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Guillaume Métayer | Le Select Montparnasse, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Guillaume Métayer | Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Unterweger

 

Im Café Select

Ich sitze auf der Terrasse des Sélect, und es ist spät, sehr spät, als ich glaube zu sehen, dass eine kleine Nähmaschine auf dem Boden vorbeifährt. Ganz rund ist sie und winzig, nicht größer als der Bizeps eines kleinen Großmauls. Der Muskel bewegt sich, als ob nichts dabei wäre, im gleichmäßigen Rhythmus eines Reißverschlusses, eines Elektroautos, ohne je davon abzuweichen. Diese Gleichmäßigkeit ist seine Zauberformel für Unsichtbarkeit. Seine Vogel-Strauß-Politik. Ab und zu stoppt der Zipp, um dann ganz plötzlich wieder, aber ohne Ruck, weiterzufahren. Diese aufmerksame Schneiderin flickt da im Stillen, ganz auf ihre Arbeit konzentriert, etwas unter den Tischen, repariert ein Stück Welt im Hintergrund. Die Maschine erstarrt, fährt wieder los, wie ein Spielzeugauto, das sich selbst aufzieht. Sie erscheint ebenso erratisch wie regelmäßig, als ob der Mechanismus verrückt spielte. Andererseits wirkt sie alles andere als kaputt. Im Gegenteil, sie ist völlig glatt, von einem perfekten Hellgrau, ohne Muster. Von ihrem aufmerksamen, pünktlichen Hin-und-her geht eine Atmosphäre der Ruhe und Gelassenheit aus. Ich stelle mir vor, dass sie – indem sie immer eines nach dem anderen ansteuert: Stuhlbein nach Stuhlbein, dann die Körner des Langustenrisottos, das zur Kippe verkohlte Pommes, einen Krümel Brot –, etwas auf den Boden zeichnet, etwas, das nur von oben sichtbar ist. Sie erledigt die Arbeit einer unauffälligen Müllsammlerin wie ein automatisierter Staubsauger, und ich bin stolz darauf, diese Mischung aus Roboter und Klabauter wahrgenommen zu haben. Paris ist noch voll von diesen Kleinereignissen, diesen kleinen Wundern, Skandälchen, für die man wie eine müde Katze nur halb die Augen öffnet. Schon heute Morgen war ich da, in meinem Lieblingscafé: als der Angorakater des Besitzers, ein pensionierter Jäger, über die Bar-Relings von Tisch zu Tisch strolchte. Dieser Oger lungert zu dieser Stunde wohl irgendwo weiter oben herum, in einem der himmlischen Stockwerke dieses Feen-, dieses Kaffeehauses. Keinerlei Aufmerksamkeit schenkt er der potenziellen Beute hier, dem kleinen Däumling, der von Brösel zu Brösel segelt, um einen Großen Bären darzustellen, dessen schlaftrunkenem Faden ich zu folgen versuche, ohne daran zu glauben.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Guillaume Métayer: Alles, und zwar mehrfach. Sie kann die Welt erschaffen und wieder erschaffen, ohne Unterlass. Aber all das geschieht im Plural und im Konjunktiv, und das macht es erträglich.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
GM: Sie flößen mir ein bisschen Angst ein, wie Treibsand: die Angst, nicht mehr zu wissen, wo man zu Hause ist. Daher besuche ich sie nicht so häufig, wie ich wohl sollte. Natürlich trinke ich Kaffee mit Freunden und Kollegen, aber es ist nicht wirklich meine Gewohnheit, im Café zu arbeiten. Ich mag das Select, weil sein zeitloser Chic wie eine Nicht-Zeit wirkt, die Freundlichkeit seiner Kellner und die Abwesenheit von Musik wie ein Nicht-Ort. Ich fühle mich beschützt von dieser Zeitlosigkeit.

Wo fühlst du dich zu Hause?
GM: In gewissen Métro-Zügen, zu gewissen Jahreszeiten. Ich sitze und warte, bis die Bahn aus dem Untergrund steigt und wieder über der Seine schwebt, vorbei an den Haussmann’schen Balkonen… Dann drehe ich den Kopf, genau in jenem Moment, in dem in der Zahnlücke zwischen zwei Gebäuden der Taj Mahal des Montmartre als Silhouette auftaucht. Das billige Parfum, das in der Luft liegt, erinnert mich an die Sonntage meiner Jugend. In solchen Momenten gibt es nichts Komfortableres als einen Klappsitz.

 

BIO

Guillaume Métayer ist Lyriker, Übersetzer und Literaturhistoriker. Sein letzter Gedichtband, „Mains positives“, ist eben bei Rumeur libre éditions (2024) erschienen. Seine Texte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er selbst überträgt zahlreiche mitteleuropäische Stimmen ins Französische, sowohl zeitgenössische wie István Kemény, Aleš Šteger, Krisztina Tóth oder Andreas Unterweger als auch romantische und moderne wie Attila József, Ágnes Nemes Nagy, Sándor Petőfi sowie die Gedichte von Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer.

