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Aiat Fayez | Das Möbel, Wien [1/2]

Foto: Alain Barbero | Text: Aiat Fayez | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Der Schriftsteller liebt sie alle, die Kellnerinnen des Café Möbel, wenn er auch nicht mit Sicherheit sagen kann, ob das auf Wechselseitigkeit beruht. Daraus schöpft er seine Melancholie, und ziemlich oft fragt er sich, ob nicht auch ein anderer Ort möglich wäre, ein Woanders. In seinem Innersten weiß er jedoch, dass das nicht sein kann: dass er dort ist, in diesem Café, allein, vor handgeschriebenen oder gedruckten Sätzen, und dass er das immer bleiben wird, in allen Cafés, die er besucht, egal ob in Wien, Paris, Budapest, Zürich, Oxford oder Basel, weil er keinen anderen Weg gefunden hat, zu sein, als einen einsamen, nebelverhangenen, in vielerlei Hinsicht stillen Pfad.

Wenn der Schriftsteller sein Innerstes erforscht, was er mit der gleichen Selbstverständlichkeit tut, mit der andere atmen, und das so gründlich, dass er sich oft verirrt, in sich selbst genauso wie in den Straßen dieses Wien, in dem er doch seit so vielen Jahren lebt, wenn er also sein Innerstes erforscht, wird ihm klar, dass er nicht geliebt werden kann, da er die Liebe, die er für andere empfindet, ständig in ihrer Erfüllung scheitern lässt: er wirft ihr Knüppel zwischen die Beine, damit sie unmöglich wird: So genießt er es – wobei der Genuss mit der Verzweiflung spielt – sich verlassen zu fühlen, vereinsamt, ohne Zuflucht: im Exil. Es ist mehr als eine Bedingung für seine Arbeit, Schriftsteller zu sein ist schließlich in vielerlei Hinsicht mehr als eine Arbeit: es ist eine Art zu sein, bei der es darum geht, außen vor zu bleiben, sich am Rand herumzutreiben, sich dem Abgrund zu nähern: Ausgegrenzt sein zu wollen, das heißt: die Realität nicht zu akzeptieren. Sie nicht zu verleugnen, sondern sich dazu zu zwingen, sie durch das Prisma der Kunst zu sehen; dafür zu sorgen, dass sie durch die Kunst erhöht wird. Und zwischen der Liebe zu den (vorgestellten) Menschen und der Angst vor diesen (wirklichen) Menschen, da liegt nur ein schmaler Grat, auf dem der Schriftsteller taumelt. Eines Tages wird er vielleicht abstürzen. So, wie alle Schriftsteller, die vor ihm abgestürzt sind und alle diejenigen, die nach ihm abstürzen werden. So einsam sie verharren, so schweigsam sie sind, so fremd sie einander bleiben – was die Schriftsteller, die wahren, ohne ihr Zutun verbindet, ist eine Schicksalsgemeinschaft über Zeit und Raum hinweg: Sternenfreundschaften, erschaffen durch das Lesen der Bücher.

Fortsetzung folgt…

 


BIO

Aiat Fayez, geboren 1979, studierte Philosophie in Paris. 2010 verließ er Frankreich, lebte in Berlin, Oxford, später Wien, wo er sich dem Schreiben widmet. Er hat bisher drei Romane im Verlag P. O. L. veröffentlicht, sowie zehn Theaterstücke im Verlag L’Arche. 2016 war er im Finale des Grand Prix de littérature dramatique, im selben Jahr wurde ihm der Prix Scenic Youth zuerkannt. Das Kulturministerium verlieh ihm 2018 den Orden Chevalier des Arts et des Lettres.

Romane : 2009 : Cycle des manières de mourir, éditions P.O.L, 2012 : Terre vaine, éditions P.O.L, 2014 : Un autre, éditions P.O.L
Theater: 2011: Les Corps étrangers, L’Arche Éditeur (deutsche Übersetzung : Fremdkörper. In: Scène 16, Neue französische Theaterstücke, Hg. v. Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand, Theater der Zeit, Berlin 2013), 2015: La Baraque, L’Arche Éditeur, 2016: De plus belles terres / Angleterre, Angleterre, L’Arche Éditeur, 2018: Place des Minorités / Le Monologue de l’exil, L’Arche Éditeur. Bei L’Arche Agence: 2013: Perceptions, 2013: Naissance d’un pays, 2015: L’Éveil du printemps (deutsche Übersetzung : Frühlingsgefühle, verfügbar unter: https://henschel-schauspiel.de/de/werk/5209), 2016: La Valise, 2019: Un pays dans le ciel

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Gérard Cartier, Café le Zimmer, Paris

