Radka Denemarková | Café Trabant, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Radka Denemarková

 

Immer wenn ich in Wien bin, wohne ich in der Kulturdrogerie. Um die Ecke gibt es das Café Trabant. Im Frühling habe ich dort Alain Barbero getroffen. Mein Spitzname ist „Schwalbe von Prag“ und in diesem Café habe ich mein „Schwalbennest“ gefunden.

Das Café ist eine Art von Zuhause, das das Profil der Umgebung respektiert und mit Gefühl kultiviert. Es bedeutet, die Menschen tief zu verstehen, dort, wo die Stadt und die Straße ihren besonderen Charakter, ihre einzigartige Atmosphäre, ihren Stil und Kultur haben. Da ist das menschliche Leben nicht auf das Stereotyp von Produktion und Konsum reduziert.

Im Café Trabant haben wir uns mit Alain entschieden: Etwas unternehmen können wir alle und jetzt und hier. Niemand wird das für uns tun und auf niemanden können wir warten. Man soll – unter verhältnismäßig schwierigen Bedingungen – unabhängiges und nicht manipulierbares Leben wieder aufzuleben. Und nur eine solche Orientierung kann offensichtlich zu einer Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen führen, in der der Mensch wieder konkrete menschliche Person ist.

Diese Momente im ruhigen Wiener Café waren einfach eine Manifestation des Lebens. Gegenüber der Welt des Scheins und der Interpretation steht hier plötzlich die Wahrheit – die Wahrheit der Menschen, die auf ihre Weise leben wollen. In diesem Kontext erscheint mir das Café als eine solche elementare und spontane Manifestation dieses Lebensgefühls gegen jede Art der Manipulation. Welchen Sinn hat dieses Leben in dieser Zeit? Niemand entwickelt sich im luftleeren Raum. Die Zeit, in der der Mensch aufwächst und reift, beeinflusst immer sein Denken. Es geht eher darum, auf welche Weise sich der Mensch beeinflussen lässt, ob auf gute oder schlechte Weise. Die Hoffnung haben wir entweder in uns oder wir haben sie nicht. Danke, Alain. Vive la liberté!

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Radka Denemarková: Die Literatur ist die Gesamtheit aller Formen der Kunst, der Liebe, der Freundschaft und des Denkens, die dem Menschen erlauben, weniger Sklave zu sein. Die Literatur so wahrzunehmen, ist die reinste Form der Liebe.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RD: Die westliche und östliche Welt, obwohl sie sich in vieler Hinsicht unterscheiden, machen eine einzige und gemeinsame Krise durch. In Cafés kann man mit den Überlegungen zu einer besseren Alternative der Welt beginnen.  Man versucht auch einige grundlegende Themen der Zeit tiefer zu erfassen und wirklich zu artikulieren, es ist nicht nur ein Aufschrei der Authentizität, sondern der Versuch einer Analyse. Radka und Alain. Zwei Menschen am Tisch.

Wo fühlst du dich zu Hause?
RD: In Prag. Auf der Insel Amrum.

 

BIO

Geboren 1968, lebt in Prag. Schreibt Prosa, Essays, Theaterstücke, übersetzt aus dem Deutschen ins Tschechische (u.a. Bertolt Brecht, Thomas Bernhard, Herta Müller: Atemschaukel). Letzte Veröffentlichung: Stunden aus Blei (2022) erscheint im Hoffmann und Campe Verlag). Für den Roman Ein herrlicher Flecken Erde (DVA, 2009) erhielt sie u. a. den 2012 Berliner Georg-Dehio Buchpreis und wurde 2017 zum schwedischen International Writers´ Stage at Kulturhuset Stadsteatern (short-list) nominiert. Für den Roman Ein Beitrag zur Geschichte der Freude erhielt sie u.a. in der Schweiz Spycher Literaturpreis Leuk 2019. Für den Roman Stunden aus Blei erhielt sie den Brücke- Berlin Literaturpreis 2022 und österreichischen Literaturpreis des Landes Steiermark. 2007, 2009, 2011, 2019 erhielt sie den höchsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera. Grazer Stadtschreiberin 2017/2018. Auf Einladung des IWM weilte sie 2023 in Wien.

