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Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Maud Bayat, Brasserie Lola, Paris

Maud Bayat-Razagh | Brasserie Lola, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Maud Bayat-Razagh | Übersetzung aus dem Französischen: Yasmin Alizadeh

 

Die wandelnde Seele einer Frau.
Zu diesem Zeitpunkt wird ihr Name vergessen sein, nicht nur von ihren Freunden und den anderen, sondern auch von ihr selbst.
In Ihrem Herzen eine Vielzahl von Sorgen tragend, fühlt sie sich leer.
Um Alborz also doch zu sehen und zu fühlen, lässt sie ihre Seele weit von ihrem Körper fliegen, auf einer astralen Reise.
Wo wird sie sich wieder einrichten können, an keinem Ort der Welt? Doch, sicher, es gibt einen anderen Ort!
Sie, die in ihrem Land nicht die Gelegenheit hatte, den von Hafez und Molana versprochenen Wein zu trinken, entdeckt den köstlichen Geschmack der Trunkenheit in der Stadt der Liebe. Paris.
Sie geht durch die kleinen Gassen, die von Liebhabern und Dichtern durchkreuzt wurden, inspiriert vom gleichen Park in Saint-Cloud, in dem schon Renoir und Cézanne Natur und Farben so sahen, wie sie wirklich waren, lebendig.
Ihr Name spielt keine Rolle, vor alle anderen Dingen, ist sie eine Frau. Eine Frau, die Nuancen, Kraft und Energie in Haarpracht und Worten anderer sucht. Sie mischt die Farben und die Sprache, die sie hier und da findet. Schließlich und endlich, wählt sie nur eine Farbe, ein Wort und einen Duft. Die Liebe.

 

Original



Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Maud Bayat-Razagh: Eine Entdeckungsreise.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
MB-R: Sie sind für mich sowohl Treffpunkt als auch Zufluchtsort, an dem wir uns aus dem Alltag zurückziehen können. Die Pariser Cafés sind sozusagen die Essenz des poetischen Paris.

Warum hast du die Brasserie Lola gewählt?
MB-R: An einem Sonntag Nachmittag ließ ich mich von Alain in das 15. Arrondisment führen.

Was machst du, wenn du nicht in einem Café anzutreffen bist?
MB-R: Wenn ich nicht in einem Café verweile, dann bin ich in meinem Friseursalon und berühre die Haare meiner Kunden, meine Gemälde und Bücher oder ich spaziere durch den Saint-Cloud-Park und berühre Rinde und Baumstämme.

 

BIO

Maud Bayat-Razagh, geboren 1973 in Teheran, schreibt Gedichte in ihrer Muttersprache, Persisch. Seit ihrer Jugend hat sie ein Faible für Kunst mit einer besonderen Affinität für das Zeichnen, Malen und Schreiben. Nach ihrem Universitätsstudium an der Sorbonne begann sie, sich in den Pariser Künstlerkreisen zu engagieren. Ihr Beruf – sie ist Friseurin – inspirierte sie und es sind Haare, die sie für ihre Kunst verwendet, um das Weibliche darzustellen. Immer nach mehr strebend, setzt sie ihre Erkundung des künstlerischen Feldes fort, in der Hoffnung, Antworten auf ihre existentiellen Fragen zu finden.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Jean-Philippe Domecq, La Maison Blanche, Bistro, Paris

Jean-Philippe Domecq | La Maison Blanche, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Jean-Philippe Domecq | Übersetzung aus dem Französischen: Anna Robinigg

 

So saß unser Held also am Cafétisch, oh ja! Sehr in Anspruch genommen vom Spektakel dessen, was ihn umgab – obwohl es sich nicht um ein hinreißendes Schauspiel handelte, es waren nur die Kleinigkeiten, die das Alltägliche ausmachen (…). Es waren nur Wände, Gäste, Biergläser. Er bemerkte, dass er ein Glas vor sich hatte und seine Hand gleich daneben auf dem Tisch lag. Blasen im Bier. Er hob die Augen: nur Menschen! nur Anwesenheiten! Er lächelte: es war das bewegte Lächeln des Gelehrten am Anbeginn der Entdeckung, es war der Eindruck einer völligen Neuheit (…). Er besah sich den Abstand zwischen jenen, die alleine tranken – es waren wenige. Einige von ihnen waren voller Absichten, andere verschlossen. Man musste nur von unten zuhören. (…) die Menschen, die miteinander sprachen, nette Gespräche, (…) all dieses Sickern vom Mund zum Ohr, die Hin- und Rückwege mehr oder weniger schnell, die Prozession von Händen um Worte, die Oberkörper, die sich bogen, und vor allem das Hausieren von Blicken durch den Raum. Ohne sie wirklich zu hören – und zweifelsohne dank dieser momentanen Schwerhörigkeit -, nahm er die Andeutungen hinter den Gesprächen wahr, wie wenn sie Postskripte wären.