Peter Hodina | Pasticceria Duca D’Este, Ferrara

Foto: Alain Barbero | Text: Peter Hodina

 

Es ist mehr ein Zufall, dass wir die Pasticceria Duca D‘Este hier in Ferrara ausgesucht haben. Der Regenschauer hat uns hereingetrieben. Außer uns sind während der Siesta keine Gäste zu sehen: um so besser lässt sich parlieren, inszenieren und fotografieren. Die Einrichtung ohne Gäste hat etwas direkt schon Brutalistisches. Auch wie ich hier sitze, ein dunkles Bier nach dem anderen trinkend, ist unverstellt, nicht gestellt. Oder ich bin gestellt, wie ich leibe und lebe. Wenn ich Cafés alleine besuche, dann immer nur so zwischendurch und ungeplant. 

Blicken wir aus dem Fenster, steht allerdings sogleich ein Lieblingsbauwerk von mir vor unseren Augen: das von einem Wassergraben umgebene Castello Estense, das den Ferrareser Herzögen als Residenz diente, worauf auch der Name unseres Cafés anspielt. Dieses imposante Bauwerk findet sich insbesondere auf Gemälden von Giorgio de Chirico, dem Hauptvertreter einer Pittura metafisica. 

Ich wandere abends gerne um diese roten Mauern herum und komme aus dem Staunen nicht heraus. Es ist für mich ein Symbol des erratischen, zeitenüberdauernden Beharrens. Von diesem Bauwerk will ich mir etwas für ein eigenes Werk abschauen: es ist das Symbol meines eigenen künftigen philosophischen Buches, das ich umkreise. Ich blicke zur Turmuhr hinauf, wie spät es für mich ist. Charles Dickens mochte das Castello nicht, das er „eine finster dräuende Stadt für sich allein“ nannte. Das Denkmal für Savonarola, der 1452 in Ferrara geboren wurde, komplettiert diesen Eindruck. 

Neulich hatte ich einen Traum, in dem der kinderlos gebliebene Herzog Borso d’Este mich erfahren ließ: „Was du in dir mitbrachtest an Bedrückendem, deine alte Leier zählt hier nicht im Umkreis meines Szepters. Magst es Utopie nennen, nachträgliche. Nie fühlte sich ein Herrscher in seinem Schuhwerk wohler.“

Am Vorplatz steht eine alte Kanone, auf der ich schon als Zwölfjähriger hinaufkletterte und feststellen musste, dass das Rohr vorne verschlossen war. Auch wollte ich mir unbedingt damals einen der runden Steine vom Pflaster herausbrechen, als wären diese Steine ganz besondere Leckerbissen. Noch heute hege ich den gleichen Appetit auf sie; ich begnüge mich jedoch damit, sie nur zu fotografieren.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Peter Hodina: Alles und nichts. Und etliches dazwischen. Ich möchte diese Frage unbescheiden und tendenziell viel optimistischer als für gewöhnlich beantworten. Österreich ohne Thomas Bernhard wäre ein anderes. 
Vielleicht hat sie auch potentielle Unholde an sich so sehr gebunden, dass wir weiter nichts von ihnen wissen. Insofern könnte die Literatur destruktive Kräfte neutralisiert haben. Sie wurden dann Leser statt Täter. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
PH: Keine so überaus große. Ich würde mich niemals mit meinem Notebook sichtbar für alle in meinem Stammcafé aufpflanzen, um zu zeigen, dass ich arbeite. Ich habe nicht einmal ein Stammcafé. 

Wo fühlst du dich zu Hause? 
PH: Dort, wo mir das Fällen eines Baumes oder der Abriss eines alten Hauses persönlich nahegeht. Wo ich in den Nächten viele Stunden wachliege, um das Verlorene in mir zu rekonstruieren. Ich kann den Rest meines Lebens darüber traurig sein, wenn eine Wurzel am Waldweg, über die ich als Kind mit meiner Großmutter klettern musste, nach Jahrzehnten beseitigt wurde. Oder jener Baum, der ein Fahrverbotsschild überwachsen hatte, das wie ein Auge aus Rindenlidern hervorblinzelte.

 

BIO

Peter Hodina, am Neujahrstag 1963 geboren. Lebt in Salzburg, Berlin, Silberwald und Wien. 
Buchveröffentlichungen: 
Steine und Bausteine 1-3, Berlin: Avinus, 2009-2014. 
Sternschnuppen über Hyrkanien, St. Wolfgang/Wien: Edition Art Science, 2012. 
Spalier der Farne. Notate, Wien: Fabrik.Transit, 2022.