Gérard Cartier | Le Zimmer, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Gérard Cartier | Übersetzung aus dem Französischen: Yasmin Alizadeh

 

Heute Abend verwirrt. benommen von der langen reise. ein einfaltspinsel am fuße einer ikone – Anne Brochet, reine stirn, verschlingende leidenschaft: Jeanne auf dem scheiterhaufen… sich zwingend wieder zu sein, die augen verloren in der spiegelung der fenster, wo sich die welt ruckartig entleert. chimärenmädchen. vögelflüge. seltsame maschinen. eine bistrotecke ist die Passage des Panoramas wert. instinktiv mit dem druckstift wedelnd. kritzeleien auf einer viertelseite, unleserliche worte. gedichte bastelnd, wenn alles zu ende geht? ich werde auf knien beobachtet (oh, wenn es nur Anne Brochet wäre!): ein blinder erfindet mich. komponiert mich aus den gefahren des augenblicks. ein sockeltisch, ein schwarzes, im dunkeln glänzendes porträt, ein glas gewürztraminer. im gold- und purpurrot sitzend. die leere betrachtend. die klicks der kamera zählend. wie viel, um mich wieder zum leben zu erwecken? wie viel, für Anne Brochet? nicht natürlich, aber offensichtlich. wahrheit ohne absicht: freie schönheit – das, was an unserem stottern, die große lyrische form ist. illoyaler wettbewerb… wir, die wir für ein wort leiden, für ein bild. der speicher der kamera ist voll. der tag neigt sich. ein wenig perlmutt am glasboden. jetzt kann ich alt werden.

 


Interview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Gérard Cartier: Manche Schriftsteller, nicht die schlechtesten, machen eine Gottheit aus ihr. Falls dies der Fall ist, ist sie eine kleine Göttin, von geringer Macht, dafür launisch und schrecklich fordernd, die uns als Gegenleistung für einen täglichen Ritus und allerlei Frömmigkeitsübungen nichts anderes als, in der Zeit des Schreibens, ein gewalttätiges Existenzgefühl gewährt – und im Laufe der Jahre, durch die langsame Akkumulation von Büchern ein konkretes, fast geologisches Bild unseres Lebens.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
GC: Ein Ort zum Warten oder ein Ort, um sich mit Dichterfreunden zu treffen. Ich gehe selten dorthin, um mich zurückzuziehen. Mitunter habe ich in dem einen oder anderen ein Gedicht geschrieben, ein paar Seiten einer Geschichte, aber ich bevorzuge die Stille und Einsamkeit: ein geschlossener Raum, eine blinde Wand oder ein Fenster, das dem Norden zugewandt ist.

Warum hast du « Le Zimmer » gewählt?
GC: Vielleicht für die Illusion, in diesem Seitenteil, in einem altmodischen Luxuszug nach Sofia oder Konstantinopel zu sitzen?

Was machst du, wenn du nicht in einem Café anzutreffen bist?
GC: Das heißt, fast immer… Morgens Schreiben; nachmittags Gartenarbeit, Museum oder Spaziergang; abends Lesen. Aber ich stehe nicht mitten in der Nacht auf, um zu skandieren!

 

BIO

Geboren 1949 in Grenoble. Ingenieur (Kanaltunnel, Lyon-Turin). Dichter (Tristan-Tzara- und Max-Jacob-Preis), Schriftsteller, Kritiker. Hat etwa fünfzehn Werke veröffentlicht, darunter in jüngster Zeit Poesie: Les Métamorphoses (Le Castor Astral, 2017), L’ultime Thulé (Flammarion, 2018); und Prosa: L’Oca nera, Roman (La Thébaïde, 2019), Le Perroquet aztèque, Essay (Obsidiane, 2019).
Koordinator der Literaturrevue Secousse. Initiator und Ideengeber (zusammen mit Francis Combes) der Plakatieren von Gedichten in der Pariser Metro (1993-2007).

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Maud Bayat-Razagh | Brasserie Lola, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Maud Bayat-Razagh | Übersetzung aus dem Französischen: Yasmin Alizadeh

 

