Simone Buchholz | Kurhaus, Hamburg

Foto: Alain Barbero | Text: Simone Buchholz

 

Vielleicht ist das Kurhaus mein eigentliches Zuhause, vielleicht bin ich aber auch nur eine Art Möbelstück im Kurhaus, bestimmt werde ich es nie erfahren, denn dein Zuhause sagt dir nicht „ich bin übrigens dein Zuhause!“, und einem Möbelstück sagt niemand „du bist übrigens eine Couch!“.
Für das Zuhause spricht, dass ich jede Ecke des Ladens kenne, dass es mir egal ist, wie ich in welcher Ecke des Ladens aussehe, dass es nur wenige Orte gibt, an denen ich mich so geliebt fühle, und dass mein Vater mich sehr gern im Kurhaus besuchte, um dort heimlich mit mir zu trinken und zu rauchen, als er es noch konnte.
Für das Möbelstück spricht, dass ich den Blick auf die kleine Kreuzung vorm Kurhaus seit über 25 Jahren kenne, und zwar zu jeder Jahreszeit, zu jeder Uhrzeit, und bei jedem Wetter (es ist traumhaft, wenn es schneit und alles ganz still ist, es ist traumhaft, wenn es 30 Grad hat und Hamburg fröhlich durchdreht), und dass ich nirgends sonst so schön unsichtbar und einfach nur anwesend sein kann.
Vielleicht ist es auch egal, was genau das Kurhaus ist oder was genau ich bin, so ein großer Unterschied ist ja nicht zwischen „sich irgendwo zu Hause fühlen“ und „irgendwo irgendein Möbelstück sein“.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Simone Buchholz: Gedanken befreien und Herzen öffnen, Literatur ist internationale Antifa.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SB: Sie sind die einzigen Lagerfeuer, die wir noch haben.

Wo fühlst du dich zu Hause?
SB: Genau genommen in jeder guten Bar.

 

BIO

Simone Buchholz wurde 1972 in Hanau geboren und ist im Spessart aufgewachsen. 1996 zog sie nach Hamburg, wegen des Wetters. Ihre Romane erscheinen im Suhrkamp Verlag, die Chastity-Riley-Reihe wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis und dem International Dagger Award. Im September 2022 erschien Unsterblich sind nur die anderen.
Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne Getränkemarkt im SZ-Magazin sowie Texte für die ZEIT.