Patrick Pécherot | Le Wepler, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Patrick Pécherot Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Das Foto wurde im Wepler aufgenommen. Eine Pariser Brasserie am Place Clichy, fast eine Institution. Ein Ort, der mit Erinnerung beladen ist, der sie aber nicht kultiviert. Weit entfernt vom Vintage-Stil, der so viele Orte in Kulissen verwandelt hat, die ins Auge stechen. Das Wepler besitzt richtige Tische, die sich gegen 18 Uhr mit weißen Tischdecken und dazu passenden Servietten schmücken. Aber schlürfen Sie weiter ihren Espresso oder Ihren Zitronentee, wir lassen Sie in Ruhe.
Ich mag das Moleskin des Lokals, den Zeitungsständer, die Glasfront, durch die man auf die Straße schielt, die Kellner in ihrer Livree, die Kunden, die weder ganz jung noch angesagt sind. Ich weiß nicht mehr, ob Maigret, als er untertauchte, dort Lammhals gegessen hat, aber es war im Wepler, wo Nadja an André Breton schrieb: „Sag, warum hast du mir meine Augen genommen?“. Didier Blonde erzählt das in seinem schönen Buch „Cafés, etc.“ Es ist mit Didier, mit dem ich ins Wepler komme. Wir trinken dort ein Bier, knabbern Brot und Olivenpaste, die dazu serviert werden, wir reden über das Schreiben, das Radio und die ganz kleinen Freuden. Gott lädt sich manchmal zu unseren Gesprächen ein. Er ist gar nicht prüde und sein Sohn liebte die Gasthäuser. Wenn wir wieder auf den Boden gleiten, dann, um dort Fantomas, Nestor Burma oder Arsène Lupin zu treffen, deren Schattenbilder an verregneten Abenden Geister spielen.
Bevor du das Foto machst, Alain, hast du mir über deine Arbeit erzählt. Ich mag die Worte der Arbeit. Ich hatte diesem Treffen zugestimmt, weil ein gemeinsamer Freund als Bindeglied fungierte. Ich war neugierig auf das Projekt. Seitdem frage ich mich, wie viele Worte die Autoren hastig auf einen Cafétisch gekritzelt haben, aus Angst, sie könnten wegfliegen. Aber mehr noch denke ich an die, die verloren sind, weil keine Bar, kein Bistro oder keine Brasserie ihnen einen rettenden Halt geboten hat.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Patrick Pécherot: Die Frage verweist auf die Begegnung zwischen einem Buch und den Lesern. Auf einer Skala, die vom Intimen zum Globalen reicht, scheint mir die Literatur viel oder gar nichts zu können. Das macht sie zu etwas Rätselhaftem, wie alle Begegnungen. Auch zu einem „System“. Der Autor hat geschrieben, und es liegt oft nicht an ihm, ob das Buch lebt oder stirbt.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PP: Cafés sind Orte der Träumerei und der Beobachtung. Man findet dort den menschlichen Teig, aus dem eine zukünftige Figur gemacht ist, die manchmal verschwindet, wenn man wieder draußen ist. Man kann ein Detail einfangen, das später wieder auftaucht. Oder einfach eine für das Träumen günstige Atmosphäre finden. Aber „zu bestimmten blassen Stunden der Nacht“, wie Léo Ferré sang, können Cafés auch Orte der stillen Brüderlichkeit sein.

Wo fühlst du dich zu Hause?
PP: Zunächst mal bei mir zu Hause, in meiner Höhle, meinem Kokon. Aber im weiteren Sinn bin ich überall zu Hause, wo die Orte zu mir sprechen und mich berühren. 

 

BIO

Patrick Pécherot, geboren 1953, hat rund fünfzehn Romane und Essays geschrieben. Sie brachten ihm mehrere literarische Preise ein (Grand prix de littérature policière, Prix Mystère de la critique, Trophée 813, Prix Transfuge, Prix Marcel Aymé). In den verschiedenen Genres, die er bedient (Kriminalroman, Roman noir, diverse Texte), zeigt sich seine Vorliebe für soziale Geschichte und deren Zeitgeist.
www.pecherot.com

 

Catherine Cusset | L’Élephant du Nil, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Catherine Cusset | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

        Es gibt viele Cafés auf dem Platz bei der Métrostation Saint-Paul, fünf Minuten von meinem Haus entfernt. L’éléphant du Nil hat mich angezogen, weil das ein echtes Pariser Café ist, mit Zinktheke, kleinen dunklen Holztischen, Bistrostühlen und alten Fliesen. Ich fühle mich dort wohl. Eine Durchreiche öffnet sich zur Küche, wo der Koch gutes und preiswertes Essen zubereitet. Die Kellner sind jung und freundlich, und sie lächeln – im Gegensatz zum Klischee des typischen Pariser Kellners.
        Hier komme ich in Paris an, wenn ich aus New York anreise. Dreißig Jahre lang landete ich drei- oder viermal im Jahr in Roissy, holte meinen Koffer ab, nahm den RER, stieg in Châtelet um und stieg in Saint-Paul gegenüber dem L’éléphant du Nil aus. An der Theke bestellte ich einen Grand Crème, im Stehen, neben Stammgästen, die gerade einen Espresso oder ein Glas Wein tranken. Manchmal blieb ein Croissant übrig, buttrig und knusprig. Es ist Mittag in Paris und 6 Uhr morgens in New York. Der heiße, süße Milchkaffee läuft durch meine Kehle, ich schlucke einen Bissen Croissant hinunter, diese vertrauten Geschmäcker sagen mir, dass ich angekommen bin, dass ich zu Hause bin.
        Im Café lese ich, aber ich schreibe nicht. Zum Schreiben brauche ich Stille und einen abgetrennten Raum. Virginia Woolf hatte nicht Unrecht, als sie auf der Notwendigkeit eines eigenen Zimmers bestand. Ich gehe vom Bett zum Schreibtisch, vom Schlaf und von den Träumen zum Schreiben, ohne Übergang. Ich beginne den Tag nie mit einem Frühstück im Éléphant du Nil, obwohl ich den Grand Crème und die Croissants so sehr liebe. Nur, wenn ich aus New York ankomme.