Die wandelnde Seele einer Frau.
Zu diesem Zeitpunkt wird ihr Name vergessen sein, nicht nur von ihren Freunden und den anderen, sondern auch von ihr selbst.
In Ihrem Herzen eine Vielzahl von Sorgen tragend, fühlt sie sich leer.
Um Alborz also doch zu sehen und zu fühlen, lässt sie ihre Seele weit von ihrem Körper fliegen, auf einer astralen Reise.
Wo wird sie sich wieder einrichten können, an keinem Ort der Welt? Doch, sicher, es gibt einen anderen Ort!
Sie, die in ihrem Land nicht die Gelegenheit hatte, den von Hafez und Molana versprochenen Wein zu trinken, entdeckt den köstlichen Geschmack der Trunkenheit in der Stadt der Liebe. Paris.
Sie geht durch die kleinen Gassen, die von Liebhabern und Dichtern durchkreuzt wurden, inspiriert vom gleichen Park in Saint-Cloud, in dem schon Renoir und Cézanne Natur und Farben so sahen, wie sie wirklich waren, lebendig.
Ihr Name spielt keine Rolle, vor alle anderen Dingen, ist sie eine Frau. Eine Frau, die Nuancen, Kraft und Energie in Haarpracht und Worten anderer sucht. Sie mischt die Farben und die Sprache, die sie hier und da findet. Schließlich und endlich, wählt sie nur eine Farbe, ein Wort und einen Duft. Die Liebe.

 

Original



Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Maud Bayat-Razagh: Eine Entdeckungsreise.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
MB-R: Sie sind für mich sowohl Treffpunkt als auch Zufluchtsort, an dem wir uns aus dem Alltag zurückziehen können. Die Pariser Cafés sind sozusagen die Essenz des poetischen Paris.

Warum hast du die Brasserie Lola gewählt?
MB-R: An einem Sonntag Nachmittag ließ ich mich von Alain in das 15. Arrondisment führen.

Was machst du, wenn du nicht in einem Café anzutreffen bist?
MB-R: Wenn ich nicht in einem Café verweile, dann bin ich in meinem Friseursalon und berühre die Haare meiner Kunden, meine Gemälde und Bücher oder ich spaziere durch den Saint-Cloud-Park und berühre Rinde und Baumstämme.

 

BIO

Maud Bayat-Razagh, geboren 1973 in Teheran, schreibt Gedichte in ihrer Muttersprache, Persisch. Seit ihrer Jugend hat sie ein Faible für Kunst mit einer besonderen Affinität für das Zeichnen, Malen und Schreiben. Nach ihrem Universitätsstudium an der Sorbonne begann sie, sich in den Pariser Künstlerkreisen zu engagieren. Ihr Beruf – sie ist Friseurin – inspirierte sie und es sind Haare, die sie für ihre Kunst verwendet, um das Weibliche darzustellen. Immer nach mehr strebend, setzt sie ihre Erkundung des künstlerischen Feldes fort, in der Hoffnung, Antworten auf ihre existentiellen Fragen zu finden.

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Eva Woska-Nimmervoll | Café Central, Baden

Foto: Alain Barbero | Text: Eva Woska-Nimmervoll

 

Ich betrete das Café.

Gehe ich gerade? Ich stolpere so dahin. In großen Spiegeln beobachte ich mich und andere, die mich beobachten. Sehen und gesehen werden war immer schon wichtig. Man schaut automatisch, wenn sich irgendwo etwas bewegt; jetzt ich beim Mantel-Aufhängen. Meine Haare bilden keine Frisur. Ich sehe komisch aus. Musste der Lippenstift sein? Ich trage sonst nie Make-up, kenne keine Tricks, wie man sich volle Lippen schminkt. Ich bin ja auch keine Mode-Bloggerin. Ich schreibe literarische Texte, das geht ohne angemalte Lippen. Und mit Haaren unter den Achseln. So ungeschminkt und unrasiert kann ich – kann man? – mich eher ernstnehmen. Das ist authentisch. Die jungen Schriftstellerinnen rasieren gerade deshalb nicht. Unrasierte Achseln sagen I don’t give a damn, widersprechen sich selbst damit. Aber wie sie sich widersprechen ist cool. Früher war ich das auch, doch die letzten Jahre dann feig und rasiert.

Ich bestelle einen Kaffee.

Und jetzt wieder aufs Rasieren scheißen, nur weil die Jungen es tun? Könnte mir doch völlig egal sein, was andere denken. Ist es mir aber nicht. Andererseits: Man muss ja nicht aus allem ein Statement machen. Gerne heute so und morgen wieder anders. Also auch mal Lippenstift, wenn mir gerade danach ist. In jedem Fall nicht zu dick auftragen. Wofür brauche ich Applaus – bin ich eitel oder unsicher? Ich halte es wohl nicht aus, statt mit Bewunderung mit Abscheu oder gar Verachtung angestarrt zu werden. Die Zweifel schmecken bitter durch den Kaffee, durch das Wasser, durch jede Torte.

Später stolpere ich wieder durch den Raum mit dilettantisch angemalten Lippen und tu so, als wäre ich cool. Niemand starrt. Reine Selbstbeobachtung. Ich schwitze vor lauter Nachdenken. Cool ist nur, wer gar nicht darüber nachdenkt, ob er cool ist.

