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Baya Streiff | Le Murmure fracassant, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Baya Streiff | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Alles beginnt mit einem Ende der Nacht wie ein Schattentheater, mit seinen weißen Wolken, die aussehen wie Hängeleuchten. Ist es der schwere Duft der Buchsbaumblüten, der das Nasenloch packt, oder diese schlichte Freude, den Klang dieser Klarinette aus der Métro entwischen zu hören, die mich dazu bringt, meine Schritte auf dem lockeren Pflaster laut hallen zu lassen? Die Stadt frohlockt. Die Luft verströmt einen berauschenden Duft nach warmer Brioche. Überall, auf dem Asphalt, ein Festspiel bunter Silhouetten, wie ein riesiges Kaleidoskop. Darüber tirilieren hunderte Vögel ihre fröhliche Morgenkantante. In den Gastgärten schwadronieren Großsprecher schon vor ihren Schönen. Auf dem Tisch, vergessen, laue Cocktails … Gegengenüber laufen ängstliche Menschen in alle Richtungen über den Boulevard, wie geköpfte Hühner. Einem Floristen begegnen, vor dem sich alte Blumenstrauß-Auskenner anstellen, mit Händen wie Marionettenspieler, in widerstreitenden Erinnerungen verloren. Draußen der Himmel, wie eine Kuppel. Von wo mir dieses Bedürfnis kommt, ein wenig im lüsternen Frühlingslicht zu bummeln, bevor ich mich endlich hinsetze, schlotternden Herzens, um mir den ersten Kaffee des Morgens in der Bar „Le Murmure fracassant“ schmecken zu lassen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann die Literatur?
Baya Streiff: Die Literatur hat mich seit jeher begleitet. Sie verleiht dem Leben Eleganz und ist außerdem eine treue Freundin. Schreiben ist ein bisschen wie rückwärtsgehen, um die Zeit umzukehren… Die Literatur lässt mich an einen Riss in der Zeit denken, der alle Geschichten möglich macht.


Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
BS: Die Cafés stehen für die glücklichen Stunden, oft auch für die des Wartens. Manchmal kann dieses Warten quälend werden und sich in eine Ungeduld verwandeln, die mich durchschüttelt und die mir gefällt. Es ist schwindelerregend zu sehen, wie eine Abwesenheit den Raum einnehmen kann. In diesen Momenten wollen meine Gedanken nicht dorthin, wo ich sie haben will!


Wo fühlst du dich zuhause ?
BS: Hier in diesem Café, in dem sich die ganze Unruhe der Stadt verabredet zu haben scheint. Alles Gemurmel der Welt ist hier vereint. Es wirkt auf mich wie eine Pforte des Möglichen. Man kann Bücher lesen oder seine Schallplatte mitbringen, um für Stimmung im Café zu sorgen. Ich habe hier schon Bücher verlassen oder welche gefunden, auf der Bank im Stich gelassen. Sein traumhaftes Universum gefällt mir, mit seinen monumentalen Toren des Paradieses, der Hölle und der Abgründe. Alles regt hier zum Träumen an und kitzelt die Phantasie.

 

BIO

Baya Streiff arbeitet in Paris bei der Jugendgerichtshilfe. Ihre Leidenschaft fürs Reisen, die Photographie und die Literatur speisen ihre Phantasie und ihre romanhafte Sicht auf das Leben.
Ihr erster Roman « Les hasards exagérés » („Die übertriebenen Zufälle“), bei den Éditions du 7e Ciel veröffentlicht, zeichnet die Geschichte Monas nach, in der sich Geheimnisse und Gewissensbisse andeuten und uns von hier nach dort auf dem Schachbrett des Lebens führen, um auf den weißen und schwarzen Feldern des Wegs zur Reife voranzuschreiten. Dieser Roman fragt danach, wie man die Desillusionierungen des Erwachsenenalters vorausahnen kann.
Das Buch fiel dem Regisseur Philippe Faucon auf, der es verfilmen wird.

Daniela Gerlach | Bodega Casa Benjamín, Dénia

Foto: Alain Barbero | Text: Daniela Gerlach

 

Vielleicht war´s nur …

Ich sitze wirr im Café Wirr und schlürfe Wörter aus der Tasse.
Da kommt ein Mann mit Stock und bietet mir die Zeitung an. Sie ist von 1910 und riecht nach feuchtem Hundefell. Ich nehme sie und lese breit, der Mann mit Stock, der wartet still.
Auf einmal purzeln Wörter raus, aus Mund und Nase, aus dem Blatt. Wir heben manches auf und stecken´s in die Jackentasche.
Das Blatt wird leer, der Kaffee kalt, der Rest an Wörtern schwimmt am Grund.
Ja, mein Herr, es ist wie damals. Er nickt, ganz recht, die Zeit vergeht.
Nur die wirrtenWörter bleiben.