 

Theodora Bauer | Café Museum, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Theodora Bauer

 

Das Café Museum. Repräsentation, Repräsentation, Repräsentation. Obwohl mittlerweile Teil der großen Landtmann-Kette, strahlt es für mich nach wie vor den Charme eines edlen, kleinen Wiener Cafés mit der einer solchen Institution eigenen Würde aus. Ich – das muss ich gestehen – bin keine große Kaffehaus-Gängerin. Ich arbeite am liebsten zu Hause in Jogginganzug oder Pyjama, mit einer Tasse Kaffee, aus dem eigenen Vollautomaten frisch heruntergerumpelt, mit zerknittertem Gesichtsausdruck und bedenklicher Haltung auf meinem Schreibtischstuhl. Ins Café Museum gehe ich also nicht zum Schreiben, sondern zu geschäftlichen Treffen – was ja durchaus auch ein mir sehr angenehmer Teil meiner Arbeit ist. Das hier ist das Café, das ich vorschlage, wenn jemand noch nie in einem Wiener Kaffeehaus war und unbedingt ein „echtes“ sehen möchte; wenn jemand ein Interview mit mir führen oder man zukünftige gemeinsame Projekte besprechen will. Die Atmosphäre ist repräsentativ, aber nicht bieder; das Café strahlt Ruhe und eine gewisse unterschwellige Betriebsamkeit gleichzeitig aus. Es wirkt eingewohnt und trotzdem nicht ranzig. Gemütlich und dennoch edel. Ein Ort, der Anonymität und Öffentlichkeit gleichermaßen bietet. Schlicht: Ein durch und durch Wienerisches Café, das ich immer wieder gerne besuche.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Theodora Bauer: Eine große Frage mit einer Antwort, die die Grenzen dieses Interviews sprengen würde.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
TB: Cafés sind für mich schöne Optionen – wenn jemand nicht zu Hause arbeiten kann oder will, gibt es immer die Möglichkeit, ein Wohnzimmer außerhalb der eigenen vier Wände aufzusuchen und dort auch zu verweilen. Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass das in einer Großstadt wie Wien noch möglich ist.

Wo fühlst du dich zu Hause?
TB: In Wien und im Burgenland.

 

BIO

Geboren in Wien, aufgewachsen im Burgenland. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und der Philosophie. Schreibt Romane („Das Fell der Tante Meri“, „Chikago“), Theaterstücke und Kurzprosa. Seit 2018 moderiert sie die Literatursendung „literaTOUR“ auf ServusTV.
Nähere Infos auf www.theodorabauer.at

Maria Sterkl | Café Schopenhauer, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Maria Sterkl

 

Montag

Sie trugen Anzughosen mit Bundfalten und bügelfreie Hemden, niemals sah man sie in Jeans. Im Sommer wischten sie sich den Schweiß von der Stirn, im Winter saßen sie in dicken Jacken im gut beheizten Raum. Fünf, sechs, sieben Männer saßen rund um den kleinen Spieltisch, an dem zwei in ihr Brettspiel vertieft waren. Backgammon. Trictrac. Puff. Scheschbesch. Sie kamen aus Ägypten, sagten sie, als ich sie fragte. Kopten seien sie, sagten sie mir ungefragt. Seit dem elften September musste man als nicht weißer Mann in Wien den Verdacht, in den Islam geboren zu sein, unentwegt aus dem Weg räumen. Jeden Montag spielten sie im Cafe. Wer nicht am Zug war, analysierte. Wer nicht rauchte, gab Feuer. Sie tranken Tee, ich sah ihnen zu. Ich fragte mich, wo ihre Frauen waren. Sie fragten nicht, wer ich war, ich wusste nicht, wie sie hießen. Wir ließen einander in Frieden. So sagte man damals.

