Peter Hodina | Pasticceria Duca D’Este, Ferrara

Foto: Alain Barbero | Text: Peter Hodina

 

Es ist mehr ein Zufall, dass wir die Pasticceria Duca D‘Este hier in Ferrara ausgesucht haben. Der Regenschauer hat uns hereingetrieben. Außer uns sind während der Siesta keine Gäste zu sehen: um so besser lässt sich parlieren, inszenieren und fotografieren. Die Einrichtung ohne Gäste hat etwas direkt schon Brutalistisches. Auch wie ich hier sitze, ein dunkles Bier nach dem anderen trinkend, ist unverstellt, nicht gestellt. Oder ich bin gestellt, wie ich leibe und lebe. Wenn ich Cafés alleine besuche, dann immer nur so zwischendurch und ungeplant. 

Blicken wir aus dem Fenster, steht allerdings sogleich ein Lieblingsbauwerk von mir vor unseren Augen: das von einem Wassergraben umgebene Castello Estense, das den Ferrareser Herzögen als Residenz diente, worauf auch der Name unseres Cafés anspielt. Dieses imposante Bauwerk findet sich insbesondere auf Gemälden von Giorgio de Chirico, dem Hauptvertreter einer Pittura metafisica. 

Ich wandere abends gerne um diese roten Mauern herum und komme aus dem Staunen nicht heraus. Es ist für mich ein Symbol des erratischen, zeitenüberdauernden Beharrens. Von diesem Bauwerk will ich mir etwas für ein eigenes Werk abschauen: es ist das Symbol meines eigenen künftigen philosophischen Buches, das ich umkreise. Ich blicke zur Turmuhr hinauf, wie spät es für mich ist. Charles Dickens mochte das Castello nicht, das er „eine finster dräuende Stadt für sich allein“ nannte. Das Denkmal für Savonarola, der 1452 in Ferrara geboren wurde, komplettiert diesen Eindruck. 

Neulich hatte ich einen Traum, in dem der kinderlos gebliebene Herzog Borso d’Este mich erfahren ließ: „Was du in dir mitbrachtest an Bedrückendem, deine alte Leier zählt hier nicht im Umkreis meines Szepters. Magst es Utopie nennen, nachträgliche. Nie fühlte sich ein Herrscher in seinem Schuhwerk wohler.“

Am Vorplatz steht eine alte Kanone, auf der ich schon als Zwölfjähriger hinaufkletterte und feststellen musste, dass das Rohr vorne verschlossen war. Auch wollte ich mir unbedingt damals einen der runden Steine vom Pflaster herausbrechen, als wären diese Steine ganz besondere Leckerbissen. Noch heute hege ich den gleichen Appetit auf sie; ich begnüge mich jedoch damit, sie nur zu fotografieren.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Peter Hodina: Alles und nichts. Und etliches dazwischen. Ich möchte diese Frage unbescheiden und tendenziell viel optimistischer als für gewöhnlich beantworten. Österreich ohne Thomas Bernhard wäre ein anderes. 
Vielleicht hat sie auch potentielle Unholde an sich so sehr gebunden, dass wir weiter nichts von ihnen wissen. Insofern könnte die Literatur destruktive Kräfte neutralisiert haben. Sie wurden dann Leser statt Täter. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
PH: Keine so überaus große. Ich würde mich niemals mit meinem Notebook sichtbar für alle in meinem Stammcafé aufpflanzen, um zu zeigen, dass ich arbeite. Ich habe nicht einmal ein Stammcafé. 

Wo fühlst du dich zu Hause? 
PH: Dort, wo mir das Fällen eines Baumes oder der Abriss eines alten Hauses persönlich nahegeht. Wo ich in den Nächten viele Stunden wachliege, um das Verlorene in mir zu rekonstruieren. Ich kann den Rest meines Lebens darüber traurig sein, wenn eine Wurzel am Waldweg, über die ich als Kind mit meiner Großmutter klettern musste, nach Jahrzehnten beseitigt wurde. Oder jener Baum, der ein Fahrverbotsschild überwachsen hatte, das wie ein Auge aus Rindenlidern hervorblinzelte.

 

BIO

Peter Hodina, am Neujahrstag 1963 geboren. Lebt in Salzburg, Berlin, Silberwald und Wien. 
Buchveröffentlichungen: 
Steine und Bausteine 1-3, Berlin: Avinus, 2009-2014. 
Sternschnuppen über Hyrkanien, St. Wolfgang/Wien: Edition Art Science, 2012. 
Spalier der Farne. Notate, Wien: Fabrik.Transit, 2022.