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Lissi | Das Augustin, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Anna Robinigg

 

Zum Fenster hinaus und
alles still, das Haus bewegt sich nicht,
keine Straße zieht vorbei, nur
gemächlich Menschen, Schritte, Räder.

Zum Fenster hinaus und
alles neu, Mauern, Sprache,
Bäumchen, Wiesenfleck,
Gesichter, alles stumm.

Keine andere Sonne, aber dem Licht
am Gehsteig fehlt die Kadenz
jenes anderen Moments, dem
gelben Blatt am Bäumchen fehlt
das Zerren eines jenen Windes.

Zum Fenster hinaus und
weil du fehlst, in meinen
Fingern die Fäden der Geschichten, die
aus Momenten einen Menschen machen.

Hinter dem Fenster bleibt
vertraut nur der Ablauf von
Ich hätte gerne, Bitte sehr und Danke,
dann der Klang von Löffel an der Tasse und

Kaffee.

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Jörg Zemmler | Café Stadtbahn, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Jörg Zemmler, auch in: „Melange der Poesie“ (Kremayr & Scheriau, 2017)

 

und es singen die lieder
der mut ist ein flieger
der mut ist kein diener
und der mut ist davor

 


Interview mit dem Autor

Wie trinkst du deinen Kaffee?
Jörg Zemmler:  Zuerst mal müde in der Früh nach dem Aufstehen. Mit Milch. Wenn keine Milch da ist, mit Zucker. Später am Tag gleich, wenn auch nicht oft. Fast immer mit Zigarette.

Wo schreibst du am liebsten?
JZ: Das Wo ist mir nicht so wichtig, viel mehr das Wann. Nämlich dann, wenn ich -inspiriert- bin, wie es so heisst, Klischee, aber was soll‘ s, ist halt so.
Und am liebsten habe ich dann fertiggeschrieben.

Woran arbeitest du gerade?
JZ: Effektiv arbeite ich gerade an mehreren digitalen Musikalben, die Tracks aus den letzten Jahren beinhalten werden. Weiters an der neuen Band Unkomfortabel mit Jörg Piringer.
Weiters zumindest theoretisch an einem literarischen Kurzfilm, der fast fertig ist, lyrischer Prosa und italienischen Gedichten.
Und daran meine 5-Kanalinstallation mit Livemusik und Texten unter die Leute zu bringen, d. h. Auftrittsmöglichkeiten suchen.

Jörg, was bringt dir die Musik?
JZ: Im besten Fall eine neue Welt, egal ob ich sie selbst mache oder anderen zuhöre. Wie ein Buch lesen und reinkippen. Am liebsten hab ich Instrumentalmusik, die kann alleine sprechen wie ein Bild.
Aber auch oft: Genervtheit in Bars oder Geschäften.

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Eva | Kleines Café, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Wie eine Fremde sehe ich dich an:
Der Ort, zu dem du willst, ist im Moment geschlossen.
In der vererbten Tasche aus geputztem Leder liegt gepolstert die Erinnerung.
Weggeklickt die Nähe von Jahren, bist auch du schwarz und weiß.
Und wieder sind alle Plätze für dich frei.

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Barbara Rieger | Café Weidinger, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Jeder Tisch ist eine Insel in einem Meer der Zeit, über dem ein wenig Nebel liegt. Die Erinnerung verschwimmt. Menschen, die bleiben um zu gehen. Ein Student, der lieber billiger zu Hause isst. Liebende, die Zeitung lesen. Alte Hippies, die selber Zigaretten drehen. Arbeiter bei einem schnellen Bier. Arbeitslose Akademiker, die wissenschaftliche Texte diskutieren. Eine Frau, die nach zwei Spritzern geht und ein Mann, der daraufhin in einem Wettcafé sein Geld verspielt. Gäste, die nicht schnell genug bedient werden und sich anderorts verlieben. Blicke, auf die niemand reagiert. Es gibt kein W-Lan hier, es gibt nur Wein. Es gibt kein Leben, es gibt einen Billardtisch. Es gibt kein Rauchverbot, es gibt nur eine große Uhr. Es ist die Zeit, die niemals stehen bleibt, nur manchmal etwas träger wird.
„Was verbindet uns mit diesem Ort?“, fragt A.