Irgendwann kamen sie montags nicht mehr. Ich suchte sie in allen Cafes im Bezirk, ich fand sie nicht. Ich suchte in anderen Vierteln, Bezirken, ging bis zum Stadtrand und darüber hinaus. Ich suchte in der Wüste, im Meer, in den Trümmern verlassener Häuser. Ich suche sie immer noch, nur an den Montagen halte ich inne. Dann frage ich sie um Rat. Sie würfeln, seufzen, machen ihre Züge. Und lassen mich in Frieden.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Maria Sterkl: Literatur kann trösten, verstören, aufrütteln, beruhigen, entfremden, ein Zuhause bieten. Literatur kann Mächtige gefährden, aber auch von Mächtigen missbraucht werden. Literatur ist kein Wert an sich, aber ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass Literatur mir das Leben gerettet hat.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MS: Draußen zuhause sein. Der Raum ist dabei wichtiger als der gute Kaffee und das gute Service, darum mag ich alte Wiener Kaffeehäuser gerne.

Warum hast du Café Schopenhauer ausgewählt?
MS: Vor allem wegen schöner Erinnerungen. Ich war hier in einer Phase meines Lebens sehr gerne und oft, vor allem allein und schreibend. Ich mochte die Stille, das Düstere, die dunklen Bezüge, die alten Männer mit ihren Brettspielrunden. Außerdem gab es damals einen sehr freundlichen Kellner, der zu den verschiedenen Zeitungen im Café seine Einschätzung abgab. Als ich einmal zur Kronen Zeitung griff, sagte er: “Die muss man nicht aufschlagen, um zu wissen, was drin steht.”

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
MS: Nachts schlafe ich meistens. Tagsüber verzweifle ich gerne.

 

BIO

Maria Sterkl, lebt in Jerusalem und Haifa. Geboren 1978 in Krems/Donau, Österreich. Studium der Handelswissenschaften in Wien, Sönderborg und Parma. Derzeit Korrespondentin für Israel und Palästina für den STANDARD, regelmäßige Berichterstattung auch in der Frankfurter Rundschau, der Badischen Zeitung und den Blättern der Funke Mediengruppe Berlin. Literarische Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften, zuletzt nominiert für die Floriana 2022.

Sophia Lunra Schnack | Kaffee Monarchie, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Sophia Lunra Schnack

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Sophia Lunra Schnack: Öffnen und bremsen. Gedankengänge, Emotionen, Überzeugungen in Bewegung setzen. Gerade junge Menschen können sich sozusagen Lebenserfahrung, Reflexionsfähigkeit und sinnliche Bereitschaft anlesen. Literatur kann Zeitabläufe bremsen, sich gegen ein durchgetaktetes Dasein positionieren. Und gegenüber der gegenwärtig zunehmenden Automatisierung und Anonymisierung würde ich sagen, dass Literatur den Menschen, das Menschliche bewahren kann.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SLS: Wenn mir zuhause Stille zum Arbeiten zu radikal wird, wechsle ich in ein Kaffeehaus. Es muss aber die richtige Mischung aus sanftem Stimmenrauschen und Rückzug geben. Da gibt es einige Stammcafés, von denen ich weiß, da geht es, da habe ich eine Ecke, mein Schneckenhaus, aus dem ich aber jederzeit herauskriechen kann um Kontakt aufzunehmen. Ich liebe diese ungezwungene Art, mit unbekannten Personen ins Gespräch kommen zu können, aber nicht zu müssen.

Wo fühlst du dich zu Hause?
SLS: Zu Hause sein hat für mich immer mit Sprache zu tun. Lange Zeit habe ich mich in der französischen Sprache zuhause gefühlt, hatte mit meiner Muttersprache Probleme. Da war es auch sehr naheliegend für mich, in Frankreich zu leben. Das Fluchtverhalten vor meiner Muttersprache habe ich mittlerweile überwunden, jetzt habe ich einen sprachlichen Haupt- und Zweitwohnsitz. Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen in einem Land zu leben, in dessen Klänge ich nicht einfließen kann.