(Vielleicht war alles nur ein Tagtraum im Casa Benjamín. Vielleicht)

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Daniela Gerlach: Sie kann uns ebenso bewegen, aufrütteln, als auch beruhigen und uns zum Nachdenken bringen, Freude bereiten. Alles, wozu wir als Menschen fähig sind, kann Literatur, sowohl  im positiven als auch negativen Sinn.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
DG: Sie sind Zwischenorte, ein besonderer Raum zwischen dem mir Bekannten, Gewohnten und dem Raum, der voller Fremdheit, dabei voller Erwartungen ist, in dem alles Mögliche passieren kann, auch in meiner Phantasie. Und hier wiederum ist eine Verbindung zu einer neuen Geschichte möglich.

Wo fühlst du dich zu Hause?
DG: Nirgendwo wirklich zu Hause, höchstens wohl. Das ist dort, wo meine Freunde sind, meine Arbeit, wo mir gewisse Gewohnheiten lieb geworden sind, wo ich atme.

 

BIO

In Dortmund geboren, in Spanien Fuß gefasst, ansonsten auf Reisen.
In Dénia betreibt sie den kulturellen Salon la ñ. Sie ist Mitglied des LiteraturRaumDortmundRuhr, mit dem sie verschiedene literarische Projekte realisiert hat.
„Die Art der Geschichten und ihre Personen sind nie gleich, sie rollen und kräuseln sich wie die Wellen, sie haben ihre Melodie, die mir zu Ohren kommt, wenn ich sie schreiben soll. Zur Zeit ist es eine Folge von „Im Dorf der Witwen“, was gar nicht geplant war.“ 
www.danielagerlach.de

Elsa Flageul | Bistro Chantefable, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Elsa Flageul | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Unmöglich, in Cafés zu schreiben.
Unter Menschen zu schreiben. Mit der Musik zu schreiben, mit dem Radio, mit meinen Kindern. Unmöglich die Worte und Menschen zu verquirlen, die Worte und die Gespräche, das Geräusch der Kaffeemaschine, die herausgeputzte Bedienung, die Mamas ad libitum, die kleinen Kümmernisse, die zu trösten sind. Das Leben auf der einen Seite, die Worte auf der anderen. Und dabei müssen die Worte am Leben saugen, es greifen, es erwarten; sie müssen an der Straßenecke lauern, so mit einem Hauch von bösem Jungen, von bösem Mädchen: gib mir alles was du hast, los, erzähl mir alles was du weißt, was du sonst niemandem sagst, vor allem das, was du niemandem sagst, ey verdammt, worauf wartest du noch. Worte wie losgelassene Hunde. Die täglich Nahrung brauchen, vernebelte und vom Leben gebeutelte Morgen, fiebrige Abende und Körper, die sich finden, Entzücken und Gewitterstürme, die angeschwemmte Zeit auf dem Gesicht, auf der Brust, auf dem Herzen.
Die tägliche Nahrung.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Elsa Flageul: Die gemütliche Einsamkeit des Lesens, und die nicht immer gemütliche, aber stets geliebte Einsamkeit des Schreibens.

Was bedeuten dir Cafés?
EF: Orte der Wärme, der Freude und der verlorenen Zeit.

Warum hast du das Bistro Chantefable ausgewählt?
EF: Weil ich die Pariser Brasserien liebe, die ich vielleicht wegen der Filme von Claude Sautet bevorzuge, und das Le Chantefable ist, außer eine typische Brasserie zu sein und in der Nähe meiner Wohnung zu liegen, voller Menschen, die so warmherzig wie der Ort selbst sind.

Was machst du, wenn du nicht in Cafés bist?
EF: Ich schreibe, ich kümmere mich um meine Kinder, ich lebe.

 

BIO

Elsa Flageul ist Schriftstellerin und lebt in Paris, wo sie auch geboren wurde. Sie hat sechs Romane im Julliard Verlag, danach im Mialet-Barrault Verlag veröffentlicht. Ihr letzter Roman „Hôtel du bord des larmes“ ist im März 2021 erschienen. Zur Zeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.