Und dann schaukelte sich sein Blick zur Glühbirne hoch, die oberhalb der Theke baumelte. Sie erschien ihm sehr schön, diese bauchige Glühbirne am Ende der geflochtenen elektrischen Leitung. Er sah sie hängen, wie noch nie eine Glühbirne hing. (…) Später, viel später, fand man ihn, wie er im Begriff war festzustellen, dass der Himmel dunkel war: Er befand sich auf dem Gehsteig und ging.

(Auszug aus Une Scrupuleuse aventure, éditions Papyrus, Paris, 1980)

 


BIO

Jean-Philippe Domecq ist der Autor von zwei Romanzyklen, «Les Ruses de la vie » und « La Vis et le Sablier » (Métaphysique Fiction). Cette Rue aus dieser Reihe erhielt den Prix du roman de la Société des Gens de Lettres 2007, und Le Jour où le ciel s’en va den Prix Tortoni 2011. Er ist auch Essayist, und er ist der Autor von Robespierre, derniers temps (Prix du Salon du Livre 1984), sowie der Comédie de la Critique über die zeitgenössische Kunst (Neuauflage 2015) und über die Literaturkritik (Qui a peur de la littérature? Neuauflage 2002, Prix international de la Critique du Pen-Club). Zu seinen neuesten Werken zählen : Le Livre des jouissances, Qu’est-ce que la Métaphysique Fiction ?, und La Monnaie du temps. Eine vollständige Liste der rund vierzig Veröffentlichungen bis heute findet sich auf: www.leblogdedomecq.blogspot.com

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Sorour Kasmaï, Lili et Riton, Café, Paris

Sorour Kasmaï | Lili et Riton, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Sorour Kasmaï | Übersetzung aus dem Französischen: Anna Robinigg

 

Ich liebe die Stadt, so wie andere das Land lieben. «Dieses steinerne Meer ist ebenso Natur wie die Natur, die Berge oder die See, und der Mensch, der dort zur Welt kommt ist auf gewisse Weise von ihr erdacht»*. Ich liebe die Stadt, ihre Vorstellungswelt, ihre Geschichten, ihre Poetik. Die Geschichte derjenigen, die sie bewohnt, sie geformt, sie erträumt haben.

Um die Vorstellungswelt einzufangen, die sich hinter ihren Steinen verbirgt, schlendere ich durch ihre Straßen. Die Stadt setzt sich zusammen aus Orten und Objekten, die so viele Anwesenheiten angesammelt haben, so viel kollektives Innen und Außen. Im Laufe meiner Spaziergänge enthüllen mir die Stadt und ihre Bewohner nach und nach ihre Träumereien.

Es gibt Oasen in der Stadt, in denen die Zeit stillsteht. Mehrdeutige Orte, halb Stadt, halb Dorf, an der Grenze zwischen Heute und Gestern gelegen, zwischen Literatur und Zeitgeschehen… Aus dieser Mehrdeutigkeit entsteht die Poesie, entspringt der Traum.

Einer dieser vieldeutigen Orte ist ein kleiner schattiger Platz, an der Kreuzung mehrerer Epochen, wo sich die Gegenwart mit einer manchmal weit zurückliegenden Vergangenheit vermischt. Nur ein paar Schritte vom Rausch des Bahnhofs entfernt, ein kleines Dorf am Fuße eines modernen Turms. Auf der einen Seite geht der Blick auf die Rue de la Gaîté und ihre Schenken aus dem 19. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert zu Theatern wurden, und auf der anderen Seite auf die Rue d’Odessa und ihre bretonischen Crêperies. Der Boulevard Edgar Quinet, früher verrufen und Hochburg für Prostitution und Verbrechen, verläuft immer noch entlang der Mauer des alten Friedhofs, auf dem Baudelaire begraben liegt, nicht weit vom Montparnasse der 20er-Jahre und seinen Künstlern und Malern. In der Rue Delambre logierten Gauguin und Breton im selben Haus, wenn auch zu anderen Zeiten. Hemingway und seine Lost Generation befanden sich gerade gegenüber, in der Dingo Bar, die es heute nicht mehr gibt. Sartre und Malraux geistern immer noch durch die Gegend.