Also gehe ich nach Hause und schreibe.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Eva Woska-Nimmervoll:  Lesen und Schreiben von anspruchsvollen Texten, die mich berühren und mir neue Einsichten verschaffen. Beim Schreiben lerne ich Figuren kennen, die mir etwas über mich erzählen. Die Literatur und ihr Betrieb ergeben aber auch eine Parallelwelt. Voll mit Spiegeln und dem ganzen eitlen Kram, den es genauso in der Anspruchslosigkeit gibt. Bücherstapel dienen als Podeste und Sprungbretter irgendwohin.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
EW-N: In einer Stadt Zuflucht und Ruhepol, in einem Dorf eher Raum für Begegnung und Trubel. Kaffeehäuser sind Kultplätze mit mystischen Ritualen, nicht nur für Eingeweihte.

Warum hast du das Café Central in Baden ausgewählt?
EW-N: Weil es unaufgeregt und zeitlos ist. Es macht nicht auf alt, gibt sich nicht modern. Man erkennt die heutige Zeit nur am Händetrockner am Klo und an der hippen Auswahl an Teesorten. Sonst wirkt es wie vor dreißig Jahren. Damals hatte ich schon den Eindruck, es erinnert an eine frühere Zeit. Der Blick auf die Pestsäule gemahnt uns stets, glücklich zu sein, heute zu leben und nicht in Zeiten der Pest.

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
EW-N: Dann sitze ich auf meinem Balkon und spiele, ich bin im Kaffeehaus.

 

BIO

geb. 1969 in Mödling, aufgewachsen in Baden, Niederösterreich. Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Wien, freie Journalistin, Schreibpädagogin; zeitweise auch Sängerin (Singer/ Songwriter, Irish Folk). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV) und des Berufsverbandes österreichischer SchreibpädagogInnen (BÖS). Diverse Preise und Stipendien (u.a. Förderpreis Harder Literaturpreis 2016), Veröffentlichungen in Anthologien und Literaturzeitschriften. 2019 erschien ihr erster Roman „Heinz und sein Herrl“ bei Kremayr & Scheriau.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Peter Bosch, Café Steinbock, Kaffeehaus, Wien, Vienne

Peter Bosch | Café Steinbock, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Peter Bosch

 

Der Mann im Spiegel
weiß noch nicht,
dass er das letzte Mal
hier steht
angelehnt
an die Zeit,
die schließt
abschließt
Neues bringt.
Doch wird es noch
die meine sein?

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Peter Bosch: Geschichten zu erzählen, irgendwo zwischen Realität und Fiktion. Ich mag die Grenzlinie, wo sich beides vermischt.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
PB: Ich bin kein Caféhauspoet, ich schreibe meistens daheim. In Caféhäusern habe ich Blind Dates.

Warum hast du das Café Steinbock ausgewählt?
PB: Weil ich dort Blind Dates mit Frauen hatte, die vom Sternzeichen Steinbock waren. Allerdings hat das Café Steinbock vor kurzem zugesperrt. Wahrscheinlich hatte ich zu wenige Dates. Und jetzt wird es noch schwieriger: ich kenne kein anderes Cafèhaus in Wien, das nach einem Sternzeichen benannt ist. Ich werde wohl Single bleiben.

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
PB:  Filmen, Fotografieren, Prokrastinieren.

 

BIO

* 1957 in Wien. Lebt und arbeitet dort. Sesshaft. Wirtschaftswunderkind.
Arbeitet als Programmierer, Autor, Fotograf und Filmer.
Veröffentlichung div. Romane und Erzählungen.
Fotoausstellungen und Produzent bei Okto.tv.

 

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Jean-Philippe Domecq, La Maison Blanche, Bistro, Paris

Jean-Philippe Domecq | La Maison Blanche, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Jean-Philippe Domecq | Übersetzung aus dem Französischen: Anna Robinigg

 

So saß unser Held also am Cafétisch, oh ja! Sehr in Anspruch genommen vom Spektakel dessen, was ihn umgab – obwohl es sich nicht um ein hinreißendes Schauspiel handelte, es waren nur die Kleinigkeiten, die das Alltägliche ausmachen (…). Es waren nur Wände, Gäste, Biergläser. Er bemerkte, dass er ein Glas vor sich hatte und seine Hand gleich daneben auf dem Tisch lag. Blasen im Bier. Er hob die Augen: nur Menschen! nur Anwesenheiten! Er lächelte: es war das bewegte Lächeln des Gelehrten am Anbeginn der Entdeckung, es war der Eindruck einer völligen Neuheit (…). Er besah sich den Abstand zwischen jenen, die alleine tranken – es waren wenige. Einige von ihnen waren voller Absichten, andere verschlossen. Man musste nur von unten zuhören. (…) die Menschen, die miteinander sprachen, nette Gespräche, (…) all dieses Sickern vom Mund zum Ohr, die Hin- und Rückwege mehr oder weniger schnell, die Prozession von Händen um Worte, die Oberkörper, die sich bogen, und vor allem das Hausieren von Blicken durch den Raum. Ohne sie wirklich zu hören – und zweifelsohne dank dieser momentanen Schwerhörigkeit -, nahm er die Andeutungen hinter den Gesprächen wahr, wie wenn sie Postskripte wären.