Éric Genetet | Aedaen Place, Straßburg

Foto: Alain Barbero | Text: Éric Genetet | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Das Erwachen 

Er wartet, allein ganz hinten im Café, jeden Morgen beim Aufsperren wartet er. Wie wird sie angezogen sein, sehr warm eingepackt oder unbekleidet, so leicht? Und wie ist ihr Gang, stöckelnd oder anmutig, humpelnd oder schwebend? Ihre Art ihn anzusehen, schief oder neidisch, phantasievoll oder misstrauisch? Er bestellt einen dritten Espresso, er beobachtet, wie die Leute kommen und gehen, er sieht niemanden, er ist blass wie eine Statue, schlapp wie ein antriebsloser Mechaniker. Er blickt auf den Bildschirm seines Computers, die Finger auf den Tasten, und er wartet, dass sie endlich ankommt, seine flüchtige Verlobte, sein Papiermond, seine Göttliche, sein gnadenloses Glück, seine Quelle, diejenige, die auf niemanden wartet, die ihm Tränen entlockt, so meint er. Und dann, zuerst zögerlich, erscheint sie, sie nimmt Platz und er wacht auf, er lernt wieder zu denken, sich etwas vorzustellen, im Tageslicht zu gehen. Er lässt sie nicht los, er hält sie zurück, er bestellt ihr ein Universum, noch einen Espresso. Sie bleibt einige Minuten, manchmal Stunden, dann geht sie wieder, immer frei, nie unterwürfig. Er hebt den Blick, sie ist schon nicht mehr da.  

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich? 
Éric Genetet: Sie definiert mein Leben, sie macht aus mir manchmal einen freien Menschen. 

Was bedeuten dir Cafés?
EG: Sie sind der Ort, an dem ich groß geworden bin, der Ort der ersten Rendez-vous, der weißen Seiten. Ich schreibe gern dort, trete dort gern in meine Welt ein, während es um mich herum rundgeht. 

Warum hast du das Aedaen Place gewählt?
EG: Wegen seiner Wärme, seiner Bücherwand, seiner Anmutung eines Wohnzimmers aus einer entfernten Epoche. Aber ich hätte auch zehn andere Orte wählen können, ich bin sehr unstet, was Cafés betrifft.  

Was machst du, wenn du nicht in Cafés bist?
EG: Ich kann auch zuhause schreiben, oder wenn ich durch die Straßen ziehe, von Café zu Café, oder in den Zügen von einer Stadt in die andere.

 

BIO

Éric Genetet ist 1967 in Rueil-Malmaison geboren. Er beginnt seine Laufbahn als Radio- und Fernsehjournalist, ehe er zu den Printmedien wechselt. Romanveröffentlichungen: „Le fiancé de la lune“ (2008, ausgezeichnet mit dem Preis Talent Cultura) „Et n’attendre personne“ und „Solo“ (2013), „Tomber“ (2016, Prix Folire und Prix de la ville de Belfort), „Un bonheur sans pitié“ (2019) und „On pourrait croire que ce sont des larmes“ (2022), alle im Verlag Héloïse d’Ormesson.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Pascal Dessaint, L'Évasion, Toulouse

Pascal Dessaint | L’Évasion Bar, Toulouse

Foto: Alain Barbero | Text: Pascal Dessaint | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach

 

Wenn man vernünftig ist
überquert man nicht die Strasse
um der Unbekannten zu sagen dass sie einen verwirrt

Wenn man vernünftig ist
nimmt man nicht den Weg
der zu der unbeachteten Schönheit führt

Wenn man vernünftig ist
begibt man sich niemals aus reinem Vergnügen
in die Gefahr zu fallen

Wenn man vernünftig ist
hat man niemals Träume die sich nicht erfüllen könnten
und das ist schade

Wenn man vernünftig ist
hat man nie die Wahrheit vor Augen
ein magisches Gefühl ein rotes Kleid

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann oder soll Literatur?
Pascal Dessaint: Sie soll vor allem Freude bereiten. In dem Moment aber, wenn sie von der Welt zeugt, scheint sie mir auch eine essentielle Funktion zu erfüllen. Bezeugen, und vielleicht auch manchmal sich empören, warnen!

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
PD: Cafés sind der Rahmen für viele Szenen in meinen Romanen. Manchmal hänge ich da ab, um den Puls der Zeit zu fühlen, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der mich inspiriert. Es ist schon oft passiert, dass ich einem meiner zukünftigen Charaktere begegnet bin …

Wo fühlst du dich zu Hause?
PD: Momentan, oft weit weg von den Menschen! Ich versuche, so oft wie möglich dem Gelärme der Zivilisation zu entkommen, und das wird immer schwieriger. Ein Berg, ein Wald, eine Heidelandschaft … Da, wo ich meine Zerbrechlichkeit spüre, und wie relativ meine Wichtigkeit ist.

