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Claudia Bitter | Die Turnhalle, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Claudia Bitter

 

das Kaffeehaus ist kein Friedhof

wie der Löffel auf dem Silbertablett klirrt
wie die Zeitungshalter in einer Reihe liegen
wie die Adern der Marmorsteinplatte fließen
wie der Stoff der Polsterung vergilbt
wie die Billiardkugeln aneinander klacken
wie der Schaum auf dem Kaffee zerfällt
wie die Mehlspeisen aus der Vitrine grinsen
wie die Stille klar über den leeren Tischen schwebt
wie der Parkettboden unter den Kellnerschuhen knirscht
wie die Münzen in die Lederbörse rieseln
wie der Flaschenöffner die Kapsel abhebt
wie das Lachen auf der Schank liegenbleibt
wie die Lichtkugeln an der Decke verstauben
wie die Zeiger der Uhr sich von Zeit zu Zeit bewegen
wie Sonne und Wind draußen bleiben
wie Grüße kommen und gehen und bleiben und ausbleiben
wie man sich verliert in der weichen Koje
wie man sich verirrt im Tapetenmuster
wie man sich wiederfindet in den Spiegeln an der Wand

das Kaffeehaus ist kein Friedhof

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Claudia Bitter: Ein Ein- und Abtauchen.
Das Entdecken unbekannter und vertrauter Welten.
Ich finde mich.
Fragen und Bilder finden mich.
Faszination und Inspiration.
Geborgenheit in der Sprache.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
CB: In einem alten ruhigen Kaffeehaus auf einer weichen Polsterbank zu sitzen und ein weiches Ei mit einer Buttersemmel serviert zu bekommen, stimmt mich nahezu glücklich. Außer Zeitungsrascheln, Löffelklimpern und leisen freundlichen Stimmen ist nichts zu hören. Im Café kann ich gut zur Ruhe kommen und mich ordnen. Ich mache mir gerne Treffen im Café aus, wenn sie nicht allzu lange dauern.

Warum hast du Die Turnhalle ausgewählt?
CB: Ich wohne in der Nähe. Die Turnhalle hat als Teil der damaligen jüdischen Gemeinde eine interessante Geschichte. Ich mag den hohen Raum und die rohen unverputzten Mauern mit ihren zarten Strukturen. Der Garten ist eine Oase, da hab ich mich beim Frühstücksbrunch schon mal überessen.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
CB: Wenn ich nicht in der Bibliothek arbeite, bin ich sehr gerne in der Natur unterwegs, gehend sammle ich (Wörter im Kopf, Materialien in den Händen), außerdem mag ich es daheim zu sein (in der Stadt oder am Land) – wo ich etwas tue oder mich beim Nichtstun wohlfühle.

 

BIO

geboren in Oberösterreich, lebt in Wien, wo sie als Autorin (Lyrik und Prosa), Künstlerin (Schriftbilder, Naturschreiben, Collagen) und Bibliothekarin arbeitet
acht Buchveröffentlichungen: drei Prosa-, drei illustrierte Lyrikbände, ein Roman und zuletzt Die Heichzot, mit allem sazosugen, Edition Thurnhof 2022
diverse Preise und Stipendien, zuletzt Track 5 Sonderpreis der Schule für Dichtung 2021
Ausstellung: Die Sprache der Dinge: Literaturhaus Wien, 2020/2021
www.claudiabitter.at

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Ulrike Schrimpf, Café Hawelka, Wien, Vienne

Ulrike Schrimpf | Café Hawelka, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Ulrike Schrimpf

 

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Ulrike Schrimpf: Literatur schreiben: leben. Literatur lesen: ein Genuss.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
US: Als Studentin habe ich jahrelang auch in Cafés gekellnert. Nachts war mir das am liebsten. Was für Geschichten ich da erlebt habe, welchen Menschen ich begegnet bin – davon zehre ich bis heute, davon zehrt mein Schreiben. Auch das oben genannte Gedicht bezieht sich u.a. auf eine solche Erfahrung.