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René Merten | Alser Café, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: René Merten

 

Nein, leicht war es nicht mit ihm.
Halb Bar, halb Lounge, ganz ohne… charakterlose Jugendkultur – und doch! Zwischen Mitessern aus Torte und Ganztagsfrühstück reift er heran: Zarter Bartflaum gegen die Altwiener Café-Generation.
Melange-braun gestylt seine Trotzfassade, aber im Inneren: Verängstigte Liebelei köchelt. Backfisch im Wochenmenü.

 


Interview mit dem Autor

Welche Rolle spielt Schreiben in deinem Leben?
René Merten: Schreiben hat bei mir vor allem eine künstlerisch-kommunikative Funktion und nimmt weniger eine „Rolle“ ein. Im Schreiben therapiere ich mich selbst, ritualisiert über das Verfassen täglicher „Morgenseiten“ oder akut, wenn im Kopf die wildesten Gedanken miteinander unrhythmisch herumtanzen wollen. Ich spreche so mit mir selbst wie auch mit der Außenwelt, die ich künstlerisch einzufangen und mit der ich Kontakt suche.

Wo schreibst du am liebsten?
RM: Am liebsten in der freien Natur, im gemütlichen Kaffeehaus oder an „inspirierenden“ Orten, aber – um ehrlich zu bleiben – am effizientesten und kreativsten: abgeschirmt in einem ruhigen Kammerl, auf einem anonymisierten Bibliotheksleseplatz oder im sterilen Fernzugabteil. Da, wo mich niemand kennt und nichts mich ablenkt – klingt wenig inspirierend, ist erfahrungsgemäß aber so!

Wann warst du das letzte Mal im Alser Café?
RM: Erst letzte Woche, davor aber fast zwei Monate nicht. Ich traf mich dort zu einem Geschäftstermin, weil es direkt ums Eck von meiner Wohnung liegt. Wie vermutet gedeiht sein Charakter leidlich, aber ich werde es als Kaffeehaus-Entwicklungsprojekt niemals aufgeben. Wenn wir uns weiter aneinander abarbeiten, werden wir (irgendwann) sicher noch die besten Freunde!

Woran arbeitest du gerade?
RM: Literarisch an zweierlei größeren Buchprojekten: Mit drei Schreibkolleginnen an einem Selbstcoaching-Ratgeber für Studierende und Absolventen/innen, der nicht im üblichen Management-Selbstoptimierungskäse daherreift. Vielmehr liegt unser Fokus auf dem Schreiben, kreativer Individualität und Persönlichkeitsentwicklung (soll März 2017 erscheinen). Das zweite Buchprojekt ist ein philosophisches Manuskript über den Garten an sich, vom Kinder- über den Wein- bis hin zum Kräutergarten: Warum gibt es ihn, was macht er mit uns, oder einfach gesagt: Was ist sein Wesen? (gerade im Lektorat).

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Jing | Café Griensteidl, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Ein Stammgast setzt sich an seinen Platz, auch wenn dieser noch nicht aufgeräumt ist. An der Wand hängt ein Teppich mit einem Motiv von Klimt und für sie reist eine Blume am Tisch. A. verschluckt sich an einem Clown, der in der Bierflasche wohnt, und nunmehr aus ihm spricht.
Franzosen in Schanghai, Chinesinnen im Film, ein Mann aus Kärnten und einer aus Oberösterreich, worüber unterhalten sie sich? Sie feiern, sie fliegen, sie teilen sich Stelzen, nur Liebe und Lehre vermischen sie nicht.
A. fragt den Kellner wie spät es ist.

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Barbara Rieger | Café Am Heumarkt, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Der Raum zwischen uns ist spiegelglattes Parkett, ein Warten auf Glück, Perfektion und Leidenschaft. Doch die Schritte des Obers sind langsam und seine Hände von Plastik geschützt. Er hat einen weißen Mantel an.
A. ist verwundert, wie klein ich bin und wie schnell ich mich verdoppeln kann. Er füllt den Setzkasten. Das Glas am Tisch wackelt und mich beschleicht das Gefühl, ich war schon mal hier. An einem Ort, der leer und voll von Erinnerung ist, in einem Traum, durch den ich nur vorsichtig gleiten kann. Die Vitrine ist leer. Der Platz am Klavier war niemals für mich reserviert.
Unser Blick fällt zur Türe, die sich zu öffnen beginnt. Schluss mit dem Fotografieren, denn nun sind die Gäste da. Sie holen uns ab, trinken ein Glas, ritzen Worte in Eis, essen zu Abend, holen uns heim.