Und dann schaukelte sich sein Blick zur Glühbirne hoch, die oberhalb der Theke baumelte. Sie erschien ihm sehr schön, diese bauchige Glühbirne am Ende der geflochtenen elektrischen Leitung. Er sah sie hängen, wie noch nie eine Glühbirne hing. (…) Später, viel später, fand man ihn, wie er im Begriff war festzustellen, dass der Himmel dunkel war: Er befand sich auf dem Gehsteig und ging.

(Auszug aus Une Scrupuleuse aventure, éditions Papyrus, Paris, 1980)

 


BIO

Jean-Philippe Domecq ist der Autor von zwei Romanzyklen, «Les Ruses de la vie » und « La Vis et le Sablier » (Métaphysique Fiction). Cette Rue aus dieser Reihe erhielt den Prix du roman de la Société des Gens de Lettres 2007, und Le Jour où le ciel s’en va den Prix Tortoni 2011. Er ist auch Essayist, und er ist der Autor von Robespierre, derniers temps (Prix du Salon du Livre 1984), sowie der Comédie de la Critique über die zeitgenössische Kunst (Neuauflage 2015) und über die Literaturkritik (Qui a peur de la littérature? Neuauflage 2002, Prix international de la Critique du Pen-Club). Zu seinen neuesten Werken zählen : Le Livre des jouissances, Qu’est-ce que la Métaphysique Fiction ?, und La Monnaie du temps. Eine vollständige Liste der rund vierzig Veröffentlichungen bis heute findet sich auf: www.leblogdedomecq.blogspot.com

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Harald Jöllinger, Café Votiv, Kaffeehaus, Vienne, Wien

Harald Jöllinger | Café Votiv, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Harald Jöllinger

 

Kaffeehäuser, ich weiss nicht. Genau genommen mag ich keine Kaffeehäuser. Kaffee schon, den mag ich. Jeden Tag einen Kaffee in der Früh. Sonst komm ich gar nicht raus. Aber nur einen. Und nur in der Früh. Mehr nicht. Sonst kann ich nicht schlafen.
Gegen Häuser hab ich auch nichts. Wohn auch in einem Haus. Also nein, in einer Wohnung, aber die ist ja auch in einem Haus. Aber Kaffeehäuser …
In Kaffeehäuser geh ich nur … Also seit ich halt mit dem Schreiben begonnen hab. Weiss nicht warum. Ist ja eine fade Sache, die Schreiberei. Vielleicht liegt’s am Häferl von der Oma. Da ist drauf gestanden: „Jessas na, war des a G’frett, wenn man kan Kaffee net hätt.“ So hat das angefangen mit mir und dem Kaffee. Und so hat das auch angefangen mit mir und dem Dichten. Das wollt ich auch können und so hab ich eben auch was geschrieben. Kann auch sein, dass ich erst später mit der Schreiberei begonnen hab. Wie mir mein Onkel gesagt hat: „ In deinem Kopf da scheppert es, du bist ein Kind ein deppertes.“ Ist jetzt auch schon tot, der Onkel. Aber da hab ich begonnen Gedichte zu schreiben. Mit Reim und so. Dann Limericks. Und kleine Geschichten.
Und was machen die depperten Literaturzeitschriften, denen ich das Zeug geschickt hab? Anstatt dass die sagen: „Das ist ein Schas, das veröffentlichen wir nicht.“, drucken die das ab. Das ist kein Spass. Weil seither bin ich Autor. Und jeder Autor hat ein Kaffeehaus, in dem er schreibt. Keiner schreibt daheim am Schreibtisch. Nein, im Kaffeehaus. Das ist so. Das ist zwar ein Klischee und ich mag keine Klischees. Aber man muss sich ja trotzdem daran halten.
Jetzt sitz ich halt immer wieder sinnlos im Kaffeehaus und schreib was. Aber Feude hab ich keine damit. Mit dem Schreiben nicht, und mit Kaffeehäusern schon gar nicht.


Interview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Harald Jöllinger:   Ja, wie man so sagt bei uns. Die Literatur, … Die Literatur. Sie ist mir halt nicht wurscht.