Warum hast du das Hawelka ausgewählt?
US: Es hat nichts Geschniegeltes, der Kaffee und die Buchteln sind hervorragend, und ich mag die mit Plakaten gepflasterten Wände, das leicht verkommene Ambiente.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
US: Mich durchs Leben schlagen.
Kinder aufwachsen sehen.
Lieben. Begehren. Wüten. Lachen. Traurigsein. Menschen begegnen.
Was man so macht.
Linger on.

 

BIO

berlinerin in paris verloren in wien lebend gescheiterte schauspielerin doktorandin etc. versucherin tango gesang kochen sport verschiedene studien männer drei söhne liebhaberin bücher sach fach kinder lyrik ein paar stipendien und preise zahlreiche gespenster –
neuste Publikation: „Lauter Ghosts. Short Story“, Literatur Quickie Verlag: 2022. Ulrike Schrimpfs erster Roman für Erwachsene erscheint im Frühjahr 2023.

 

 

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Petra Piuk | Café Europa, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Petra Piuk

 

und du tanzt 

und du tanzt tanzt impro und ballett und deine ballettlehrerin lacht immer noch und du tanzt in verlassenen fabrikshallen und auf den fahrenden wägen am ring tanzt flamenco auf tischen glaubst dass du flamenco tanzt tanzt mit den leuten vom broadway in der u6 und hip hop auf dem laufsteg und im film tanzt du betrunken auf der brüstung bevor du in die tiefe stürzt tanzt sieben stockwerke unter der erde tanzt mit comicfiguren auf der feria baila! und deine füße versinken im sand baila! baila! und du tanzt in neonbeleuchtenden wäldern und polizisten kesseln euch ein weil ihr vor der oper sirtaki tanzt und auf der tanzfläche wirst du verprügelt und auf der wiese zwischen den studios im arsenal zeigt dir eine freundin wie man sich auf zehenspitzen dreht ohne die balance zu verlieren und verliert ihre und du versuchst immer noch die balance nicht zu verlieren zoomst dich vom wohnzimmer ins tanzstudio nach new york zoomst dich in den nächten in die clubs verschwitzte körper dicht an dicht tanzt allein im café

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Petra Piuk: Spiel mit Sprache und Form. Experiment. Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Lachen, das im Hals stecken bleibt. Der Finger in der Wunde. Jedenfalls: kein beschaulicher Ort. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PP: Ich hab jahrelang in Cafés, Café-Bars oder Kino-Bars gearbeitet. Und auch wenn es immer nur Nebenjobs waren, die Arbeit hinter der Bar hab ich geliebt. Vielleicht sitze ich in Lokalen deshalb noch immer am liebsten an der Bar. Ich treffe da Leute, lese Zeitungen, schreibe, plane neue Projekte.  

Warum hast du das Café Europa ausgewählt?
PP: Das Europa war früher mein zweites Wohnzimmer. Ich hab in einem Club ums Eck gearbeitet und war vor der Arbeit im Europa, manchmal auch nach der Arbeit, um zu frühstücken. Und an den freien Tagen war ich auch da. Ich hab hier geschrieben, gelernt, gefeiert. Heute bin ich viel seltener im Europa, aber es ist nach wie vor eines meiner Lieblingscafés. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PP: Zuhause schreiben oder in Zügen. Und tanzen.

 

BIO

Geboren 1975 in Güssing, lebt in Wien. Schreibt Romane, Kurzprosa, Kinderbücher, Drehbücher und Theatertexte. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation 2018. Gisela-Scherer-Stipendium 2020. petrapiuk.at

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Tanja Raich | Cafemima, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Tanja Raich, Auszug aus dem Roman „Schwerer als das Licht“ (Verlag Blessing, 2022). Erscheint am 24.8.22!

