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Olivia Kuderewski | Szimpla, Berlin

Foto: Alain Barbero | Text: Olivia Kuderewski, Auszug aus „Lux“ (Roman, erscheint im Frühjahr 2021 bei Voland & Quist)

 

Das Neon der Schilder schießt in Lux wie Tinte in Wasser. Sie steckt sich die Camel an, nimmt einen so tiefen Zug, dass sie husten muss, und fährt die Konturen der Blockbuchstaben, die Botschaften der Bildschirme, gierig mit dem Blick ab. Sie starrt in reine, stechende Farben, darüber der Himmel, schwarz und unerkennbar, und ihr wird schwindlig vom Nachrichtenzipper, sie heftet sich an einen Buchstaben, folgt ihm, bis er digital verschwindet, dann der nächste, von vorne, so lange, bis die Muskeln hinter den Augen weh tun. Lux frisst das Neon, verschlingt es, sie wird davon nicht satt. Körper und Gesichter, Klamotten und Masken und das Drama der Spielfilme, die sie alle kennt, auf hauswandgroßen LCDs, Schauspieler und Models godzillagroß, aber zahm und mit verzogenen Gliedmaßen durch die Flucht der Straße. Die Schärfe der Bildschirme, niemals wird sie wegsehen können und das, was ihr hier immer am besten gefallen hat, ist, dass das Drama sich ohne Ton abspielt. Die Videos laufen lautlos zum Rauschen der Stadt, das nur von gelben Taxis und vom Durchzug verursacht wird.

Du bist ein winziger Punkt zwischen rechtwinkligen Steintürmen, im tiefsten, archäologischen Tal Amerikas, im Canyon von New York liegst du, so tief unten im Neonparadies, dass kein einziger Stern zu sehen ist. Du bist im Herzen von Amerika. Du bist im heiligen Herz von Amerika, denkt sie, und ihr eigenes beruhigt sich.

Lux wird durchlässig. Sie verwandelt sich in einen Teil dieser Stadt, in ein paar wenigen Minuten verformt sie sich wie im Märchen, von Lux zu Amerika. Du bist im Herzen von Amerika, denkt sie wieder und nickt, ihr ganzer Körper nickt, ein wenig Wasser sammelt sich unter den Lidern und sie muss für eine Sekunde die brennenden Augen schließen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Olivia Kuderewski: Selbstvergessenheit, Bildung und Kommunikation

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
OK: Früher habe ich mich nie getraut, alleine im Café zu sitzen. Ich wollte unbedingt, aber dazu waren nur pensionierte Männer, die nachdenken, berechtigt, es fühlte sich merkwürdig exponiert und unentspannt an. Nach und nach konnte ich diese Unsicherheit abstreifen – das ist für mich eine triumphale territoriale Eroberung. Jetzt muss ich im Café sogar aufpassen, vor Selbstvergessenheit nicht in der Nase zu bohren.

Warum hast du das Szimpla Berlin ausgewählt?
OK: Sie hatten da diese Käse-Pogatschen. Wikipedia: „Pogatschen sind runde, salzige Gebäckstücke, die im Karpatenbecken, auf dem Balkan und in der Türkei zur typischen Küche gehören.“ Ich mochte, dass es sich wie eine Mischung aus Café und Bar anfühlte. Leider hat es Ende 2019 nach 10 Jahren zu gemacht, weil der greedy Boxhagener Platz wohl profitablere Läden erfordert.

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
OK: Ich schreibe in der Wohnung einer Freundin, weil die mehr Licht als meine eigene hat, versuche informiert zu bleiben und fahre mit dem Longboard herum.

 

BIO

Olivia Kuderewski, geboren 1989, hat viel zu lange an ihrem Debütroman „Lux“ gearbeitet, der jetzt endlich im Frühjahr 2021 bei Voland & Quist herauskommt.