 

BIO

Sophia Lunra Schnack (*1990) lebt und schreibt derzeit überwiegend in Wien. Sie verfasst Lyrik und (lyrische) Prosa in diversen namhaften Literaturzeitschriften, u.a. in den manuskripten, der Poesiegalerie oder Das Gedicht.
2022 erhält sie den rotahorn-Förderpreis und seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für Das Gedicht. Im August 2023 erscheint ihr Debütroman „feuchtes holz“ (Otto Müller).
Derzeit arbeitet sie an ihrer Kurprosasammlung „Fliederkuss“ sowie an einem zweisprachigen Lyrikband „wimpern piniengrün – cils vert de pins“.

Marcus Fischer | Café Weidinger, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Marcus Fischer

 

Das Café Weidinger

Du bist wie ein alter Herr in elegantem, seit Jahrzehnten getragenem, abgestoßenem und zerschlissenem Gewand, der nichts von seiner Würde verloren hat. Die Jungen bewundern deinen Stil. Ich auch, und die Ruhe, die du ausstrahlst. Und die schrulligen, liebenswerten Gestalten, die dich umgeben.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Marcus Fischer: Literatur kann uns die Menschen von innen zeigen. Wir erleben Figuren in ihren Ängsten, ihrer Scham, ihrem Neid, ihrer Liebe, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung. Diese Innensicht liefert Literatur besser als jedes andere Medium.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MF: Es fällt mir oft leichter, mich abzuschotten und zu konzentrieren, wenn um mich herum ein gleichmäßiges, wellenartiges Treiben herrscht. Cafés sind dafür der perfekte Ort. Ich setz mir dann Kopfhörer auf, höre oft stundenlang ein und dasselbe Lied und tauche in meine Geschichte ein.

Wo fühlst du dich zu Hause?
MF: Einfache Antwort: in meinen Texten, egal wo ich sie schreibe. Und in der Natur, unter vertrauten Menschen und an liebgewonnenen, inspirierenden Orten – wie dem Kaffeehaus.

 

BIO

Geboren 1965 in Wien, Studium der Germanistik in Berlin, schreibt Prosa und Lyrik. Nach dem Studium Arbeit als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und als Texter in Werbeagenturen in Berlin und Wien. Publikationen in Anthologien, Literaturzeitschriften und im Radio. Sein 2022 erschienener Roman „Die Rotte“ (Leykam Verlag) wurde mit dem Rauriser Literaturpreis 2023 für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet.

 

Maria Seisenbacher | Café Ritter Ottakring, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Maria Seisenbacher


ich bezeuge […]

Schnee erreicht uns nur
an weit verzweigten Orten
im streitbaren Stimmen
so lange nicht
so lang

Schlaf findet
ferner verweilt er
ineinander nicht gesehen
der Wahrscheinlichkeit
so lange nicht
so lang

Kristalle beschirmen kleine Narben
nur einmal fiel Rachen
Husten, überschüssig Luft in
Nichts
so lange nicht
so lang

ich weiß:
Finger bilden Leber –
Weichtier vereinzelt ohne Arm
ich weiß: nichts
vom Abbild zielbarer Geschichten
so lange nicht
so lang

entfache wahllos Ränder, Wellen
Flächen oder Kiesel
danach bezeuge ich
vor meiner Haut:
ichhabmichlangenichtgesehen

so lange nicht
so lang
die Welt abdreht

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Maria Seisenbacher: Ein selbstgewählter Zufluchts-, Lern-, Erfahrungs- und Arbeitsort gefüllt und erfüllt mit körperlich-geistiger Leidenschaft.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MS: Ein Zufluchtsort vor mir alleine arbeiten zu müssen. Im Café höre, sehe, lese und beobachte ich andere Menschen und mich.