Welche Bedeutung haben Kaffeehäuser für dich?
HJ: Wenig. Von mir aus könnte man alle Kaffeehäuser in Heurigenlokale oder Bierbeiseln verwandeln. Vielleicht, dass man ein Kaffeehaus offen lässt aus nostalgischen Gründen. Damit die japanischen Touristen was zum Besichtigen haben. Und das Café Votiv muss bleiben. Das sind die einzigen, die unsere Schreibrunde nicht vertrieben haben.

Warum hast du das Café Votiv ausgewählt?
HJ: Na eben wegen der Schreibrunde. Einmal im Monat treffen wir uns dort. Höchstes Niveau. Da wären viele gerne dabei. Aber wir nehmen derzeit keine neuen Schreiberlinge (oder Schreiberlinginnen).

Was machst du, wenn du nicht im Kaffeehaus bist?
HJ: Dann sitz ich auf einer Parkbank und schau deppert in die Gegend. Das ist überhaupt am Aussterben. Fressen, saufen, raunzen, granteln können die Wiener noch. Aber nur da hocken und ins Narrenkastel schauen … Das stirbt aus. Weil alle nur noch aufs Handy schauen. Auch im Kaffeehaus. Mehr ins Narrenkastel schauen, das wäre wichtig.

 

BIO

Geboren 1973 in Mödling; lebt in Maria Enzersdorf, schreibt Nonsens, schwarzhumorige Lyrik und Kurzprosa. Teilnehmer der Celler Schule 2007 und Gewinner des Irseer Pegasus 2013. Absolvent der Leondinger Akademie für Literatur 2016. Publikumspreis bei der Nacht der schlechten Texte in Villach 2016. Im Frühjahr 2019 erschien der Erzählband „Marillen und Sauerkraut“ bei Kremayr & Scheriau.

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Sorour Kasmaï | Lili et Riton, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Sorour Kasmaï | Übersetzung aus dem Französischen: Anna Robinigg

 

Ich liebe die Stadt, so wie andere das Land lieben. «Dieses steinerne Meer ist ebenso Natur wie die Natur, die Berge oder die See, und der Mensch, der dort zur Welt kommt ist auf gewisse Weise von ihr erdacht»*. Ich liebe die Stadt, ihre Vorstellungswelt, ihre Geschichten, ihre Poetik. Die Geschichte derjenigen, die sie bewohnt, sie geformt, sie erträumt haben.

Um die Vorstellungswelt einzufangen, die sich hinter ihren Steinen verbirgt, schlendere ich durch ihre Straßen. Die Stadt setzt sich zusammen aus Orten und Objekten, die so viele Anwesenheiten angesammelt haben, so viel kollektives Innen und Außen. Im Laufe meiner Spaziergänge enthüllen mir die Stadt und ihre Bewohner nach und nach ihre Träumereien.

Es gibt Oasen in der Stadt, in denen die Zeit stillsteht. Mehrdeutige Orte, halb Stadt, halb Dorf, an der Grenze zwischen Heute und Gestern gelegen, zwischen Literatur und Zeitgeschehen… Aus dieser Mehrdeutigkeit entsteht die Poesie, entspringt der Traum.

Einer dieser vieldeutigen Orte ist ein kleiner schattiger Platz, an der Kreuzung mehrerer Epochen, wo sich die Gegenwart mit einer manchmal weit zurückliegenden Vergangenheit vermischt. Nur ein paar Schritte vom Rausch des Bahnhofs entfernt, ein kleines Dorf am Fuße eines modernen Turms. Auf der einen Seite geht der Blick auf die Rue de la Gaîté und ihre Schenken aus dem 19. Jahrhundert, die im 20. Jahrhundert zu Theatern wurden, und auf der anderen Seite auf die Rue d’Odessa und ihre bretonischen Crêperies. Der Boulevard Edgar Quinet, früher verrufen und Hochburg für Prostitution und Verbrechen, verläuft immer noch entlang der Mauer des alten Friedhofs, auf dem Baudelaire begraben liegt, nicht weit vom Montparnasse der 20er-Jahre und seinen Künstlern und Malern. In der Rue Delambre logierten Gauguin und Breton im selben Haus, wenn auch zu anderen Zeiten. Hemingway und seine Lost Generation befanden sich gerade gegenüber, in der Dingo Bar, die es heute nicht mehr gibt. Sartre und Malraux geistern immer noch durch die Gegend.

An diesem Ort verlangsamt sich der ungezügelte Rhythmus der großen Metropole, man bekommt Lust, einen Moment lang anzuhalten, sich an einen Tisch auf einer Terrasse zu setzen, oder sich bei schlechtem Wetter hinten im Saal eines der unzähligen Bistros zu verkriechen. Lili et Riton ist das kleinste von allen.