 

Ich erinnere mich an diesen Tag, der schon lange zurückliegt. Eines Morgens regnete es alle möglichen Formen und Farben. Nagas- und Hibiskusblüten, Orchideen und Amaryllis, ein buntes Treiben zwischen den Bäumen und hoch in der Luft. Ich hatte nie zuvor etwas Schöneres gesehen. Der Wind wirbelte die Blüten über die Baumkronen, wirbelte sie über die ganze Insel. Sie flogen wie Schmetterlinge durch die Luft und sanken irgendwo zu Boden. Eine Hibiskusblüte schlug mir ins Gesicht und hinterließ einen stechenden Schmerz. Und dann war alles kahl. Keine Knospen, nichts folgte nach. Und als die Blüten verdorrten, gab es endgültig keine Farben, kein Leuchten mehr. Alles wurde stumpf und braun und grau.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Tanja Raich: Literatur ist für mich das Eintrittstor in neue Welten, Literatur eröffnet neue Perspektiven und Erfahrungen, führt mich auf Reisen, lässt mich in Gedankenwelten hinein, berührt mich und schockiert mich – im Idealfall gehe ich als neuer Mensch daraus hervor: als Lesende und als Schreibende. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
TR: Da muss ich unterscheiden zwischen Wien und Italien. In Italien sind sie Treffpunkt, da geht es auch mehr um den Kaffee an sich, selten verliere ich einen Tag darin. In Wien sind sie tatsächlich ein erweitertes Wohnzimmer, auch wenn ich dort selten schreibe. Ich mag das Kaffeehaus als Ort der ersten Begegnung, wenn ich Autor:innen kennenlerne, mit denen ich Bücher realisieren möchte zum Beispiel. Manchmal verliere ich mich darin, und das passiert mir nur in Wien: Man trifft sich auf eine Melange und stolpert um zwei Uhr nachts wieder auf die Straße. Dabei fühlt es sich gar nicht an, als wär man in Wien, vielleicht irgendwo an einem Ort ohne Raum und Zeit. 

Warum hast du Cafemima ausgewählt?
TR: Ich liebe Märkte und das Cafemima ist ein Marktlokal, bunt und chaotisch. Meine Wohnung sieht ziemlich ähnlich aus. Viele Pflanzen und bunte Dinge, die ich von meinen Reisen mitgebracht habe. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
TR: Dann bin ich irgendwo draußen, im Park, im Prater, oder ich fahre mit dem Fahrrad über die Donauinsel. 

 

BIO

Tanja Raich, 1986 in Meran (Italien) geboren, sie lebt als Lektorin und Autorin in Wien. 2015 initiierte sie eine neue Literaturreihe bei Kremayr & Scheriau mit Fokus auf deutschsprachige Debüts, wo sie bis 2020 als Programmleiterin tätig war. Derzeit leitet sie das Literatur- und Kinderbuchprogramm beim Leykam Verlag. Ihr Debütroman „Jesolo“ (Blessing 2019) wurde für den Österreichischen Buchpreis Debüt 2019 sowie für den Alpha Literaturpreis 2019 nominiert. Ihr zweiter Roman „Schwerer als das Licht“ wird im August 2022 bei Blessing erscheinen. 
tanjaraich.at

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Jana Volkmann, Raphaela Edelbauer, Café Kriemhild, Wien, Vienne

Raphaela Edelbauer & Jana Volkmann | Café Kriemhild, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Raphaela Edelbauer, Auszug aus dem Roman „Die Inkommensurablen“ (erscheint 2023)

 