 

BIO

Pascal Dessaint wurde in Dunkerque geboren. Er lebt in Toulouse. Seine Romane wurden mit dem Grand Prix de la littérature policière (Großer Preis für Krimi-Literatur), dem Prix Mystère de la Critique und dem Jean-Amila Meckert-Preis ausgezeichnet. 1999 erschien „Du bruit sous le silence“, der erste Krimi, der in der Welt des Rugby spielt. Seit „Mourir n’est peut-être pas la pire des choses“, 2003,  geht es in vielen seiner Bücher um die misshandelte Natur. In „Loin des humains“, 2005, beschwört er die Katastrophe im Chemiewerk AZF in Toulouse herauf und den Metaleurop-Skandal in „Les derniers jours d’un homme“, 2010. Unter seinem Werk befinden sich auch persönlichere Schriften sowie Chroniken und Streifzüge „Vertes et Vagabondes“.
Bücher, die auf Deutsch erschienen sind: „Schlangenbrut“ (DistelLiteratur, 2005), „Verlorener Horizont“ (Polar Verlag, 2021).
www.pascaldessaint.fr
Facebook Page Officielle

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Pepü Sulé, La Sacristía Café, Dénia

Pepü Sulé | La Sacristía Café, Dénia

Foto: Alain Barbero | Text: Pepü Sulé | Übersetzung (aus dem Spanischen): Daniela Gerlach

 

Der zügellose Regenschirm

Oh es ist kalt.
Und regnet.
Und ich hier mit meinem Regenschirm.

Oh der Wind.
Wieviel Luft in Bewegung.

Der Regenschirm bewegt sich
Ist es der Wind, der den Regenschirm bewegt
oder ist es der Regenschirm selbst
der sich bewegt und versucht zu fliegen
und meiner verdammten Hand zu entkommen?

 

Original (Spanisch)

El paraguas libertino

Oh hace frio.
Y llueve.
Y yo aquí con mi paraguas.

Oh el viento.
Cuanto aire en movimiento.

El paraguas se mueve
¿Es el viento quien mueve el paraguas
o es el propio paraguas
quien se mueve intentando volar
y escaparse de mi puta mano?

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Pepü Sulé: Von der Warte des Schreibens aus, ist sie ein Werkzeug, das mir erlaubt zu erzählen, Ideen auszudrücken, Wörter zu kombinieren …
Sie ist ein Mittel, das mir Türen öffnet, um mir etwas vorstellen oder einfach umherschweifen zu können und Geschichten zu erzählen, auf eine Art, die mich interessiert, mich anzieht, mir einfach gefällt.
Von der Warte der Lesenden aus könnte sie der Eingang zu tausenden von Welten sein.

Was bedeuten Cafés für dich?
PS: Es sind Orte, in denen das Leben pulsiert, wo eine Vielzahl von Geschichten geschehen, wo die Leute sich treffen und sich ihre Erlebnisse erzählen, beziehungsweise wo sie sich isolieren, um der täglichen Routine zu entkommen.
In meinem Fall kommt es auf den Moment an. Es kann ein Ort sein, wo ich Menschen sehe und Kontakt knüpfe, oder ein Ort, wo ich allein bin und neue Skizzen, Entwürfe, Fantastereien finde …

Warum hast du La sacristía Café ausgewählt?
PS: Da es sich um eine Fotosession handelte, auch wegen der Dekoration dieser Bar; ich dachte, es wäre ein attraktiver Ort für Alain, den Fotografen. Und für mich wäre es ein interessanter Ort, um während der Session mit der Vorstellung zu spielen, wie ich am Ende das Resultat sehen würde.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
PS: Ich spreche mit Leuten, schreibe, zeichne, male, mache Musik, beobachte, koche, lese, bin neugierig, spaziere, ich bin mit Leuten zusammen, die mir Leben geben …
Aber den Großteil der Zeit, und wie die meisten Menschen dieser Epoche, frequentiere ich über viele Stunden diesen Ort, den wir „Arbeit“ nennen.