Ein Ort, der ebenso doppeldeutig ist, halb Bistro, halb Café. Bistro, weil man dort als Stammgast begrüßt wird, die Hand gedrückt, man gefragt wird, was es Neues gebe. Café, weil man sogleich nach der Anbiederei den Freiraum zurückbekommt, alleine zu träumen. Man sucht sich also seinen Tisch. Einige davon sind mit metallenen Schildern verziert, auf denen irgendein Name steht. Wahrscheinlich der eines anderen Stammgastes, treu wie man selbst, der nicht mehr kommt, weil seine Heimstatt nun im Friedhof auf der anderen Seite des Boulevards liegt. Aber die Tische und Stühle bleiben, stumme Zeugen von anderen Leben und von anderen Schicksalen. Aber welche Schicksale? Was sind die Geschichten, die intimen Worte, die hier gesprochen oder erzählt wurden? Wer sind die Lilis und die Ritons, die sich hier getroffen oder verlassen haben?

In meinem Heft halte ich Satzfetzen von den Gesprächen fest, die ich hier zu hören vermeine. Ich betrachte die Menschen, die draußen mit zögerndem Schritt vorbeigehen, gedankenverloren. Wohin gehen sie? Woher kommen sie? Hinter meinem Rücken ertönt das Lachen einer Frau. Ich drehe mich nicht um, so bin ich frei, mir das Gesicht vorzustellen, das ich mir wünsche. Worüber lacht sie so bitter? Wie alt ist sie? Welche Illusion hat sie gerade für immer verloren? Ich höre noch einige Sekunden hin, aber ich nehme nichts mehr wahr. Ich drehe mich um. Da ist niemand. Also lade ich sie ein zu existieren. Ich schreibe ein Wort, einen Satz… Ich schreibe die Frau, die eines Tages am Tisch ganz hinten saß…

*Pierre Sansot in Poétique de la Ville

 


BIO

Sorour Kasmaï ist Romanautorin, Übersetzerin und Herausgeberin. Geboren in Teheran in einer frankophonen Familie, Schulzeit im franko-iranischen Lycée Razi. Nach der iranischen Revolution flieht sie 1983 aus dem Land. Studium der russischen Literatur und Sprache in Paris. 1987 kann sie dank eines universitären Stipendiums nach Moskau reisen und russisches Theater studieren. Fasziniert vom Theater wird sie Übersetzerin und Dolmetscherin für Russisch für Theater und an der Pariser Oper.

Parallel dazu beschäftigt sie sich mit der oralen Literatur der Tadschiken und veröffentlicht eine Reihe von CDs mit populärer und traditioneller Musik aus Tadschikistan, sowie Werke populärer und traditioneller iranischer Musik.

2002 erscheint ihr erster Roman, Le cimetière de verre, beim Verlag Actes Sud. Ebenfalls bei Actes Sud gründet und leitet sie die Reihe «Horizons persans», die sich der iranischen und afghanischen Literatur widmet. Seither hat sie weitere Bücher veröffentlich, La Vallée des Aigles, l’autobiographie d’une fuite (Prix Adelf 2007) und Un jour avant la fin du monde (Robert Laffont). Zusätzlich hat sie mehrere Romane und Kurzgeschichten ihrer Landsleute übersetzt, unter anderem Mon oncle Napoléon von Iraj Pezechkzad. Sorour Kasmaï schreibt und veröffentlicht ihre Romane auf Persisch und auf Französisch. Seit September 2016 ist sie Jurymitglied des Prix du Jeune Ecrivain de langue française

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Marco Amoroso, Lettere Caffè, Café, Roma

Marco Amoroso | Lettere Caffè, Rom

Foto: Alain Barbero | Text: Marco Amoroso | Übersetzung aus dem Französischen: Anna Robinigg

 

Ich lasse dir die Worte.

Als ich dich zum ersten Mal sah, dachte ich, dass ich dich früher hätte treffen sollen.
Oder vielleicht nie.
Wir schliefen zusammen, es war kalt. Dein Zimmer war voller Pflanzen.
Ein Duft von Minze. Gainsbourg.
Eine Erinnerung an damals, als du klein warst.
Ich, du und die schlafende Stadt.
Das Meer nicht sehr weit.
Die Sonne und der Kaffee, die uns der Tag anbietet.
Worte, die oft ein besseres Schicksal haben als jene, die sie sagen.

 

Original

Ti lascerò le parole

La prima volta che ti ho vista ho pensato che avrei dovuto incontrarti prima.
O forse mai.
Abbiamo dormito insieme e faceva freddo, e la tua stanza era piena di piante.
Un profumo di menta. Gainsbourg.
Un ricordo di quando eri piccola.
Io te e la città  che dorme. 
L’oceano non troppo lontano.
Il sole e il caffè che ci regalano il giorno.
Le parole, che spesso hanno un destino migliore di chi le scrive.