Dann brach das Abendlicht herein: trügerisch und drückend und plötzlich.
Mitten in der Bewegung hatte die nautische Dämmerung die Stadt überrascht; die noch vom Schweiße feuchten Arme der Menschen gekapert, über die auf einmal gischtig die Gänsehaut jagte, denn man war von der Tageswärme her noch leicht bekleidet. Den ganzen Sommer lang hatte der feste Stoff eines trägen Sommers den Himmel überwölbt, gewitterlos und voll von warmem Resttag. So hatte man sich in den Gastgärten der Heurigenbezirke noch genährt.
Auf einmal aber nahm man wahr, dass die Zeiger der Ziffernblätter herabgestürzt waren, und, von ihrem eigenen Schwung überrascht, wieder über neun pendelten. Zugleich standen Sterne und der schwüle Abglanz des Sommertags noch am Himmel und erschraken voreinander.
Die Menschen, deren freigelegte Haut mit einem Mal wie in Wellenkämmen überschaudert war, saßen noch lachend in den Gastgärten und versuchten, diesen Donnerschlag in Anekdoten zu ertränken. Die Draperie der Lichtstreuung färbte sich derweil immer mehr ins Schwarze. Bald rötlich, bald schon an den Stuckfirsten der Seilerstätte zerschlagen, spannte sich der Abend über sie. Mit einem Mal brach sich die Erregung die Bahn wie ein säuselnder Riss und es war allen klar. Morgen würde das Ultimatum ablaufen.

Salvenschuss, Turmschlag, es war Krieg.

Aber die Sperrstunde war noch nicht nahe. Sie würde sich bis morgen früh nicht sehen lassen. Mehr und mehr Menschen drängten auf die Straße, wo die Schanigärten doch längst bis zum Brechen gefüllt waren. Also richtete man sich auf der Straße ein, wie um nach außen zu zeigen, dass der eigene Körper schon nicht mehr der eigene war, sondern der Öffentlichkeit gehörte. Was rational noch für eine träge Nacht herausgezögert wurde, war im Habitus schon beschlossene Sache: Ein Volkskörper, ein Kriegskörper.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Raphaela Edelbauer: Literatur ist sowohl angewandte Philosophie als auch der direkteste Weg, mich meiner Lebensfrage zu nähern, nämlich der, was Sprache eigentlich ist. Sie ist dadurch Politikum, dass wir das Medium, in der sie stattfindet, für keinen Augenblick verlassen können – nicht einmal, um sie zu diskutieren.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RE: Es ist als Wienerin sicherlich eine schändliche Antwort, das zu sagen, aber: für meinen Schreibprozess gar keine. Privat liebe ich diese Stadt und damit ihre Kaffeehauskultur innigst – wenngleich man das diskursive Element, für das sie in der Vergangenheit berühmt war, stärker fördern sollte.

Warum hast du Café Kriemhild ausgewählt?
RE: Meine Freundin Jana Volkmann, die auf dem Bild unverkennbar neben mit sitzt, hat es ausgewählt.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
RE: Schreiben, rudern und Videospiele sind meine Säulenheiligen.

 

BIO

Raphaela Edelbauer wurde 1990 in Wien geboren. Für ihre Bücher wurde sie u.a. mit dem Bachmann-Publikumspreis, dem Rauriser Literaturpreis, und dem Theodor Körner-Preis ausgezeichnet, sowie für den Deutschen Buchpreis nominiert. Zuletzt gewann sie den Österreichischen Buchpreis für „DAVE“ (2021).

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Jana Volkmann & Raphaela Edelbauer | Café Kriemhild, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Jana Volkmann

 

