Regina Hilber | Bar Ariosto, Ferrara

Foto: Alain Barbero | Text: Regina Hilber

 

Gerade hallt das dunkle Klirren der dickwandigen Espressotassen auf dem Marmortresen der Bar Ariosto in meinen Ohren, ein Klang, der ausschließlich in einer italienischen Bar diesen unverkennbaren Ton erzeugen kann. Die Tassen sind aus dickwandigem Porzellan oder Steingut. Der Tresen besteht stets aus dickem Marmor, der Boden des Lokals ist mit echtem Terrazzo überzogen, der Grundriss der Bar langgezogen und schmal, die Rückwand mit den Regalen für Gläser und Spirituosen mit Spiegeln ausgekleidet. Nur dann durchdringt dieser eine dumpfe Klang die italienische Bar, die ein Stehcafè ist. Verweilt wird draußen an den kleinen Tischchen, regionales who is who inklusive. 
Laut und dumpf klirrend muss sich das Abstellen der dicken Espressotasse auf dem Marmortresen anhören. Für den hellen, lichten Klang dazwischen sorgt der Espressolöffel auf der Untertasse, während der Barista schon die nächsten Untertassen lauthals auf den Marmortresen knallt. Vielleicht muss auch die Luft ein wenig flirren von der Hitze, so wie hier in Ferrara an einem Augustnachmittag, kurz bevor das tägliche Gewitter noch mehr Schwüle bringt. 
Dann kann ich nicht anders, als das Zirpen der Zikaden anzubeten, nachmittags um drei, unter dem Laubengang des Palazzos sitzend und hinausblickend auf die Weite der Piazza Ariosto, während der schöne Terrazzo nie frei von Müll ist. Der Duft der Pinien überdeckt den kleinen ästhetischen Mangel, macht ihn unsichtbar. Kein Makel, der nicht von einer anderen Schönheit wieder aufgewogen wird. Ferraras große Söhne – Ludovico Ariostos mittelalterliches Versepos Der rasende Roland und Giorgio Bassanis italienischer Jahrhundertroman Die Gärten der Finzi Contini, tönen leise zwischen dem ohrenbetäubenden Zirpen der Zikaden. Cirruswolken? Zigarrenqualm vom Signore am Tischchen gegenüber, hat er seinen Bugatti sinnmächtig ausgestellt. Ein rasender Roland!

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Regina Hilber: Ich weiß nicht, welcher Drang stärker ist – ob die Literatur (bzw. Lektüreerfahrungen) mich an spezifische Orte bringen, oder mich bestimmte Orte zu spezifischer Literatur führen. Beides ist möglich und beider Impetus findet in meine Essays, in denen Topographien mit Inputs neu gemixt werden. 
Es verhält sich wie das Geleitgedicht „Apopemptikon“ zu seinem Pendant, dem „Propemptikon“: Was war zuerst? Das Abschiedsgedicht des Fortgehenden an die Zurückbleibenden, oder umgekehrt, das Geleitgedicht von den Zurückbleibenden an den Abreisenden, den Scheidenden? Von dem der fortgeht, geht die Intention aus. Er weiß in der Regel früher Bescheid als diejenigen, die an einem Ufer stehend den Fortgang des in die Ferne Ziehenden zu begaffen angehalten sind. In Ferrara werden keine Homerische Geleitgedichte intendiert – die Antike war gestern – was jetzt in den Fokus rückt, bewusst oder zufällig, oder auf Nebenstraßen in Schlaglöchern und Pfützen dahintümpelnd, nimmt Aufstellung neben Lucrezia Borgia, die spätere Herzogin von Ferrara. Giorgio de Chirico und Filippo de Pisis wohnen nicht nur in Museen, de Pisis schmückt auch die Wartezimmer in Bassanis Ferrareser Geschichten. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RH: Ein „capo in b“, ein „aperitivo“, die Laufstege sind eröffnet: Stehend drinnen (Arbeit, Politik, Networking), oder sitzend draußen (who is who und dolce vita) – egal ob in Mailand, Triest, Neapel oder Ferrara – Bewegung garantiert die italienische Bar, die niemals statisches Eiland ist für Kaffeegenuss. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
RH: Die Heimat ist mein Körper. Ihm folge ich überall hin.

 

BIO

Regina Hilber, geb. 1970, in vielen Sprachen zuhause, lebt als freie Autorin in Wien. Zuletzt erschienen ihr Essayband Am Rande – Zwischenaufnahmen aus der Mitte Europas (2024) und der Gedichtband Super Songs Delight (2022).