An diesem Ort verlangsamt sich der ungezügelte Rhythmus der großen Metropole, man bekommt Lust, einen Moment lang anzuhalten, sich an einen Tisch auf einer Terrasse zu setzen, oder sich bei schlechtem Wetter hinten im Saal eines der unzähligen Bistros zu verkriechen. Lili et Riton ist das kleinste von allen.

Ein Ort, der ebenso doppeldeutig ist, halb Bistro, halb Café. Bistro, weil man dort als Stammgast begrüßt wird, die Hand gedrückt, man gefragt wird, was es Neues gebe. Café, weil man sogleich nach der Anbiederei den Freiraum zurückbekommt, alleine zu träumen. Man sucht sich also seinen Tisch. Einige davon sind mit metallenen Schildern verziert, auf denen irgendein Name steht. Wahrscheinlich der eines anderen Stammgastes, treu wie man selbst, der nicht mehr kommt, weil seine Heimstatt nun im Friedhof auf der anderen Seite des Boulevards liegt. Aber die Tische und Stühle bleiben, stumme Zeugen von anderen Leben und von anderen Schicksalen. Aber welche Schicksale? Was sind die Geschichten, die intimen Worte, die hier gesprochen oder erzählt wurden? Wer sind die Lilis und die Ritons, die sich hier getroffen oder verlassen haben?

In meinem Heft halte ich Satzfetzen von den Gesprächen fest, die ich hier zu hören vermeine. Ich betrachte die Menschen, die draußen mit zögerndem Schritt vorbeigehen, gedankenverloren. Wohin gehen sie? Woher kommen sie? Hinter meinem Rücken ertönt das Lachen einer Frau. Ich drehe mich nicht um, so bin ich frei, mir das Gesicht vorzustellen, das ich mir wünsche. Worüber lacht sie so bitter? Wie alt ist sie? Welche Illusion hat sie gerade für immer verloren? Ich höre noch einige Sekunden hin, aber ich nehme nichts mehr wahr. Ich drehe mich um. Da ist niemand. Also lade ich sie ein zu existieren. Ich schreibe ein Wort, einen Satz… Ich schreibe die Frau, die eines Tages am Tisch ganz hinten saß…

*Pierre Sansot in Poétique de la Ville

 


BIO

Sorour Kasmaï ist Romanautorin, Übersetzerin und Herausgeberin. Geboren in Teheran in einer frankophonen Familie, Schulzeit im franko-iranischen Lycée Razi. Nach der iranischen Revolution flieht sie 1983 aus dem Land. Studium der russischen Literatur und Sprache in Paris. 1987 kann sie dank eines universitären Stipendiums nach Moskau reisen und russisches Theater studieren. Fasziniert vom Theater wird sie Übersetzerin und Dolmetscherin für Russisch für Theater und an der Pariser Oper.

Parallel dazu beschäftigt sie sich mit der oralen Literatur der Tadschiken und veröffentlicht eine Reihe von CDs mit populärer und traditioneller Musik aus Tadschikistan, sowie Werke populärer und traditioneller iranischer Musik.

2002 erscheint ihr erster Roman, Le cimetière de verre, beim Verlag Actes Sud. Ebenfalls bei Actes Sud gründet und leitet sie die Reihe «Horizons persans», die sich der iranischen und afghanischen Literatur widmet. Seither hat sie weitere Bücher veröffentlich, La Vallée des Aigles, l’autobiographie d’une fuite (Prix Adelf 2007) und Un jour avant la fin du monde (Robert Laffont). Zusätzlich hat sie mehrere Romane und Kurzgeschichten ihrer Landsleute übersetzt, unter anderem Mon oncle Napoléon von Iraj Pezechkzad. Sorour Kasmaï schreibt und veröffentlicht ihre Romane auf Persisch und auf Französisch. Seit September 2016 ist sie Jurymitglied des Prix du Jeune Ecrivain de langue française

 

Galerie l’Achronique, Paris

„Melange der Poesie“ Buchpräsentation & Fotoausstellung mit Alain Barbero

 

 

© Fotos: Sylvie Barbero-Vibet – AB

 

Le Bal Café Otto, Paris

„Melange der Poesie“ Buchpräsentation & Fotoausstellung mit Alain Barbero & Barbara Rieger
Organisation: Association Autrichienne à Paris (Österreichische Vereinigung in Paris)

 

 

© Fotos : Céline Godin – AB
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Sylvie | Brasserie À la Tour Eiffel, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Ich will niemals verstehen,
wie man so hassen kann.