Am Licht bin ich noch nicht leergeschrieben. Ich habe in der Zwischenzeit alte Träume erinnert, die eine sehr spezielle Beleuchtung hatten: Regen, Nacht, die Scheinwerfer von Bussen und durch Kaffeehausfenster fallendes Licht. Und ich habe die Vorhänge zugezogen und eine Entscheidung gefällt.
Ich habe mal in einem Kino gearbeitet, das Lux Lichtspiele hieß. Jeden Dienstag kam ein Mann zwischen den Vorstellungen ins Kino, kaufte einen Eimer Popcorn um 9 Euro und verschwand wieder. Ich habe mir zusammengereimt, dass er womöglich von seiner Familie getrennt gelebt und wöchentlich Besuch bekommen hat von seinem Kind, mit dem er dann gemeinsam das Popcorn gegessen hat, aber nie ins Kino gegangen ist. Rituale sind alles. Ich denke oft an den Popcornmann, wenn ich an einem dieser greisen, hilflosen Kinos vorbeikomme, von denen man gar nicht weiß, ob sie noch in Betrieb sind.
Du hast mir vor einer Weile Georges Didi-Hubermans Glühwürmchenbuch gegeben, in dem er über Pasolinis Schaffen und seine Einstellung zum Licht schreibt. Der Faschismus wird hier mit „fernen und wilden“, grellen Scheinwerfen assoziiert: „mechanische Augen“. Ihnen stellt er die Glühwürmchen gegenüber. Das lebende, das organische Licht, das zu Pasolinis Lebzeiten bereits im Verschwinden begriffen war. Es ist ein spielerisches, tänzelndes Licht, ein angreifbares, schwaches.
Ich habe die Website der Lux Lichtspiele angeschaut, und ich bin glücklich zu berichten, dass es das Kino noch gibt. Es ist angesichts der Weltlage vorübergehend ein Autokino geworden, das sich an einer Autobahnkreuzung befindet. Es heißt, die Popcornmaschine sei dorthin mit umgezogen. Wie es wohl ausschaut, wenn sie allein auf dem Gelände steht, nachdem die Kinobesucher heimgefahren sind. Vor sich hat sie eine große Leinwand und die schwarze Nacht. Ich frage mich, ob die Popcornmaschine aufblinkt, wenn sie schlecht träumt, flackert wie bei einer Interferenzstörung, aber von der Autobahn aus wird nichts zu sehen sein.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Jana Volkmann: Die Literatur ist für mich eine Form der Philosophie mit künstlerischen Mitteln, die Schnittstelle zwischen Sprache, Ästhetik und Idee. Sowohl das Schreiben als auch das Lesen sind für mich wesentliche Erkenntnisinstrumente.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
JV: Cafés sind eine tolle Errungenschaft; ich bin richtig neidisch auf Kulturen, in denen sie einen noch höheren Stellenwert haben und ein Epizentrum für allerhand kulturelles und politisches Geschehen sind. Mir gefällt besonders die Kontingenz, der man im Café ausgesetzt ist: nicht zu wissen, wer durch die Tür kommen und welche Zeitung am Nachbarstisch liegen gelassen wird. Und die speziellen, subtilen Verhaltenscodes, die derartigen Unwägbarkeiten Verlässlichkeit entgegensetzen.

Warum hast du das Café Kriemhild ausgewählt?
JV: Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe es mit der Inszenierung fürs Foto im Hinterkopf ausgewählt, denn ich finde, es ist vor allem ein sehr hübsches Café, das als Kulisse etwas hermacht. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
JV: Ich arbeite noch immer gern an meinem nächsten Roman, vornehmlich von daheim. Ansonsten habe ich in diesem Jahr zu schwimmen begonnen und freue mich sehr, damit weiterzumachen, sobald die Bäder wieder öffnen: Ich habe mir viel vorgenommen, denn ich möchte die Rollwende lernen und dabei mache ich bislang noch keine gute Figur.

 

BIO

Jana Volkmann, geboren 1983 in Kassel, lebt als Autorin und Journalistin in Wien. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift Tagebuch und schreibt Essays sowie Literaturkritik u. a. für den Freitagneues deutschland und den Standard. Für ihren Roman „Auwald“ (Verbrecher Verlag 2020) erhielt sie den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis 2021 und stand auf der ORF-Bestenliste

 

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Petra Piuk | Café Europa, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Petra Piuk, Auszug aus „Wenn Rot kommt“ (Verlag Kremayr&Scheriau, 2020)

 

16 ROT. DAS IST KEIN SPIEL. Das ist kein Spiel mehr, Lisa. Tom? Das ist längst kein. Tom, wo bist du? 

6 SCHWARZ. SAGEN SIE GAMING. Du gibst Tom die Kamera, er filmt dich, wie du dir eine Zigarette anzündest, zu tanzen beginnst, PIXIES, langsame Schlangenbewegungen mit den Armen, im Hintergrund blinkende Glücksspielautomaten, ein paar Blicke. Sag mir, was ich tun soll, wenn Rot. Tom überlegt. Dann musst du auf der Bar tanzen. Du ziehst an der Zigarette, bläst den Rauch in die Kamera, verführerischer Blick, das würde ich auch ohne Spiel. Tom grinst, drückt auf SPIN, die Kugel kreist im virtuellen Roulettekessel, 29 BLACK, YOU LOST.

