Radka Denemarková | Café Trabant, Wien
Foto: Alain Barbero | Text: Radka Denemarková
Immer wenn ich in Wien bin, wohne ich in der Kulturdrogerie. Um die Ecke gibt es das Café Trabant. Im Frühling habe ich dort Alain Barbero getroffen. Mein Spitzname ist „Schwalbe von Prag“ und in diesem Café habe ich mein „Schwalbennest“ gefunden.
Das Café ist eine Art von Zuhause, das das Profil der Umgebung respektiert und mit Gefühl kultiviert. Es bedeutet, die Menschen tief zu verstehen, dort, wo die Stadt und die Straße ihren besonderen Charakter, ihre einzigartige Atmosphäre, ihren Stil und Kultur haben. Da ist das menschliche Leben nicht auf das Stereotyp von Produktion und Konsum reduziert.
Im Café Trabant haben wir uns mit Alain entschieden: Etwas unternehmen können wir alle und jetzt und hier. Niemand wird das für uns tun und auf niemanden können wir warten. Man soll – unter verhältnismäßig schwierigen Bedingungen – unabhängiges und nicht manipulierbares Leben wieder aufzuleben. Und nur eine solche Orientierung kann offensichtlich zu einer Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen führen, in der der Mensch wieder konkrete menschliche Person ist.
Diese Momente im ruhigen Wiener Café waren einfach eine Manifestation des Lebens. Gegenüber der Welt des Scheins und der Interpretation steht hier plötzlich die Wahrheit – die Wahrheit der Menschen, die auf ihre Weise leben wollen. In diesem Kontext erscheint mir das Café als eine solche elementare und spontane Manifestation dieses Lebensgefühls gegen jede Art der Manipulation. Welchen Sinn hat dieses Leben in dieser Zeit? Niemand entwickelt sich im luftleeren Raum. Die Zeit, in der der Mensch aufwächst und reift, beeinflusst immer sein Denken. Es geht eher darum, auf welche Weise sich der Mensch beeinflussen lässt, ob auf gute oder schlechte Weise. Die Hoffnung haben wir entweder in uns oder wir haben sie nicht. Danke, Alain. Vive la liberté!
Kurzinterview mit der Autorin
Was kann Literatur?
Radka Denemarková: Die Literatur ist die Gesamtheit aller Formen der Kunst, der Liebe, der Freundschaft und des Denkens, die dem Menschen erlauben, weniger Sklave zu sein. Die Literatur so wahrzunehmen, ist die reinste Form der Liebe.
Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RD: Die westliche und östliche Welt, obwohl sie sich in vieler Hinsicht unterscheiden, machen eine einzige und gemeinsame Krise durch. In Cafés kann man mit den Überlegungen zu einer besseren Alternative der Welt beginnen. Man versucht auch einige grundlegende Themen der Zeit tiefer zu erfassen und wirklich zu artikulieren, es ist nicht nur ein Aufschrei der Authentizität, sondern der Versuch einer Analyse. Radka und Alain. Zwei Menschen am Tisch.
Wo fühlst du dich zu Hause?
RD: In Prag. Auf der Insel Amrum.
BIO
Geboren 1968, lebt in Prag. Schreibt Prosa, Essays, Theaterstücke, übersetzt aus dem Deutschen ins Tschechische (u.a. Bertolt Brecht, Thomas Bernhard, Herta Müller: Atemschaukel). Letzte Veröffentlichung: Stunden aus Blei (2022) erscheint im Hoffmann und Campe Verlag). Für den Roman Ein herrlicher Flecken Erde (DVA, 2009) erhielt sie u. a. den 2012 Berliner Georg-Dehio Buchpreis und wurde 2017 zum schwedischen International Writers´ Stage at Kulturhuset Stadsteatern (short-list) nominiert. Für den Roman Ein Beitrag zur Geschichte der Freude erhielt sie u.a. in der Schweiz Spycher Literaturpreis Leuk 2019. Für den Roman Stunden aus Blei erhielt sie den Brücke- Berlin Literaturpreis 2022 und österreichischen Literaturpreis des Landes Steiermark. 2007, 2009, 2011, 2019 erhielt sie den höchsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera. Grazer Stadtschreiberin 2017/2018. Auf Einladung des IWM weilte sie 2023 in Wien.