 


Interview mit der Autorin

Was kann die Literatur leisten?
Catherine Cusset: Kafka schreibt, dass sie die Axt für das gefrorene Meer in uns sein muss. Ja. Sie öffnet uns – uns selbst, dem anderen, der Welt. Sie macht uns größer, reicher, bewegt uns fort. Es gibt zwei Arten von Literatur: in der einen geht es um Unterhaltung, in der andern um Suche. Obwohl ich diejenigen bewundere, die Bücher schreiben, die von Teenagern verschlungen werden, bevorzuge ich die andere Art. Ich lese nicht für die Handlung, sondern für die Bedeutung, für die lebendige Anwesenheit eines menschlichen Geistes. Gute Bücher sind solche, bei denen man das Ende bereits kennt und die man noch einmal lesen kann, ohne sich je zu langweilen. Ich lese und schreibe, weil ich auf der Suche bin – nach Wahrheit, nach Sinn, nach Verbindung, nach Kohärenz, nach Andersartigkeit, nach mir selbst.
        Es fällt mir schwer, ohne schreiben zu leben. Ich werde sehr schnell depressiv. Nur das Schreiben macht mein Leben erträglich. Weil es vereint, sammelt, Bedeutung schafft, die Erinnerung bewahrt, Zugang zum Anderen und zum Besten von einem selbst gibt. Schreiben ist eine einsame Tätigkeit, aber das einzige echte Mittel, die Einsamkeit zu verlassen.

 

BIO

Catherine Cusset, geboren 1963 in Paris, ist Autorin von fünfzehn Romanen, die zwischen 1990 und 2021 bei Gallimard erschienen und in zweiundzwanzig Sprachen übersetzt wurden, darunter Janes Roman (Grand Prix des lectrices d’Elle 2000), Hockneys Leben (Prix Anaïs Nin) und Die Definition von Glück. Als ehemalige Studentin der École Normale Supérieure in der Rue d’Ulm, Absolventin der klassischen Philologie und Autorin einer Dissertation über Sade unterrichtete Cusset zwölf Jahre lang in Yale, ehe sie sich ganz dem Schreiben widmete. Nach dreißig Jahren in New York lebt sie heute zwischen Paris und der Halbinsel Crozon in der Bretagne.

Alexandre Delas | Le Réveil du 10ème, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Alexandre Delas Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Ich habe mein altes Exemplar des Idioten mitgebracht, weil ich schon immer den Idealismus von Prinz Mychkine bewundert habe, der Charakterzug, der allen großen literarischen Kräften, die in allen Revolutionen auf Papier am Werk waren, gemein ist.

Die Revolution? 
Wie wäre es, wenn wir stattdessen über die Liebe sprechen.
Alain teilt meine Vorliebe für die alten Kinos.
„In den 80er Jahren machte ich einen Test, ich nahm die Mädchen immer mit ins Christine, um Mauvais Sang (Leos Carax, „Die Nacht ist jung“) zu sehen. Wenn sie diesen Film nicht mochten, dann wusste ich, dass zwischen uns nichts möglich sein würde.“
Ich frage Alain, ob es geklappt hat.
Er antwortet mir lächelnd: „Die Frau, mit der ich mein Leben teile, fand ihn ganz gut, mehr auch nicht.“ 

Manch einer könnte den Prinzen heutzutage ohne weiteres umbenennen, „Miskine“
(Bemerk. Übers.: französisches Wortspiel mit „miskine“, Neologismus aus dem Arabischen für „erbärmlich, arm“), doch ich möchte daran glauben, dass das Ideal immer einen Versuch wert ist.

Der Moment für das Foto kommt.
Wenn Brassens und Ferré mit im Bild sein dürfen, an meiner Seite, dann bin ich in sehr guten Kreisen.

 


Interview mit dem Autor

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
Alexandre Delas: Ein Café ist ein exzellentes Mittel gegen Einsamkeit in großen Städten. Es ist eine Blase mitten in der Welt und gleichzeitig außerhalb der Welt. Hier ein Rat: lächelt und sprecht mit eurem Tischnachbarn, selbst wenn diese Person nicht sympathisch wirkt. Vielleicht ist sie auch einsam wie ihr.

Wo fühlst du dich zu Hause? 
AD: Überall da, wo ich ein Fremder bin. 

