Muriel Augry | Les Éditeurs, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Muriel Augry | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Saint-Germain des Prés, der Boul‘Mich, das sind unweigerlich die Viertel der Universitätsjahre, Tage, ebenso verrückt wie lernintensiv, ebenso lernintensiv wie verrückt … Jahre der Begegnungen, der Entdeckung eines Anderswo, eines Anderen.
Es ist der Heißhunger auf Bücher, der in der Bibliothek verbrachten Stunden und dann der „Diabolo Minz“ am Ausgang, an der Ecke eines Tisches, damit sich Das Buch in der Mitte entfalten  lässt. 
„Les Editeurs“ (Die Verleger), ein Café mit einem Namen, der zum Träumen einlädt. Verlegt werden, gelesen werden … Seit meinem achten Lebensjahr, in meiner Grundschule in der Pariser Vorstadt, der Wunsch die Worte aneinanderzureihen, sie aufs Papier zu betten, Wunsch, unterstützt von der Lehrerin, die mich mit einem Buch belohnte, wenn ich die geforderte Aufgabe fertig hatte, vor den anderen Schülern. Wachsender Wunsch, sie  weiterleben zu lassen, sie mit anderen zu teilen, sie flügge werden zu lassen.
Jahre später, Paris, Ort der geschäftlichen Besprechungen, der Familientreffen. Die Hauptstadt am Scheideweg so vieler Wege. Wie viele besuchte Orte, durchreiste Länder, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden.  
In Paris sein, so umringt und so allein, die Gegensätze kombinieren. Zwischen einer Passion und einer anderen leben. Die Monotonie ablehnen und schreiben. Schreiben. 

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Muriel Augry: Ich würde gerne sagen, dass Literatur alles kann. Ich möchte daran glauben. Aber das hängt damit zusammen, welche Achtung wir ihr entgegenbringen. Für mich ist sie ein Credo. Sie begleitet mich seit jeher. Sie ist eine treue Begleiterin, die mich niemals enttäuscht. Die Literatur vermittelt eine Lehre, Literatur regt uns an, unseren kritischen Geist zu schärfen, Literatur unterhält und lädt uns zu einem räumlichen und zeitlichen Tapetenwechsel ein. Derjenige, der nicht mit ihr verkehrt, der hat einen Mangel in seinem Leben. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
MA: Sie sind von entscheidender Bedeutung für mich. Ich habe viele Jahre im Ausland gelebt, gearbeitet und habe immer Cafés gesucht: dieser Ort der Pause an einem gut gefüllten Tag, dieser Ort des Lebens, unordentlich. Ich gehe am liebsten allein hin und lerne dann meine Tischnachbarin, meinen Tischnachbarn kennen. Ich kann mich dort perfekt zurückziehen, wie in einer Blase, die ich kreiere. Im Café schreibe ich kurze Texte, oft Poesie …

Wo fühlst du dich zu Hause? 
MA: Ich habe nicht wirklich ein „Zuhause“. Oder eher zahlreiche Zuhause. Es sind die Städte, in denen ich gewohnt habe, in Europa, in Afrika. Wo ich schöne Freundschaften geschlossen habe. Wo ich mich wohl fühle. Ich bin eine Erbin Stendhals — Uni bene, ibi patria (Wo es einem gut geht, ist die Heimat). Es kann also hier oder dort sein. Dort, wo man die stärkste Affinität von Herz und Geist spürt … und damit sind wir wieder bei der Literatur! 

 

BIO

Muriel Augry hat zwei Leidenschaften: das Reisen und das Schreiben. Sie wohnt zurzeit in Paris, nachdem sie im Bereich der „kulturellen Diplomatie“ in Italien, Marokko und  Rumänien arbeitete und an der Universität Turin lehrte. Sie publizierte etwa zehn poetische Anthologien in Zusammenarbeit mit Kunstmalern. Sie erhielt den Preis der „l’Académie française“ für ihren Essay Le cosmopolitisme dans les textes courts de Stendhal et Mérimée und den Vénus Khoudry Ghata-Preis der Poesie für den Bildband Les lignes de l’attente.