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Olessja Bessmeltsewa | Knigi i Kofe, Sankt Petersburg

Foto: Alain Barbero | Text: Olessja Bessmeltsewa

 

Kaffee(ER)satz mit Pronomina

ein „ich“
wollte schreiben
und suchte sich
ein „du“
ein „für dich“
ein „zu dir“
„wir“
greift das Wort
zwischen „mir“ und „dir“
ein Blatt
Papier
weiß
auf dem Tisch
steht
dieses Schreiben
(ein Schreibtisch)
und statt
„dich“
sehe ich:
es
rollt sich
und läuft
über Tischrand
auf Tischtuch
schwarz
ein Kaffeesatz
ein Gedicht
eine Rolle
eine Rolltreppe:
ihre Stufen
die Zeilen
und Buchstaben
im Wettrennen
ohne Ziel
ohne Punkt
ohne Halt
Du
.
Wollen Sie vielleicht noch einen Kaffee?


 

Interview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Olessja Bessmeltsewa:  Ich verstehe unter Literatur kein Produkt, sondern einen Prozess. Ein kreatives Schreiben. Es hat enorme Bedeutung als eine Art (Selbst-)Reflexion, (Selbst-)Kritik, (Selbst-)Ironie. Eine Art Therapie oder ein Denkspiel. Alles prozessual, im Flow, nie eine Beschreibung fertiger Gedanken – da wird es dozierend, unecht und erst richtig langweilig. Da hebt sich plötzlich ein Sockel aus dem Teppichboden und jemand hat schon das Podest erklettert und eine kluge Pose eingenommen, um DIE Wahrheit den Mengen beizubringen. Ich sehe es aber so, dass man kein „Genie“ braucht, dass jede/r, der/die sprechen kann, schon automatisch imstande ist, kreativ zu schreiben. Jede/r ist ein Literaturproduzent (und -konsument zugleich). Dadurch wird „Literatur“ nicht entwertet, sondern so wird sie erst zu einer lebenswichtigen Angelegenheit.

Was bedeuten dir Kaffeehäuser?
OB: Ein toller Arbeitsplatz. Berufliches wie privates Schreiben fließt ungehemmt auf den Bildschirm meines Tablet-PCs. Weil es sich hier entspannter anfühlt als im Büro oder auf der Straße. Andererseits bleibt die Konzentration bestehen und man ist gefasst und nie so schlampig wie vielleicht Zuhause. Und ja, es schwärmen immer Menschen herum – zum Beobachten, zum Bewundern oder zum Ansprechen. Und der Mensch ist ein soziales Wesen, das darf man nie vergessen – als Schriftsteller/in schon nie und nimmer, sonst schreibt man blauäugig und monologisch. Der einzige Mangel der Kaffeehäuser ist, dass der Besuch was kostet :)

Warum hast du das Café Knigi gewählt?
OB: Viel Abwechslung auf überschaubarem Platz, die Räume kompakt und lauschig. Ein kleiner Tapetenwechsel ist immer möglich – beschwingend fürs kreative Schreiben. Keine verstörende Musik, andererseits kriegt man über den Flur auch Konzerte, Filmvorführungen oder Vorträge mit. Schön versteckt – weit vom Getümmel auf Nevskij, doch zentral gelegen und daher anlockend für Studenten-Boheme (ein wertvolles Beobachtungsmaterial). Und wenn selbst DAS alles gegen verschleppte Gedankenverstopfung nicht hilft, da gibt´s hier eine Fantasie anfachende Teekarte und einige geistreiche Spezialitäten á la Kürbissuppe mit Kaffee.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
OB: Durch die Stadt rennen, Gedanken fangen, Gedanken nicht verlieren wollen, Leute treffen, Leute meiden, Geschäfte planen, Geschäfte führen, sich in Geschäften verlieren, Probleme kriegen und lösen, Menschen ansprechen, unter Menschen schweigen, im Zug und Bus einschlafen, nie ausschlafen können, vor dem Laptop Stunden und Stunden durchhocken, nie abschalten, atmen, nie ausatmen, hungrig werden – – -> endlich ins Café!

Was machst du im Café?
OB: Solche Texte, siehe oben.