Warum hast du das Café Ritter Ottakring ausgewählt?
MS: Aufgrund der Architektur, der Stille, des Standorts, der samtbezogenen Bänke mit Mehlspeisen im Kaffee.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
MS: Vieles und Nichts und dann wieder gar nichts und viel Nichts.

 

BIO

Maria Seisenbacher, lebt und arbeitet als Lyrikerin und Übersetzerin in Leichte Sprache in Wien. Mag.a der Vergleichenden Literaturwissenschaften, Dipl. Sozialpädagogin. Einladungen zu internationalen Lyrikfestivals, Stipendien und Preise, zuletzt erschien der Gedichtband „Hecken sitzen“ im Limbus Verlag mit Drucken von Isabel Peterhans. www.mariaseisenbacher.com

Regine Koth Afzelius | Intermezzo Bar, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Regine Koth Afzelius
 

Immer schon beides: gern nachgiebig, gern bestimmt. Gern königliche Pferdediebin, gern pferdestehlende Königin. Gern Kellertheater Pocky Pockberger, gern Burgtheater Ofczarek. Gern Heuriger Hengl-Haselbrunner Trio Lepschi, gern Musikverein Wiener Philharmoniker. Gern Cartoons Martin Perscheid, gern Malerei Franziska Maderthaner. Gern Texte Selma Heaney, Peter Hodina, gern Heimito von Doderer. Gern Helge Schneider, gern Lisa Eckhart.

Gern Katze, gern Hund! Gern Betrachten der Hühner – das gscheckte: grad rennts durchs Gehege im Schnabel den Wurm, erhobenen Hauptes, hinterdrein die anderen, und gleich drauf in umgekehrter Richtung das braune, denselben Wurm in der Reißn, verfolgt von gackerndem Geflatter.

Gern Heumarkt, gern Bar Intermezzo. Visavis voneinander. Ich parke dazwischen. In beiden daheim. Um beide stets bangend: beim einen droht Geldnot, beim anderen Abriss. Im einen weiß man Persönliches, im anderen meinen Cocktailwunsch. Im Heumarkt sitz ich auf dem schwarzen Klebestreifen einer ermüdeten roten Kunstlederbank, verklärt vom Surren der Mehlspeisvitrine und vom geliebten schrägen Brüderpaar, im Intermezzo versinke ich in wohnzimmerlicher Poltrona, verklärt vom internationalen Pathos und dem schönsten Luster der Welt. Erst essen im einen, dann enden im anderen. Amen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Regine Koth Afzelius: Sprachkunst. Fesseln muss ein Text, überraschen und entführen. Im eigenen Schreiben suche ich nach Ventil und Portal zur Bewältigung von Realität. Will alles loswerden an möglichst viele – aber nicht zu deren Betroffenheit, sondern zur unterhaltsamen Erkenntnis. Wie hochtrabend! So what. Und dafür Lob und Anerkennung. Ha.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RKA: Ich lebe auf dem Land – und pflege Stadtfreundschaften. Dazu bedarf es Cafés als Raum für Austausch. Nur in den beiden vorhin genannten nonchalanten finde ich die Atmosphäre für Gespräche, wie ich sie mag: konzentriert, nährend, intim.

Warum hast du die Bar Intermezzo ausgewählt?
RKA: Dieser Luxushauch!

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
RKA: Aufstehn! Hendl aus dem Stall! Samt Kaffee zurück ins Bett, WhatsAppen mit der Welt. Dann Schreiben am neuen Roman. Nachmittags Entfernen morscher Föhren und Birken mit der Motorsäge. Oder Waldgang. Wenn Gedanken drängen: nochmals schreiben. Zur blauen Stunde Dahinschmelzen im Sofa, als Abspann des Tages schwindender Fernblick hinaus aufs Federvieh, bis es Zeit für den Abendfilm.