 

BIO

Alexandre Delas lebt und arbeitet in Paris. Les Premières funérailles ist sein erster Roman (englische Version beim Autor). Er beschreibt eine ultra-kapitalistische Diktatur der extremen Rechten, die nach einem „Welt“-Krieg in Frankreich an der Macht sind, in der niemand mehr das Recht hat, zu sprechen, die Auswirkung auf die Psyche seiner Helden und Personen, die sich kreuzen — ihre Identität, ihre sentimentale Erziehung und ihr Entdecken der Arbeitswelt.
Alexandre Delas, gut informiert über die globalisierte Welt, hat seinem Text durch eigene mannigfaltige Berufserfahrung in Asien und den USA Nahrung gegeben.
https://linktr.ee/alexandre_delas

 

 

Vincent Crouzet | Tandem, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Vincent Crouzet Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Um Alain zu treffen, habe ich einfach das Tandem gewählt, denn da fühle ich mich wohl. Wie im Familienkreis. Es ist nicht eins dieser Wein-Bistros, wo laut geredet wird, wo man sich in Pose wirft. Es ist ein Ort des kleinen Raums, wie auf einer Terrasse, wo es einfach zugeht. Es ist der Raum von Philippe und Nicolas, die zwei  unzertrennlichen Brüderchen, die das Tandem hochhalten wie ein örtliches Markenzeichen, diese Blase der fröhlichen hedonistischen Ruhe, bevor man die rue de la Butte aux Cailles hinaufgeht, die lauter und weiter weg ist. Man kommt nicht, um ein Glas im Tandem zu trinken, sondern um zu frühstücken, Mittag zu essen, sich Zeit zu nehmen, und sich an einem Dekor zu erfreuen, das sich nicht verändert, sich nicht bewegt, in einer Zeit, in der die verrückten Dekorateure so reizende Bistros hinpfuschen. Hier gibts echte Holztische, Kacheln, die schon viel gesehen haben, eine strahlende Bar, die wie dafür gemacht ist, sich einen Moment mit Nikolas an die Theke zu lehnen und sich ihm zu überlassen …
Weil man auch ins Tandem kommt, um sehr guten Bio-Wein zu trinken, außerhalb von Moden und Tendenzen. Der naturbelassene Wein ist dort nicht verboten, wird aber auch nicht verklärt. Nichts wird aufgezwungen. Das Kriterium hier ist nach wie vor die echte Freude, nicht der Schein. Und diese Freude am Genießen passt mit der einfachen, ehrlichen Küche von Philippe zusammen, die auf Familienrezepten, mit „Ausflügen“ Richtung Asien, beruht …
Ich komme oft ins Tandem, fast täglich, begleitet von der Frau meiner Gedanken. Denn hier muss ich nichts vorspielen. Und die Beleuchtung – im Herbst, im Winter – ist warm, gemütlich. Nichts ist überspitzt. Das ist wichtig in einer Welt der Überbietung. 
Sich niederlassen. Zuhören. Und wenn ich allein komme, das passiert oft, dann ist Nikolas wie ein weiterer Gast, präsent, aufmerksam, neugierig, mitteilsam. Dies ist ein Bistro, wo ich nicht auf Abwege gerate, denn es repräsentiert auch meinen Fixpunkt, meine rechte Mitte.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Vincent Crouzet: Die Frage … ganz ehrlich: Freiheit kreieren. Die des Schöpfers, des Schriftstellers. Die der Leserinnen und Leser. Dieses Stück Freiheit steckt auch im Reisen. Lesen, schreiben, das heißt weggehen. Ich glaube tief und fest an die Kraft des Romans, die den Schriftsteller von sich selbst wegbringt. Ich verstehe die Neugier für die Autofiktion, aber unser Reichtum als Roman-Autoren bleibt es, Welten zu erschaffen und sie zu den Lesern zu bringen. Ich denke nicht an die Literatur, sondern an Literaturen. Die meinen bleiben übrigens reines Fluchtverhalten …

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
VC: Ich habe nicht diese Beziehung des Schriftstellers zu Cafés. Ich schreibe dort nie. Und ich gestehe, dass ich sehr skeptisch bin, wenn ich einen Schriftsteller, eine Schriftstellerin, in einem Bistro arbeiten sehe. Die Cafés sind offenbar ein Klischee, für mich sind sie die bevorzugten Orte für Treffen, aber ich gebe zu, dass sie vor allem zu meiner persönlichen Freude gehören. Ich liebe es, mich dort allein aufzuhalten, am Morgen, um zu beobachten, wie die Stadt sich wachschüttelt, und auch ihre Akteure. In einer Stadt, die mir fremd ist, nehme ich dort die Energie dieser Welt auf. Aber auch, leider, manchmal, zu oft, ihre Nöte.

Wo fühlst du dich zu Hause?
VC: Das ist eine heikle Frage in diesem Moment, für mich, denn seit einigen Monaten navigiere ich zwischen mehreren Orten. Ich schwanke zwischen der Lust auf Unterhaltung, Gewimmel, und der Notwendigkeit der Ruhe. Zwischen den Lichtern der Stadt und der Stille. Ich glaube, wir rotieren alle zwischen Paradoxen: an der kollektiven Energie teilhaben, oder in einer privilegierten Umgebung zu sich selbst finden. Ich bin in den Bergen großgeworden, in einem Wintersport-Ort, in Les Arcs, in Savoie. Wenn ich mich in diesen Höhen befinde, und in dieser spielerischen Atmosphäre, der Natur und dem Sport gewidmet, ja, da fühle ich mich gut. Aber ich werde schnell von der Lust wieder woanders einzutauchen, eingenommen.