 


Interview mit dem Autor

Was bedeutet dir Literatur?
Marco Amoroso: In meiner Welt ist Literatur alles: Wahrheit, Lüge, Fiktion, Traum. Sie ist eine Brücke zwischen der Wirklichkeit und den tausend Leben, die wir leben.

Was bedeuten dir Cafés?
MA: Auf ihre eigene Weise sind der Kaffee als Zeit und das Bistro als Ort Synonyme für Literatur. Immer zu beobachten, das bedeutet auch, Worte zu finden, von einem Bild angetrieben zu sein, sich frei zu fühlen und zur gleichen Zeit versteckt. All das spielt sich vor und nach dem Kaffee ab.

Warum hast du das «Lettere Caffè» gewählt?
MA: Weil es ein Ort ist, an dem man den Duft eines Roms atmen kann, das es nicht mehr gibt. Und weil man dort fantastische Menschen treffen kann.

 

BIO

Marco Amoroso ist in Rom zur Welt gekommen. Er ist in verschiedene kulturelle Projekte zwischen Italien und Frankreich involviert. Derzeit lebt er in Bordeaux, in Nouvelle-Aquitaine.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Giovanni del Franco, Le Bouquet de Grenelle, Bistrot, Paris

Giovanni Del Franco | Le Bouquet de Grenelle, Paris

Fotositzung für Alain. Ich bin besorgt, dass er nicht zufrieden sein könnte. Ich versuche, dem schwarzen Blick des Objektivs zu entkommen. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf. Sie werden eingefangen vom Geist einer Frau. Verschwunden vor zweiundvierzig Jahren, in Italien, dem Land meines Vaters. Eine Frau, deren Schicksal mich fasziniert. Über die ich zu schreiben versuche. Sie führt mich von den erträumten Höhen der mexikanische Sierra Madre zu den bekannten Landschaften Umbriens. Ich hätte sie kennen können, hätte ihre Stimme hören, ihren Blick schauen, ihr Schweigen atmen können. Sie ist zu früh gegangen. So also sind es wenige Bilder, mit deren Hilfe ich sie zu erreichen versuche: Fotos von ihr, davon eines mit zwanzig Jahren. Ihre würdevolle Schönheit ist geprägt von Melancholie. In ihren Zügen suche ich nach den Fäden ihrer Geschichte. Aber Alain wartet. Ich werde später zurückkehren.

 


Interview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Giovanni Del Franco: Zuerst einmal Flucht. In der Literatur suche ich mir Welten, die mich vom Alltag unserer formatierten Gesellschaft entfernen. Und Erinnerung. Die Weitergabe von Erinnerung. Ich schreibe viel über die UreinwohnerInnen Amerikas. Wer ist weiter von uns entfernt als ein Apache des 19. Jahrhunderts? Ich lese Werke zu diesem Thema, oder zu historischen Themen (die Erinnerung…). Vor kurzem habe ich begonnen, mich für Krimis zu interessieren, vor allem für die nordischen (vermutlich aufgrund der Fremdheit).

Was bedeuten Cafés für dich?
GDF: Eine Pause. Ein Moment, in dem die Zeit nicht mehr so schnell läuft. Und ein Abbild der Welt, in der wir leben. Zahlreiche soziale Schichten verkehren hier miteinander.
Ich setze mich nie alleine hin, sondern an die Bar, wo die Menschen miteinander reden. Meistens über unbedeutende Dinge. Aber sie reden. In einem hypervernetzten System sind Orte selten, an denen das möglich ist.

Warum hast du «Le Bouquet de Grenelle » gewählt?
GDF: Ganz einfach aus dem Grund, dass es das Café ist, in dem ich mich am meisten aufhalte, und das seit rund zwanzig Jahren. Da es nah bei einem meiner Arbeitsorte ist, habe ich früher dort regelmäßig einen kleinen Schwarzen getrunken, bevor ich meinen Arbeitstag begonnen habe. Mittlerweile tue ich das nur noch gelegentlich, aber gerade heute war ich wieder dort, um auf der Terrasse ein Glas mit meiner Cousine zu trinken, die zu Besuch bei mir war.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
GDF: Vor allem schreibe ich. Ich kann nur bei mir zuhause schreiben, in der Ruhe, in der Stille. Ich versuche, etwas zu veröffentlichen (und das Vermarkten braucht ebenfalls viel Energie). Ich mag das Kino, Ausstellungen, Reisen (ich bereise alle Hauptstädte Europas). Und um meinen Lebensunterhalt zu verdienen (das Schreiben bringt nicht genug ein), höre ich mir Geschichten an. Ich bin Arzt.