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Franziska Beyer-Lallauret | 1801 – Les Cuisines du Musée, Angers

Foto: Alain Barbero | Text: Franziska Beyer-Lallauret

 

Als ich noch zwischen zwei Städten pendelte, lief ich jeden Morgen vom Bahnhof aus quer durchs Zentrum zur Arbeit. Oft ging ich über den Platz, wo das Gesicht steht. Es ist wohl aus Bronze und wahrscheinlich zweimal höher als ich. Ich könnte ihm meinen Kopf in die Wölbung eines Augenrings legen. An dem Gesicht kann man ablesen, wer es gemacht hat; ich habe es vergessen. Ich müsste extra hingehen um nachzusehen. Dafür habe ich keine Zeit.

Das Gesicht starrt das Kunstmuseum an. Es ist ein altes Gebäude aus weißen Steinen, in das sie eine Treppenflucht eingesetzt haben wie ein Gebiss. Die Stufen sind steil. Erst nehmen sie dir den Atem, dann führen sie zu den Bildern. Eins davon soll von Botticelli stammen, das ist aber nicht sicher. Wenn jemand es berechtigterweise zurückfordert, muss das Museum es abgeben. Es gehört zu den acht Beutekunstwerken hier. Bleibt hängen, will erlöst werden.

Im linken Flügel des Museums hockt das Café mit hellem Gewölbe und Wänden wie Nacht. Es heißt nach einem Jahrhundertbeginn. Die Tische sind aus Holz, jeder ist anders, jedenfalls glaube ich das, und es gefällt mir. Ich hatte immer den Eindruck, dass in diesem Raum was schwebt, es glänzt, wenn das Licht dranscheint: Stäubchen, Luftspiegelung, aus der Lampe gefallene Ariadnefäden … Auch daran erinnere ich mich nicht mehr genau. Mein Heimweg führt jetzt über den Fluss. Ich darf nicht von ihm abkommen.

Wenn Museum und Café um 18 Uhr schließen, schlagen zwei Vorhänge aus Schmiedeeisen hinter den Besuchern zusammen. Das Fluggold wird ausgeschaltet. Es gibt dann nichts mehr zu sehen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur? 
Franziska Beyer-Lallauret: Sie ist Gegenwelt, Sublimationsraum für ausufernde Gefühle und Rückzugsort, vor allem die Poesie mit ihren unendlich vielen Spielarten und Möglichkeiten. Außerdem ist Lesen immer ein Lernen und damit Horizonterweiterung. Und Literatur lässt sich mit anderen teilen, schafft Verbindungen, fordert zum Dialog heraus. Das versuche ich auch mit meinen Schülerinnen und Schülern am Gymnasium Joachim du Bellay zu leben. Es ist sicher im heutigen Kontext naiv zu glauben, dass das geschriebene Wort die Welt rettet, aber es kann ein Anfang sein.

Was bedeuten Cafés für dich?
FBL: Seit der Geburt meines Sohnes im Jahr 2015 sind sie Sehnsuchtsorte geworden, weil der Alltag so durchgetaktet ist! Sie sind besondere Orte – erstens für Gespräche (und die Erinnerungen daran), zweitens für Beobachtung und Kontemplation. All das kann kreative Prozesse auslösen. Auch gehe ich gerne auf Zeitreise. Café 1801 zum Beispiel befindet sich in einem historischen Gebäude in einem hohen, schlichten Raum, der durch sein Kreuzgewölbe fast wie eine Kapelle wirkt. Es gibt viel Platz zwischen den Tischen, viel Luft. Die Stille hier ist beredt.

Wo fühlst du dich zu Hause?
FBL: Überall, wo mir liebe Menschen sind, in erster Linie. Und dann habe ich ja seit Jahren zwei Heimaten und zwei Sprachen. In den beiden Ländern Deutschland und Frankreich, die für mich eigentlich eins sind, gibt es neben meinem alten und neuen Zuhause an den Flüssen Loire und Mulde noch weitere Fixpunkte. Ich muss zum Beispiel immer wieder in die Bretagne zurückkehren, die mich magisch anzieht, seit ich dort mit 23 Jahren als Sprachassistentin gearbeitet und gelebt habe.

 

BIO

Franziska Beyer-Lallauret, geboren 1977 in Mittweida, studierte in Leipzig Germanistik und Französisch und lebt mit ihrer Familie als Autorin und Deutschlehrerin bei Angers (Westfrankreich). 2015 wurde ihr Gedichtband „Warteschleifen auf Holz“ veröffentlicht, 2022 folgte zweisprachig und von ihr selbst ins Französische übertragen „Falterfragmente / Poussière de papillon“, wieder im dr. ziethen verlag. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien; Ulrich-Grasnick-Lyrikpreis 2021, Finalistin beim Lyrikpreis Meran 2022.