 

BIO

Vincent Crouzet ist 59 Jahre alt, hat seine Jugend in den Bergen verbracht, studierte in Grenoble, entschied sich in einem Moment seines Lebens für den Beruf im Nachrichtendienst und nahm dann an Geheimoperationen seines Landes, Frankreich, teil, hauptsächlich in Zentral- und im südlichen Afrika. Von da an Romanautor, mittlerweile hat er vierzehn Texte „auf dem Buckel“, hauptsächlich Spionage-Romane, aber auch Erzählungen für Jugendliche und einen Essay. Seit zwei Jahren entwickelt er unter dem Pseudonym Viktor K, eine literarische Serie über die Aktionen der DGSE (Direction générale de la Sécurité extérieure), erschienen bei Éditions Robert Laffont. 

Sandrine Malika Charlemagne | Le Surcouf, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Sandrine Malika Charlemagne Übersetzung aus dem Französischen: Christiane Barabas & Daniela Gerlach

 

Ich sah ihm dabei zu, wie er sich irgendwie unbeholfen auf den hohen Hocker hievte, eine zarte Silhouette in seiner Lederjacke, die er trotz der prallen Sonne draußen trug. Er lehnte seinen Stock gegen die Theke, versuchte das Gleichgewicht zu finden. Seine mandelförmigen, gletscherfarbenen Augen kreuzten sich einen Augenblick, in dem ich glaubte, die Nostalgie einer Zeit flackern zu sehen, deren einziger Hüter er wäre, mit den meinen.
Die Sanftheit, die von diesem durch die Jahre gebleichten Gesicht ausging. Ein Einheimischer? Ich war ihm in dem Café noch nie begegnet. Er hatte das Profil eines Adlers, seine lichten, blassgrauen Haare in Flaumfedern. Den Rücken gebeugt, die Beine in seiner Hose aus grobem Stoff schlotternd, fixierte er einen Punkt in der Ferne. Der kleine Mann deutete ein Lächeln an, in seiner ruhigen Einsamkeit. Ich hatte plötzlich Lust auf ihn zuzugehen, seine Hand zu nehmen, die Wärme seiner Haut zwischen meinen Fingern zu spüren. Woran dachte er? Ich fragte mich, ob er merkte, dass ich ihn beobachtete. Und dann, das Trugbild des Lebens. Ich sah den Mann am Ausgang eines Bahnhofs auf einem alten Koffer sitzen, wo eilige Menschen an ihm vorbeiliefen, ohne ihn überhaupt zu sehen. Ich sah wie er die Hand ausstreckte. Auf eine Geste des Mitgefühls, des Wohlwollens, einer flüchtigen Freundschaft wartete. Aber nur die Vögel sammelten sich mit einem Anschein von Zuneigung um ihn. Er, auf seinem Koffer, mitten unter den Tauben, er lächelte, ein Lächeln, das die Feinheit seiner abgemagerten Züge zur Geltung brachte. Er lächelte dem Leben zu, das bald, wie in einem Buch, sich wieder über ihm schließen würde.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Sandrine Malika Charlemagne: Sie zeigt Welten – vom Alltäglichsten bis zum Barocksten – sie hilft einem, sich zu konstruieren – wach zu bleiben – zu staunen – und manchmal heilt sie die leidende Seele. Sie ist auch der Ort des Geheimnisses. Eine Leinwand, auf der man tausendundeine Landschaft entdeckt. Mit der Literatur kommt man überall hin. Ein bisschen wie in einem Film. Die Figuren sind ewig. Man fühlt sich lebendig, wenn man liest. Man atmet anders. Man denkt anders. Man diversifiziert unseren Zugang zur Sprache. Vielleicht lieben wir auch anders.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SMC: Durchgangsorte, wo man die Leute beobachten, ihrem Reden oder Schweigen zuhören kann. Von den Menschen um uns herum träumen. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
SMC: Angesichts der Grenzenlosigkeit der Natur. Berge. Wälder. Wüsten. Ozeane.

 

BIO

Sandrine Malika Charlemagne begann eine Schauspielausbildung am Cours Nordey, spielte vor allem am Theater Gérard Philippe in Saint-Denis unter der Leitung von Jean-Claude Fall, schrieb Anastasia, das in France Culture gesendet wurde, veröffentlichte drei Romane, zwei Theaterstücke und zwei Gedichtbände,  leitete Workshops in Vitry-sur-Seine, Sevran-Beaudottes, Cergy-Saint-Christophe, Saint-Denis und reiste hier und dort herum. 
Die Stalkerin (Edition Velvet) erscheint im November 2023.