 

BIO

Geboren 1962 in Wien. Studierte Architekturen an der Arkitektskolen Aarhus | Dänemark und an der Universität für angewandte Kunst Wien. 1997 Architekturdiplom. Seit 2008 Landleben. Webdesignerin. Bildende Künstlerin. Autorin. Arbeit am vierten Roman.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, ClaudiaBitter, DieTurnhalle, Wien, Vienne

Claudia Bitter | Die Turnhalle, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Claudia Bitter

 

das Kaffeehaus ist kein Friedhof

wie der Löffel auf dem Silbertablett klirrt
wie die Zeitungshalter in einer Reihe liegen
wie die Adern der Marmorsteinplatte fließen
wie der Stoff der Polsterung vergilbt
wie die Billiardkugeln aneinander klacken
wie der Schaum auf dem Kaffee zerfällt
wie die Mehlspeisen aus der Vitrine grinsen
wie die Stille klar über den leeren Tischen schwebt
wie der Parkettboden unter den Kellnerschuhen knirscht
wie die Münzen in die Lederbörse rieseln
wie der Flaschenöffner die Kapsel abhebt
wie das Lachen auf der Schank liegenbleibt
wie die Lichtkugeln an der Decke verstauben
wie die Zeiger der Uhr sich von Zeit zu Zeit bewegen
wie Sonne und Wind draußen bleiben
wie Grüße kommen und gehen und bleiben und ausbleiben
wie man sich verliert in der weichen Koje
wie man sich verirrt im Tapetenmuster
wie man sich wiederfindet in den Spiegeln an der Wand

das Kaffeehaus ist kein Friedhof

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Claudia Bitter: Ein Ein- und Abtauchen.
Das Entdecken unbekannter und vertrauter Welten.
Ich finde mich.
Fragen und Bilder finden mich.
Faszination und Inspiration.
Geborgenheit in der Sprache.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
CB: In einem alten ruhigen Kaffeehaus auf einer weichen Polsterbank zu sitzen und ein weiches Ei mit einer Buttersemmel serviert zu bekommen, stimmt mich nahezu glücklich. Außer Zeitungsrascheln, Löffelklimpern und leisen freundlichen Stimmen ist nichts zu hören. Im Café kann ich gut zur Ruhe kommen und mich ordnen. Ich mache mir gerne Treffen im Café aus, wenn sie nicht allzu lange dauern.

Warum hast du Die Turnhalle ausgewählt?
CB: Ich wohne in der Nähe. Die Turnhalle hat als Teil der damaligen jüdischen Gemeinde eine interessante Geschichte. Ich mag den hohen Raum und die rohen unverputzten Mauern mit ihren zarten Strukturen. Der Garten ist eine Oase, da hab ich mich beim Frühstücksbrunch schon mal überessen.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
CB: Wenn ich nicht in der Bibliothek arbeite, bin ich sehr gerne in der Natur unterwegs, gehend sammle ich (Wörter im Kopf, Materialien in den Händen), außerdem mag ich es daheim zu sein (in der Stadt oder am Land) – wo ich etwas tue oder mich beim Nichtstun wohlfühle.

 

BIO

geboren in Oberösterreich, lebt in Wien, wo sie als Autorin (Lyrik und Prosa), Künstlerin (Schriftbilder, Naturschreiben, Collagen) und Bibliothekarin arbeitet
acht Buchveröffentlichungen: drei Prosa-, drei illustrierte Lyrikbände, ein Roman und zuletzt Die Heichzot, mit allem sazosugen, Edition Thurnhof 2022
diverse Preise und Stipendien, zuletzt Track 5 Sonderpreis der Schule für Dichtung 2021
Ausstellung: Die Sprache der Dinge: Literaturhaus Wien, 2020/2021
www.claudiabitter.at

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Ulrike Schrimpf, Café Hawelka, Wien, Vienne

Ulrike Schrimpf | Café Hawelka, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Ulrike Schrimpf

 

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Ulrike Schrimpf: Literatur schreiben: leben. Literatur lesen: ein Genuss.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
US: Als Studentin habe ich jahrelang auch in Cafés gekellnert. Nachts war mir das am liebsten. Was für Geschichten ich da erlebt habe, welchen Menschen ich begegnet bin – davon zehre ich bis heute, davon zehrt mein Schreiben. Auch das oben genannte Gedicht bezieht sich u.a. auf eine solche Erfahrung.

