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Martina Jakobson | Café Schwarzenberg, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Martina Jakobson

 

Es hat mir die Sprache verschlagen

So wie ein Kind 
das im Spiel über einen Stein stolpert
und dem es im Schmerz 
für einen Augenblick die Sprache verschlägt
so bin ich über dein Denkmal gestolpert
russische Sprache
Wien Schwarzenbergplatz Säulengang
im Zentrum die Figur des Soldaten
Februar 2022 beschließe ich 
über mein aufgeschlagenes Knie streichend
an dir – meiner so vertrauten zweiten Sprache –
stumm vorbeizugehen
viele Jahre hast du mich
gleich einer Mutter ihr gestürztes Kind
mit süßer Torte geködert
deine Schichten aus Größe Macht Gewalt 
sind mir zu bitter
ich schiebe dich zur Seite 
selektiver Mutismus nennt man es
nur dann zu sprechen
an selbstgewählten Orten
und mit wem man will
wieder und wieder rasselst du
inmitten der lauten Menge 
die immergleichen Sprüche
du hast nicht bemerkt 
deine Zeit auf den Plätzen läuft ab
1956 Budapest
Praha
Warszawa
Sofia 
2024 Kyiv – wohin?
die Fontäne vor deinem Abbild höher montiert
eine Wand hinter deinem Rücken installiert
die Steine gelb und blau angesprüht 
ein ermordetes Lächeln hinzugefügt
im Schatten deines Sockels 
wuchern Büsche Gras Felder 
hinkend trat ich in ihre Stille ein
und habe Schätze gefunden
Stöckchen für ein Feuer
kupfergrüne Käfer
Pirole in den Kronen
Muscheln Alter Hafen Marseille
Restaurant “Basso“
wilde Beeren 
Hasensprünge
und stöbernd traf ich 
auf die Lichtung meiner köstlichen Sprache
den Kescher in der Hand
vereinzelt Rehe

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Martina Jakobson: Betrachten und Zweifeln; es ist, als nähme ich eine Taschenlampe in die Hand und der helle Lichtschein der Sprache beleuchtet die Gegenwart und die Vergangenheit.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MJ: Ich habe eine heimliche Leidenschaft, ich beobachte gern Menschen; im Café treffen die verschiedensten Charaktere aufeinander; und die Orte, wo sich die Cafés befinden oder auch nicht mehr befinden, erzählen Geschichten. In Wien gehe ich aber auch gern ins Kaffeehaus, weil die Auswahl an Torten vorzüglich ist. Als ich 2016 nach Wien gezogen bin, habe ich mich durch die verschiedensten Cafés mit Sachertorte durchgekostet. Und hier trifft man Freunde, um zu reden oder zu Lesungen, diese Tradition liebe und kenne ich auch noch aus meiner Heimatstadt Berlin.
Das Café Schwarzenberg suche ich auf, um in die Zeitgeschichte einzutauchen.  Von hier aus, an der Ringstraße, fällt der Blick in Sichtachse bis auf den Schwarzenbergplatz und das sogenannte Wiener „Russendenkmal“, das nach der Einnahme Wiens durch die Sowjetarmee 1945 errichtet wurde. Und selbst das Mobiliar des Cafés, ein großer Spiegel, trug bis in die 1970er Jahre die Spuren, etwa Sprünge und Einschusslöcher, weil sowjetische Offiziere hier feierten. Ein Kellner hat mir gezeigt, wo dieser Spiegel früher angebracht war, und so sitze ich heute in einem anderen Kontext in diesem Teil des Cafés.

Wo fühlst du dich zu Hause?
MJ: Zu Hause fühle ich mich eigentlich nirgends mehr, zu Hause ist für mich ein Moment, dort, wo ich die Winkel einer Stadt erkundet habe und diese später, gleich einem Hund mit seiner Spürnase wiedererkenne. Ich habe etwa längere Zeit in Marseille gelebt. Als ich am Quai des Belges den Ort des einstigen Restaurants „Basso“ gefunden hatte, das Walter Benjamin in „Haschisch in Marseille“ beschreibt, habe ich die darin beschriebene Atmosphäre anders verstanden. Deshalb beziehe ich mich in meinem Text „Es hat mir die Sprache verschlagen“ unter anderem auch auf diesen Ort.

 

BIO

Martina Jakobson, geboren 1966 in Ost-Berlin, wuchs in Moskau und Berlin zweisprachig in einer Familie mit russischen und ukrainischen Wurzeln auf. Sie ist Autorin, Pädagogin und Literaturübersetzerin aus dem Russischen, Belarussischen und Französischen. Seit 2016 lebt sie in Wien und im Südburgenland (Österreich). Sie ist Mitglied der IG Übersetzerinnen Übersetzer Wien, des Forum Mare Balticum sowie des PEN Berlin.
Ihr Lyrikband „Hier biegen wir ab“ erschien 2022 in der edition lex liszt 12.

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Bernhard | Café Schwarzenberg, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Seine Welt ist süß
sauber, pur und willig
er ist niemals allein.
 
Probleme reisen weit
fröhlich, rein und blutig
alles ist bereit.
 
Seine Freundin ist ein Cupcake
seine Haare feiern
zuckrig, blond und reich.
 
Sein Anzug gleicht dem Leben
Leben einem Comic
nur in Schwarzweiß ist Rosa grau.