Dominique Manotti | Corso Quai de Seine, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Dominique Manotti Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Als François Mitterrand, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, 1981 unter allgemeinem Jubel und nach zwanzig Jahren heftiger sozialer und politischer Kämpfe in Frankreich zum Präsidenten der Französischen Republik gewählt wurde, hatte ich sofort den Eindruck, dass diese Wahlen der Linken den Todesstoß versetzten, und das auf Dauer. Jedesmal, wenn ich diese Erinnerung bei einer Diskussion oder einem Treffen erwähne, reagieren meine Gesprächspartner ungläubig. Und dennoch… Ich bin aus der Generation, die den Algerienkrieg erlebt hat. Dieser Krieg hat mich ein für alle Mal verstehen lassen, dass man nicht darauf vertrauen darf, was die Leute und die Organisationen sagen, in der Politik und anderswo, sondern darauf, was sie tun. Als François Mitterrand an die Macht kam, kannte ich seine Rolle als Unterstützer der kolonialen Expansion Frankreichs und seine gewichtige Rolle im Algerienkrieg sehr genau. 1956 stimmt er für die Sonderbefugnisse der französischen Armee auf algerischem Boden und öffnet dadurch eine Büchse der Pandora. Die bösen Geister, die ihr entschlüpft sind, plagen unsere Gesellschaft noch immer. In den Sechziger- und Siebzigerjahren habe ich mich stark im gewerkschaftlichen Milieu Frankreichs engagiert, überzeugt davon, dass wir dabei waren, die Welt zu verändern. Und ich war nicht allein. Ich kannte daher, durch meine Erfahrung in der Gewerkschaft, die tiefe Ignoranz des sozialistischen Parteiapparats gegenüber den sozialen Kämpfen für eine Erneuerung, die das Land erschütterten. Für mich war klar, dass die Machtübernahme und die riesige kollektive Begeisterung, die sie ausgelöst hatte, schwer an der totgeschwiegenen kolonialistischen Vergangenheit zu tragen hatten und außerdem eine echte Verwurzelung in den sozialen Kämpfen fehlte, sodass alles in einer Sackgasse und in Verdrossenheit enden würde. Ich war verzweifelt, habe mein Engagement aufgegeben, Bilanz gezogen und ein Jahrzehnt später damit begonnen, Romane zu schreiben um zu erzählen, wie meine Generation gescheitert ist. Romans noirs natürlich – immer erzählen, was die Leute machen, und nicht, was sie sagen.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur ?
Dominique Manotti: Es ist schwer, auf eine so allgemeine Frage zu antworten. In meiner Jugend haben mir die Romane, die ich verschlungen habe, die Welt eröffnet. Ich habe Figuren kennengelernt, mit denen ich jahrelang Gespräche geführt habe. Sie haben mich zu lieben und zu hassen gelehrt. Ich habe sie immer wieder getroffen, und sie haben mir dabei geholfen zu verstehen, wer ich war. Wenn ich jetzt ein Romanthema wähle, wenn ich zu schreiben beginne, dann mache ich das, um die Ereignisse, von denen ich erzähle, zu verstehen, sie zu vertiefen, um einen Dialog mit den Männern und Frauen, die mich lesen, zu beginnen.

Welche Bedeutung haben Cafés für Sie?
DM: Das Café Corso, gleich bei mir ums Eck, liegt am Bassin de la Villette, einem der schönsten Plätze von Paris. Immer, wenn ich es sehe, bin ich glücklich. Dieses Café bezeichnet sich als „Pariser Café mit dem Geschmack Italiens“ – alles, was ich liebe. Und gleich daneben ist ein Kino, in das ich oft gehe. Durch den amerikanischen Film noir habe ich den Roman noir entdeckt, das Kino beeinflusst mein Schreiben, ich liebe das Kino. Ich wünsche dem Café Corso, wo ich mich mit Freunden treffe um zu plaudern und über die Filme zu sprechen, die wir uns gerade gegönnt haben, noch viele Jahre.

Wo fühlen Sie sich zu Hause?
DM: In meiner Wohnung.

 

BIO

Geboren 1942 in Paris. Unterrichtete Geschichte zuerst im Gymnasium, später an den Universitäten Vincennes und Paris VIII. Seit ihrer Jugend politisch engagiert, zuerst für die Unabhängigkeit Algeriens, später, in den Sechziger- und Siebzigerjahren, in verschiedenen Bewegungen und Gewerkschaften, später schließlich Romanautorin. Debüt 1995 mit Sombre Sentier (Hartes Pflaster,2004). Sie hat 13 Romane geschrieben, die alle auf Deutsch und teilweise auf Italienisch, Englisch, Spanisch, Katalanisch, Türkisch, Griechisch, Rumänisch und Russisch übersetzt wurden.

Website: dominiquemanotti.com

Reinhard Junge | Café Ferdinand, Bochum

Foto: Alain Barbero | Text: Reinhard Junge

 

Meinen ersten Krimi fand Brunhilde noch gut. Ein schreibender Gatte – damit konnte sie richtig angeben. So hatte sie mir beim Start sogar eine ihrer schönsten Metaphern geschenkt.
Als ich ihr stolz das zweite Buch überreichte (extra in rosa Papier gehüllt), warf sie es ungeöffnet in die blaue Tonne. „Aber jetzt lassen wir die alberne Schreiberei, gelt? Oder …“
„Oder was?“
„Du wirst Hausmann. Da kannst du jeden Abend ein Stündchen tippen!“
Prima, dachte ich. Doch: Werch ein Illtum! Vier Mahlzeiten täglich für vier Personen, Taxidienste zu Kita, Grundschule, Kinderarzt und Bioladen, die Wäsche, Fenster- und Flurputzen, die Steuererklärung, die Blumen auf dem Friedhof, Friedenseinsätze am Sandkasten, wo unser Heiko gerne die Nachbarskinder terrorisierte …
Meine Gattin, Lehrerin für Musik und Kunst, blühte indes auf. Endlich Mittagsschlaf! Und zweimal pro Woche mit Freundin Thea ins Café Ferdinand, während ich auch noch Theas Blagen am Hals hatte. Tippen? Abends fiel ich nach fünf Zeilen sitzend ins Koma.
„Schatz“, säuselte Brunhilde eines Mittags, als ich gerade die Bestecke reinigte. „Nächste Woche ist Pfingsten. Fünf freie Tage! Ich fliege mit Thea nach Rom. Jasmina geht zu Opa und Heiko bleibt bei dir. Okay?“
„Wieso kann Heiko nicht ebenfalls zu Opa?“
„Der wird doch auch nicht mit ihm fertig!“
Danke, dachte ich und fragte: „Und mein Exposé?“
„Süßer! Dieser Quatsch kann doch warten!“
Welch ein Zufall, dass da gerade das Fleischmesser lag …