14 ROT. WHERE IS MY MIND? Du musst nachdenken, nachdenken, wo Tom sein könnte, DENK NACH, LISA, musst nachdenken, musst atmen, musst nachdenken, musst dich runterrauchen, runterrauchen vom Trip, VON WELCHEM TRIP, denkst du, musst dich erinnern, PSST, PSST, NOCH EINE LINE, LISA, NOCH EIN MOJITO, PSST, REINSTES MDMA, HAT SIE GESAGT, du sagst dir, dass ihr am letzten Abend nichts nehmen wolltet, wolltet nicht verkatert zum Flughafen fahren, das ist das Letzte, woran du dich erinnern kannst, ZOLTAR SPEAKS: REMEMBER A DAY IS A FORTUNE, IF YOU LOSE A DAY, YOU LOSE LIFE ITSELF, dein Blick fällt auf die Plastikbecher, auf einem Lippenstift, PSST, PSST, SPIELEN WIR EIN SPIEL, LISA?

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Petra Piuk: Spiel mit Sprache und Form. Experiment. Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Lachen, das im Hals stecken bleibt. Der Finger in der Wunde. Jedenfalls: kein beschaulicher Ort. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PP: Ich hab jahrelang in Cafés, Café-Bars oder Kino-Bars gearbeitet. Und auch wenn es immer nur Nebenjobs waren, die Arbeit hinter der Bar hab ich geliebt. Vielleicht sitze ich in Lokalen deshalb noch immer am liebsten an der Bar. Ich treffe da Leute, lese Zeitungen, schreibe, plane neue Projekte.  

Warum hast du das Café Europa ausgewählt?
PP: Das Europa war früher mein zweites Wohnzimmer. Ich hab in einem Club ums Eck gearbeitet und war vor der Arbeit im Europa, manchmal auch nach der Arbeit, um zu frühstücken. Und an den freien Tagen war ich auch da. Ich hab hier geschrieben, gelernt, gefeiert. Heute bin ich viel seltener im Europa, aber es ist nach wie vor eines meiner Lieblingscafés. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PP: Derzeit: Viel zu Hause sein. Schreiben. Freiwilligenarbeit. Online-Tanz-Workshops besuchen. 

 

BIO

Geboren 1975 in Güssing, lebt in Wien. Schreibt Romane, Kurzprosa, Kinderbücher, Drehbücher und Theatertexte. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Wortmeldungen-Literaturpreis der Crespo Foundation 2018. Gisela-Scherer-Stipendium 2020. petrapiuk.at

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Barbara Rieger | Wirr, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger, Auszug aus „Das Natürlichste der Welt“ (erscheint im August 2021 in der Anthologie „Mutter werden. Mutter sein“ bei Leykam)

 