Warum hast du das Hawelka ausgewählt?
US: Es hat nichts Geschniegeltes, der Kaffee und die Buchteln sind hervorragend, und ich mag die mit Plakaten gepflasterten Wände, das leicht verkommene Ambiente.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
US: Mich durchs Leben schlagen.
Kinder aufwachsen sehen.
Lieben. Begehren. Wüten. Lachen. Traurigsein. Menschen begegnen.
Was man so macht.
Linger on.

 

BIO

berlinerin in paris verloren in wien lebend gescheiterte schauspielerin doktorandin etc. versucherin tango gesang kochen sport verschiedene studien männer drei söhne liebhaberin bücher sach fach kinder lyrik ein paar stipendien und preise zahlreiche gespenster –
neuste Publikation: „Lauter Ghosts. Short Story“, Literatur Quickie Verlag: 2022. Ulrike Schrimpfs erster Roman für Erwachsene erscheint im Frühjahr 2023.

 

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Petra Piuk, Café Europa, Wien, Vienne

Petra Piuk | Café Europa, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Petra Piuk

 

und du tanzt 

und du tanzt tanzt impro und ballett und deine ballettlehrerin lacht immer noch und du tanzt in verlassenen fabrikshallen und auf den fahrenden wägen am ring tanzt flamenco auf tischen glaubst dass du flamenco tanzt tanzt mit den leuten vom broadway in der u6 und hip hop auf dem laufsteg und im film tanzt du betrunken auf der brüstung bevor du in die tiefe stürzt tanzt sieben stockwerke unter der erde tanzt mit comicfiguren auf der feria baila! und deine füße versinken im sand baila! baila! und du tanzt in neonbeleuchtenden wäldern und polizisten kesseln euch ein weil ihr vor der oper sirtaki tanzt und auf der tanzfläche wirst du verprügelt und auf der wiese zwischen den studios im arsenal zeigt dir eine freundin wie man sich auf zehenspitzen dreht ohne die balance zu verlieren und verliert ihre und du versuchst immer noch die balance nicht zu verlieren zoomst dich vom wohnzimmer ins tanzstudio nach new york zoomst dich in den nächten in die clubs verschwitzte körper dicht an dicht tanzt allein im café

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Petra Piuk: Spiel mit Sprache und Form. Experiment. Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Lachen, das im Hals stecken bleibt. Der Finger in der Wunde. Jedenfalls: kein beschaulicher Ort. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PP: Ich hab jahrelang in Cafés, Café-Bars oder Kino-Bars gearbeitet. Und auch wenn es immer nur Nebenjobs waren, die Arbeit hinter der Bar hab ich geliebt. Vielleicht sitze ich in Lokalen deshalb noch immer am liebsten an der Bar. Ich treffe da Leute, lese Zeitungen, schreibe, plane neue Projekte.  

Warum hast du das Café Europa ausgewählt?
PP: Das Europa war früher mein zweites Wohnzimmer. Ich hab in einem Club ums Eck gearbeitet und war vor der Arbeit im Europa, manchmal auch nach der Arbeit, um zu frühstücken. Und an den freien Tagen war ich auch da. Ich hab hier geschrieben, gelernt, gefeiert. Heute bin ich viel seltener im Europa, aber es ist nach wie vor eines meiner Lieblingscafés. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PP: Zuhause schreiben oder in Zügen. Und tanzen.

 

BIO

Geboren 1975 in Güssing, lebt in Wien. Schreibt Romane, Kurzprosa, Kinderbücher, Drehbücher und Theatertexte. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation 2018. Gisela-Scherer-Stipendium 2020. petrapiuk.at