In meinem neuen Quartier kann ich in Ruhe schreiben. Bye, bye Brunhilde heißt das Buch. Und wenn die 12 Jahre um sind, gehe ich auch mal ins Ferdinand.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Reinhard Junge: Alles! Unterhalten, langweilen, bilden, empören, Kriege verherrlichen, zu Revolutionen aufrufen oder zum Völkermord, Regierungen ärgern oder feiern, Unrecht anklagen oder rechtfertigen. Eigentlich kann sie alles. Vorausgesetzt, die Autorinnen und Autoren finden einen Verlag, der bereit ist, ihre Werke auch zu drucken. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RJ: Ich liebe Cafés. Ein gutes Café ist für mich die goldene Mitte zwischen Restaurants, in denen schon das Lächeln des Kellners 50 € kostet, und einer Säuferkneipe, in der man allem Elend dieser ungerechten Welt begegnet. Für mich können sie Orte der Ruhe, zum Nachdenken, zum Träumen, zum Schreiben und zur Pflege von  Freundschaften sein.  

Wo fühlst du dich zu Hause?
RJ: Überall, wo es viel Sonne, freien Blick auf das blaue Meer, einen weißen Strand und einen guten Kaffee gibt.

 

BIO

* 1946 in Dortmund. 1966 Abitur. Bundeswehr, Studium in Bochum. Nach dem Referendariat 1978 als DKP-Mitglied zunächst  Berufsverbot. Proteste aus dem In- und Ausland (u.a. CGT). 1979-2012 Lehrer an einem Gymnasium. 6 weitere Jahre Deutsch für ausländische Kinder. – 12 Kriminalromane (z. T. mit Leo P. Ard und Christiane Bogenstahl), 4 Dokus über Neonazis. – 3 Kinder, 1 Enkel, kein Haus, kein Hund. Fan aller Teams, die Bayern München besiegen.

Elsa Flageul | Bistro Chantefable, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Elsa Flageul | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Unmöglich, in Cafés zu schreiben.
Unter Menschen zu schreiben. Mit der Musik zu schreiben, mit dem Radio, mit meinen Kindern. Unmöglich die Worte und Menschen zu verquirlen, die Worte und die Gespräche, das Geräusch der Kaffeemaschine, die herausgeputzte Bedienung, die Mamas ad libitum, die kleinen Kümmernisse, die zu trösten sind. Das Leben auf der einen Seite, die Worte auf der anderen. Und dabei müssen die Worte am Leben saugen, es greifen, es erwarten; sie müssen an der Straßenecke lauern, so mit einem Hauch von bösem Jungen, von bösem Mädchen: gib mir alles was du hast, los, erzähl mir alles was du weißt, was du sonst niemandem sagst, vor allem das, was du niemandem sagst, ey verdammt, worauf wartest du noch. Worte wie losgelassene Hunde. Die täglich Nahrung brauchen, vernebelte und vom Leben gebeutelte Morgen, fiebrige Abende und Körper, die sich finden, Entzücken und Gewitterstürme, die angeschwemmte Zeit auf dem Gesicht, auf der Brust, auf dem Herzen.
Die tägliche Nahrung.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Elsa Flageul: Die gemütliche Einsamkeit des Lesens, und die nicht immer gemütliche, aber stets geliebte Einsamkeit des Schreibens.

Was bedeuten dir Cafés?
EF: Orte der Wärme, der Freude und der verlorenen Zeit.

Warum hast du das Bistro Chantefable ausgewählt?
EF: Weil ich die Pariser Brasserien liebe, die ich vielleicht wegen der Filme von Claude Sautet bevorzuge, und das Le Chantefable ist, außer eine typische Brasserie zu sein und in der Nähe meiner Wohnung zu liegen, voller Menschen, die so warmherzig wie der Ort selbst sind.

Was machst du, wenn du nicht in Cafés bist?
EF: Ich schreibe, ich kümmere mich um meine Kinder, ich lebe.

 

BIO

Elsa Flageul ist Schriftstellerin und lebt in Paris, wo sie auch geboren wurde. Sie hat sechs Romane im Julliard Verlag, danach im Mialet-Barrault Verlag veröffentlicht. Ihr letzter Roman „Hôtel du bord des larmes“ ist im März 2021 erschienen. Zur Zeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.