Wir werden sofort TOTAL in die Mutterrolle hineinkippen oder langsam hineinwachsen oder für immer damit hadern, wir EGOISTINNEN, werden wir heimlich denken und verzweifeln, weil wir nie, fast nie, nie mehr, in zehn, zwanzig Jahren dann wieder, in Ruhe etwas zu Ende machen können, zumindest solange wir stillen, EINE SYMBIOSE, haben wir gehört, wir werden nach anderen Müttern Ausschau halten, wir werden uns dann natürlich! vor allem mit anderen Müttern befreunden, es wird dann wirklich? vor allem ums Muttersein und um Babys gehen. Wir werden überall Frauen mit Kinderwägen sehen, Männer mit Tragetüchern, wir werden unseren Kinderwagen mit den anderen Kinderwägen vergleichen, wir werden unser Baby mit den anderen vergleichen, schon so groß!, so wie früher den Bauch, so klein!, wir werden überall nur mehr Jungeltern sehen, aber wir werden nie, wirklich nie eine andere stillende Mutter in der Öffentlichkeit entdecken, auf keiner Parkbank, in keinem Café, keinem Restaurant, in keinem parkenden Auto, wir werden uns Nischen suchen, in denen es nicht zieht (die Brustentzündung!), wir werden uns Nischen suchen, in denen man uns nicht sieht (das Natürlichste der Welt), wir werden hören: Wir könnten ein Tuch über das Baby und unsere Brust legen, ich sage (ich übertreibe kaum): Mit der Geburt habe ich jegliche Scham verloren.

 


BIO

Barbara Rieger ist gemeinsam mit Alain Barbero Gründerin und Herausgeberin von cafe.entropy.at. Bisher erschienen bei Kremayr & Scheriau die zwei Romane „Bis ans Ende, Marie“ (2018) und „Friss oder stirb“ (2020), sowie das kollaborative Projekt „Reigen Reloaded“ (2021). Im August 2021 erscheint bei Leykam die Anthologie „Mutter werden. Mutter sein“.
barbara-rieger.at

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Raoul Eisele | Café Weingartner, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Raoul Eisele

 

blick nicht an den Grund, blick doch einfach nur zu mir

der Muschelgrund ein Bienenstock
aus Surren, Summen des Ozeans –
eingefangene Gesänge dunkler
Buckelwale, wie sie doch erklingen
mir versprechen, hier ein Blick
dem Grund herausgenommen, atemlos
und gar so wundervoll, so in die enge
meiner Kammer, meiner
Wohnung, wie sie daraus tönt als
Hafen griechischer Nächte, die mir
manchmal so geflüstert, so geflüchtet
an den Ohren hängen, Undine

für Charlotte

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Raoul Eisele: Literatur ist Sprache und Sprache ist alles, was der Mensch je wusste und erlebte. Somit ist alles Geschriebene ein notwendiger Teil des menschlichen (Über)Lebens – ohne diesen hätten wir nichts, woran wir uns orientieren, woran wir festmachen könnten, was, wo und wann geschah, wüssten nichts über unsere Vergangenheit, über uns selbst. Es sind Geschichten, Gedichte und Schriften, die wir heranziehen, um eine vergangene Welt nachzuempfinden, um Gefühlen Ausdruck zu geben, sie erneut zu durchleben und aus ihnen zu lernen. Literatur ist somit ein Ausleben und Ausprobieren, ein Aufzeigen und Aufmerksammachen auf Missstände, sowie ein Erforschen des eigenen Innenraums, um sich und seine Umwelt besser zu verstehen.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
RE: Kaffeehäuser waren für mich lange Raum der Entfaltung, der Ruhe und des gleichzeitigen Umtriebs, einem Flanieren gleichend, Menschen Kommen und Gehen sehen, sich Auszutauschen. Mittlerweile haben Kaffeehäuser für mich etwas an Raum verloren – heute sind sie mir viel seltener Arbeitsplatz oder Inspirationsraum.

Warum hast du das Café Weingartner ausgewählt?
RE: Es war eines der ersten Kaffeehäuser, die ich noch vor meiner Wien-Zeit kennenlernte – es war also irgendwo der Anfang meiner Kaffeehaus-Liebe.

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
RE: Allerlei Aktivitäten mit Menschen, die mir wichtig sind, aber auch viel ganz für mich allein wie Lesen, Schreiben, die Arbeit am Theater, sofern dies denn gerade möglich ist.

