meine Taufe verschoben werden musste. Nicht die Leidenschaft für das Gewerbe, sondern die Liebe brachte meinen Onkel in die Gastronomie. Als gelernter Maurer erfüllte er meiner Tante ihren großen Wunsch. Er gab seine Arbeit auf, verkaufte das selbsterrichtete Einfamilienhaus am Dorfrand und erstand – unter Anhäufung großer Schulden – die Ruine einer alten Schmiede im Ortskern. Abriss und Wiederaufbau erforderten viele helfende Hände, bis das Café-Restaurant Schlembach – Zur alten Schmiede – so der ursprüngliche Name – aufsperren konnte. Der Traum meiner Tante wäre ein einfaches Café gewesen, aber noch vor der Eröffnung mussten Kompromisse eingegangen werden, um sich dem Konkurrenzkampf im Dorf zu stellen. Neben einer Unzahl an Heurigen sowie drei Gasthäusern, gab es nicht viel Spielraum. Der Schlembach wuchs und wuchs. Das geplante Café wurde mit einem Restaurantbetrieb erweitert. Das Dachgeschoss wurde mit Fremdenzimmern ausgestattet. Im Keller wurde eine Disco errichtet. Essen auf Rädern. Veranstaltungen. Catering. Und … und … und. Irgendwann verließ die Tante meinen Onkel und der Gasthof war alles, was ihm von ihr blieb. Die Jahre vergingen und das schleichende Wirtshaussterben erreichte bald auch Sommerein; nur der Schlembach überlebte – händeringend adaptierend, adaptierend. Mein Onkel ist jetzt über 70 Jahre alt. Kinder hat er keine, nur das Wirtshaus, für den es noch keinen Nachfolger gibt. Die Zukunft vom Schlembach ist ungewiss. Die Zeit wird zeigen, ob er weiter bestehen kann oder er seinen Namen verliert.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Mario Schlembach: Für mich war Literatur ein Befreiungsakt. Die Möglichkeit, aus vorgefertigten Strukturen auszubrechen und gleichzeitig eine Ausrede, anders sein zu dürfen. Meine Eltern führten eine Landwirtschaft. Mein Onkel den Gasthof Schlembach. Bei beiden standen mein Bruder und ich in vorderster Front für die Nachfolge. Das Schreiben wurde deshalb für mich zum Akt des Widerstands, der Selbstermächtigung – ein Austreten und Wegtreten. Und gleichzeitig die Möglichkeit, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MS: Seit meiner Kindheit ist mein Name nicht mit einer Person, sondern mit einem Ort verbunden: der Schlembach. Es birgt alle Vor- und Nachteile, das Medium für ein Café (mit Restaurant und Discokeller) im Dorf zu sein: Gute Ressourcen, Kommentarmistkübel, Kummerbox, etc. Hier bin ich kein Literat, sondern Ansprechpartner für die Gäste und Buchhalter für meinen Onkel. Textgattung: Rechnung und Menüpläne. Trotzdem (oder vielleicht deshalb) sind für mich alle anderen Cafés (die nicht der Schlembach sind) zu den liebsten Schreiborten geworden. Ich genieße die Ruhe, in einer anonymen Masse allein zu sein, loszulassen und gleichzeitig ständig mit der eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft konfrontiert zu sein. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
MS: Manchmal beim Schlembach.

 

BIO

Mario Schlembach (* 1985) lebt als Schriftsteller und Totengräber in Niederösterreich. Er schreibt Romane, Theaterstücke und Reportagen u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Der Standard. Seine beiden ersten Romane DICHTERSGATTIN (2017) – 2019 auch als Theaterstück uraufgeführt – und NEBEL (2018) erschienen im Otto Müller Verlag (Salzburg) und erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Sein neuestes Buch HEUTE GRABEN erschien im Frühjahr 2022 im Kremayr & Scheriau Verlag (Wien). www.bauernerde.at