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Marcus Fischer | Café Weidinger, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Marcus Fischer

 

Das Café Weidinger

Du bist wie ein alter Herr in elegantem, seit Jahrzehnten getragenem, abgestoßenem und zerschlissenem Gewand, der nichts von seiner Würde verloren hat. Die Jungen bewundern deinen Stil. Ich auch, und die Ruhe, die du ausstrahlst. Und die schrulligen, liebenswerten Gestalten, die dich umgeben.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Marcus Fischer: Literatur kann uns die Menschen von innen zeigen. Wir erleben Figuren in ihren Ängsten, ihrer Scham, ihrem Neid, ihrer Liebe, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung. Diese Innensicht liefert Literatur besser als jedes andere Medium.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MF: Es fällt mir oft leichter, mich abzuschotten und zu konzentrieren, wenn um mich herum ein gleichmäßiges, wellenartiges Treiben herrscht. Cafés sind dafür der perfekte Ort. Ich setz mir dann Kopfhörer auf, höre oft stundenlang ein und dasselbe Lied und tauche in meine Geschichte ein.

Wo fühlst du dich zu Hause?
MF: Einfache Antwort: in meinen Texten, egal wo ich sie schreibe. Und in der Natur, unter vertrauten Menschen und an liebgewonnenen, inspirierenden Orten – wie dem Kaffeehaus.

 

BIO

Geboren 1965 in Wien, Studium der Germanistik in Berlin, schreibt Prosa und Lyrik. Nach dem Studium Arbeit als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und als Texter in Werbeagenturen in Berlin und Wien. Publikationen in Anthologien, Literaturzeitschriften und im Radio. Sein 2022 erschienener Roman „Die Rotte“ (Leykam Verlag) wurde mit dem Rauriser Literaturpreis 2023 für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet.

 

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Karin Ivancsics | Café Weidinger, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Karin Ivancsics, auch in: „Melange der Poesie“ (Kremayr & Scheriau, 2017)

 

Vom Land mit dem Zug in die Stadt. Am Wegesrand lagern die Banditen. Durch Bahnhofshallen in Unterführungen. Aus zerfetzten Wäldern strömen die Verdammten. Razzia vor der U-Bahn-Station. Eine Handvoll Schwarzafrikaner, Kleinkriminelle, sind ins Netz gegangen. Entlang der Häuserschlucht ins Kaffeehaus. Draußen Spätsommerhitze, drinnen kühle Marmortische. „Hast du dein Notizbuch dabei?“ „Immer.“ Den Kellner anlächeln. Auf halber Strecke krepieren die meisten. In Pannenbuchten oder auf offenem Meer. Nicht in die Kamera schauen. Im Kaffee rühren. Ersoffene und Gestrandete. Die Wörter sind brutaler geworden, versandet jegliche Empathie. Über den Kopf des Fotografen hinweg sehen. Ins Blau des Himmels, im oberen Drittel des Fensters. Einfach sterben tut man anderswo. Den Löffel aus dem Kaffee nehmen, er ist kalt geworden, und den freundlichen Kellner verlegen-verzweifelt anlächeln: „Ist das Europa?“

 


Interview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Karin Ivancsics: Für mich ist Literatur das Eintauchen in andere Sphären, ein sich Einlassen auf die Innenwelten, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen/Figuren. Das bedeutet auch Kommunikation – zwischen der Autorin/dem Autor des Textes und mir – ein Ping Pong von Fragen und Antworten, kunstvolle und lebendige Auseinandersetzung. Und sie ist, wie gute Musik oder ein schönes Bild, immer eine Bereicherung der Seele.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
KI: Sie sind kleine Ruheoasen inmitten des Getümmels, Privatheit in der Öffentlichkeit. Ich nutze sie vor allem als verlängerte Besprechungs- und Wohnzimmer, um Freunde zu treffen oder Geschäftliches in angenehmer Atmosphäre zu klären. Mein Notizheft habe ich immer dabei.

Warum hast du das Café Weidinger gewählt?
KI: Es war mein Stammcafé in den 1990er Jahren für Frühstücks- und Nachmittagstreffen mit Bekannten: die kamen damals aus den unterschiedlichsten künstlerischen Bereichen wie Malerei, Musik, Film, Theater usw. Es war eine sehr spannende, aufregende Zeit und wenn ich ins Weidinger gehe, leben diese einzigartigen Begegnungen und Momente wieder auf, dann gehe ich sozusagen auf Zeitreise.

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
KI: Dann reise ich woanders hin. Vorzugsweise zu einer der zahlreichen Inseln hinter dem Winde. (Dort schwimme ich mit Schildkröten und lausche den Erzählungen und der Musik der Einheimischen.) Reisen ist meine große Leidenschaft, weil ich ein neugieriger Mensch bin und weil mich das Fremde – anders als viele meiner sogenannten heimatverbundenen Landsleute – enorm fasziniert und anzieht. Oder ich grabe ein Loch in meinem burgenländischen Garten und setze eine Pflanze ein. Das erdet mich. Oder ich schreibe. Das beflügelt mich. Oder ich lebe und liebe. Atme.

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Barbara Rieger | Café Weidinger, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Jeder Tisch ist eine Insel in einem Meer der Zeit, über dem ein wenig Nebel liegt. Die Erinnerung verschwimmt. Menschen, die bleiben um zu gehen. Ein Student, der lieber billiger zu Hause isst. Liebende, die Zeitung lesen. Alte Hippies, die selber Zigaretten drehen. Arbeiter bei einem schnellen Bier. Arbeitslose Akademiker, die wissenschaftliche Texte diskutieren. Eine Frau, die nach zwei Spritzern geht und ein Mann, der daraufhin in einem Wettcafé sein Geld verspielt. Gäste, die nicht schnell genug bedient werden und sich anderorts verlieben. Blicke, auf die niemand reagiert. Es gibt kein W-Lan hier, es gibt nur Wein. Es gibt kein Leben, es gibt einen Billardtisch. Es gibt kein Rauchverbot, es gibt nur eine große Uhr. Es ist die Zeit, die niemals stehen bleibt, nur manchmal etwas träger wird.
„Was verbindet uns mit diesem Ort?“, fragt A.