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Petra Ganglbauer | Café Dommayer, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Petra Ganglbauer, auch in: „Melange der Poesie“ (Kremayr & Scheriau, 2017)

 

Sanftes Zeiterlebnis.
Das Unauslöschliche, Licht.
Oder: Der Tag wurde sehr plötzlich zur Nacht –
und rettend im Kopf erhellt sich der Gedanke.
Wie Gegenläufiges, Entgrenzung: Wie ganze Welt!

 


Interview mit der Autorin

Welche Rolle spielt Literatur heute?
Petra Ganglbauer: Literatur fällt heute einmal mehr die Aufgabe zu, Menschen mit Hilfe reflektierten Sprachgebrauchs dazu anzuhalten, das Bewußtsein zu schärfen oder auch die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren. Präziser Sprachgebrauch – auch in einem erweiterten künstlerischen Sinn – kann dazu beitragen, unbewußte Handlungen (deren Wurzel nicht selten in demagogischen, manipulativen Anweisungen zu suchen sind) zu verhindern bzw. diese grundsätzlich zu verunmöglichen!
Die Beschäftigung mit Literatur führt zu einem größeren Freiheitsradius für den einzelnen Menschen.

Welche Rolle spielen Kaffeehäuser in deinem Leben?
PG: Wann immer ich in einem Alt-Wiener-Kaffeehaus bin, prägt sich seine Patina mir ein, verändert die Atmosphäre meinen Gesichtsausdruck – Kaffeehäuser verlasse ich meist „leichtgewichtig“ – in den Kaffeehäusern schwinden die täglichen Sorgen, sie streifen sich ein Stück weit wie von selbst ab.

Warum hast du das Café Dommayer gewählt?
PG: Es funkelt und ist „poetisch“ aufgeladen. Ich liebe seine Farben und seine Innenarchitektur. Es ist edel! Ein Juwel!

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PG: Mein sonstiges Leben leben!

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Sylvie | Café Phil, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Sie kam mit dem Zug aus der Stadt der Liebe und schickte ein Bild dorthin zurück. Das Bild eines Feiertages von einem Ort voller Bücher, Melancholie, Musik und Rufen nach Glück. Sie trank einen Spritzer zu ihrem Falafel Sandwich und erinnerte sich: Diese Stadt sucht einen Mann, der sie und ihre verschwundenen Kinder fotografieren kann.

 


Interview mit der Übersetzerin Sylvie Barbero-Vibet

Wie gehst du beim Übersetzen vor?
Sylvie Barbero-Vibet: Im Gegesatz zu technischen und wissenschaftlichen Texten verlangt ein literarischer Text Gespür und Interpretation der Übersetzerin. Es gibt ja einen italienischen Spruch „traduttore, traditore“, also „Übersetzen ist Verrat“. Das ist zwar etwas extrem formuliert, aber es verdeutlicht, dass es manchmal schwer ist, das Originalwerk perfekt zu wiedergeben. Man muss also beim Übersetzen seiner Feder freien Lauf lassen.

Was gefällt Dir an den Kaffeehäusern in Wien?
SVB: In Paris gibt es immer mindestens eine U-Bahn-Station in einem Umkreis von 500 Metern. In Wien gilt dasselbe für Kaffeehäuser. Ich mag ihre Vielfältigkeit. Sie sind unterschiedlich gemütlich, groß oder klein, viel oder wenig besucht. Dort braucht man kein Buch: Man muss nur um sich blicken, man ist immer in der ersten Reihe einer Theatervorführung.

Warum hast Du Café Phil ausgewählt?
SVB: Als ich nach Wien umgezogen bin, war das Café Phil das erste Café, in das ich ging. Man kann dort essen und trinken, Bücher und CDs kaufen. Und ich konnte mit meinem Mann skypen, der in Paris geblieben war.

Was machst Du sonst?
SVB: Ich lese unheimlich gern, auf französisch und auf deutsch. Viele Krimis, aber auch amerikanische und südamerikanische Romane, natürlich auch in der übersetzten Version.

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Sylvie & Barbara Rieger | Café Else, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Barbara Rieger

 

Du liebst
Was dir am nächsten und was dir ein wenig fremd
Und blickst links und rechts daran vorbei

Du siehst dich selbst in Scheiben, Schluchten, Höhepunkten
Gefesselt an den Rahmen und fürchtest wie du wünschst
Dass du zerbrichst in Teile deiner
Eigenheiten, Einsamkeiten, Eitelkeiten

Und du schreibst
Was du nicht lebst und du lebst
Nur wenn du schreibst