 

BIO

Raoul Eisele, geboren 1991, wohnhaft in Wien, studierte Germanistik und Komparatistik. 2017 debütierte er mit seinem Lyrikband „morgen glätten wir träume“, Graz: Edition Yara. 2021 erscheint sein Lyrikband „einmal hatten wir schwarze Löcher gezählt“, Berlin: Schiler&Mücke.
2019 wurde er mehrfach preislich ausgezeichnet und erhielt 2020 das Startstipendium für Literatur der Stadt Wien, sowie eine Residency im Salzburger Künstlerhaus. Im Herbst 2021 ist er Stadtschreiber in Stuttgart. Seit 2020 ist er, neben Martin Peichl, Mitbegründer der Lesereihe „Mondmeer & Marguérite“.

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Katherina Braschel | Café Anno, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Katherina Braschel

 

wie: die Nägel gegen den Holzlack stemmen, sie ziehen, kreischen lassen, aber das Innen, es muss ein Innen bleiben, im Rahmen, wenn sie sprechen möchte, nein schreien, nein brüllen, wenn sie aus der Haut, aber nur die Haut von ihr, oder: die Holzsplitter ihr unter die Haut, die Nägel, sich hineinbohren, verhaken, Sporen aussäen, subkutan, die später zu Bäumen vielleicht, zu Wäldern, zu Brennholz, es fackelt
sie: eine gefasste Säule, sie atmet, der Tisch, er wackelt, das Bier, es tropft, sie: eine umfasste Säule, der Stuhl, er kippt, der Aschenbecher, er fällt, ihr in Köpfe, in Worte hinein, hinterlässt platzwunde Spuren, ein Aufriss in ihren Handflächen, das Glas, es ist kühl in ihr, keine Faserreste,
nur klare Brüche

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Katherina Braschel: Vielleicht auch: die Suche nach einer Antwort auf diese Frage, die nicht kitschig ist. Oder gut kitschig? In jedem Fall, eine Suche, ein (Selbst-)Entlarven, ein (kompliziertes) Zuhause, ein Fluchtort, eine Streicheleinheit, eine Watsche. Und Macht.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
KB: Ich schätze Cafés meist als Orte, an denen man verschwinden kann ohne zu verschwinden. Und das brauche ich, um schreiben zu können.
Im richtigen Café muss ich mir nicht die Ohren zuhalten, um zur Sprache, zum Schreiben, zu kommen, da erledigt das diese bestimmte Mischung aus Stille, Stimmen und Geschirrgeräuschen für mich.
Natürlich muss man sich Cafés auch leisten können und das ist keine Selbstverständlichkeit.

Warum hast du das Café Anno ausgewählt?
KB: Weil ich im Normalfall meist einmal in der Woche hier bin, da ich Mitveranstalterin zweier Lesereihen hier bin. Weil hier Literatur einen niederschwelligen Raum findet und ich das für enorm wichtig halte. Das Café Anno ist einfach ein Ort, an dem ich sein kann und das schon lange, wo ich mich wohl fühle und wo ich weiß, wo hinter der Bar Kugelschreiber und Zettel sind, falls ich kein Notizbuch dabei habe.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
KB: Momentan tatsächlich sehr viel an Cafés denken und sie vermissen. Zu Hause schreiben kann ich fast nicht und ich merke, wie mich das aushöhlt.
Ansonsten: lohnarbeiten, lesen, mit lieben Menschen Zeit verbringen, mich über Dinge aufregen und online Videos von Frachtschiffen schauen.

 

BIO

Aufgewachsen im Barock-Disneyland Salzburg, lebt und arbeitet sie seit 2011 in Wien, wo sie auch Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert hat. Sie schreibt in erster Linie Prosa. Dafür erhielt sie bereits diverse Preise und Stipendien, darunter der Rauriser Förderungspreis und der Wortmeldungen Förderpreis der Crespo Foundation Frankfurt, beide 2019. 2020 erschien ihr Debüt „es fehlt viel“ in der Edition Mosaik.
Sie glaubt an feministische Solidarität, gutes Bier und die zarte Macht der Sprache.