 

BIO

Pepü Sulé wird am Mittelmeer geboren und lebt dort. Er betritt die Welt des Schreibens, indem er Texte fürs Radio kreiert und erzählt, rezitiert, summt, sowie sich an musikalischen Aktionen, Performances, Monologen, Theaterstücken, Erzählungen, Drehbüchern, Animationsfilmen beteiligt …
Außerdem zeichnet, malt und animiert er Bilder, oder spielt Musik und mischt all seine Entwürfe in verschiedenen „Gerichten“ zusammen.
Textuell sind seine Buchstaben von einer menschlichen Person geschrieben, also er kennt auch keine Person, die nicht menschlich wäre. Und er kennt auch keinen Menschen, der nicht Person wäre. Obwohl, klar, behaupten kann man das nicht. Also, vielleicht lief er eines Tages gerade so herum, und plash! Stieß auf eine nicht menschliche Person, ohne dass er es merkte, da er nie zuvor eine solche gesehen hatte.

Blog Café Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, David Blum, Backstein, Leipzig

David Blum | Backstein, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Text: David Blum, Auszug aus dem Jugendroman „Kollektorgang“ (Beltz & Gelberg, 2023). Erscheint am 08.03.2023!

 

Viele Geschichten beginnen mit einem Haus, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, ich weiß. Nichts dergleichen findet man bei mir. Ich wuchs auf in einem dieser Viertel, die an die Stadtkerne geklebt wurden. Ein Wohnkomplex nennt es Hoffmann, viele würden es wohl als ein Neubaugebiet oder schlicht als Platte bezeichnen. Aber für mich waren es immer nur die Blöcke. Mein Leben, das waren diese Blöcke. Oder besser gesagt: der Hof, der von ihnen umgeben war. Zehn steinerne Stufen führten hinauf zu den Hauseingängen, und wenn wir über jemanden sprachen, dann sagten wir stets seine Nummer dazu, Rajko aus der Vier kommt nachher noch runter, Stefan aus der Drei ist im Urlaub und so weiter. Spät ging die Sonne auf im Hof hinter den Blöcken und früh ging sie unter. Es gab nichts weiter als Wäschestangen, eine Schaukel und den langweiligsten Sandkasten, den man sich vorstellen kann. Und trotzdem waren wir immer dort, immer nur dort.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich? 
David Blum: Erkenntnis. Unterhaltung. Verwirrung. Reihenfolge egal, im besten Fall alles gleichzeitig.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
DB: Als Reiseführerautor habe ich viel darüber nachgedacht, was Cafés überhaupt für eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Eigentlich sind sie die Nutznießer der notorischen Ungastlichkeit der Großstädte. Oft ja auch die einzige Möglichkeit, sich in einer Innenstadt irgendwo hinzusetzen.

Warum hast du das Backstein ausgewählt?
DB: Weil es kein Café ist, sondern ein Backwarenverkauf unter freiem Himmel. Man kann mit den Kindern hingehen, ohne dass es eine Rolle spielt, dass sie mit dabei sind.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
DB: Arbeiten. Lesen. Schreiben. Bei den Kindern sein. Hoffentlich nicht alles gleichzeitig.

 

BIO

David Blum, geboren 1983 in Potsdam. Studium der Germanistik und Medienwissenschaft sowie Masterstudium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Neben literarischen Texten schreibt er auch Reiseführer (Reise Know-How, E. A. Seemann) und Gebrauchstexte (Zweitausendeins). Mitherausgeber other-writers.de, ein Blog über Autor*innenschaft und Elternschaft. 2023 erscheint der Jugendroman „Kollektorgang“, der mit dem Peter-Härtling-Preis ausgezeichnet wurde.

Blog Café Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Marcus Klugmann, Café Das Kapital, Leipzig

Marcus Klugmann | Café Das Kapital, Leipzig

Foto: Alain Barbero | Text: Marcus Klugmann

 

Da die Eltern meiner damaligen Freundin eher Cafés mit uniformiertem Mobiliar und ebensolcher Musik bevorzugten, fühlte ich mich ein wenig als Gastgeber (der seine Gäste am Ende zahlen lässt). Auch wenn ich nicht der Smalltalktyp war, versuchte ich mich doch als Eisbrecher. Ich erzählte, dass ich in letzter Zeit jeden Tag an diesem Tisch da hinten säße, schriebe und läse, wie hübsch das sei im Kerzenschein, wenn es ein bisschen flackert auf der Seite, die vor einem liegt, wie man sich in einer Art wohliger Blase befinde, behütet vom Kegel des Kerzenlichts, abgeschirmt von allem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Übel der Welt und den übrigen Gästen, und doch genährt von der hoffnungsspendenden wattehaften Plazenta ihres Gemurmels …
Jetzt habe ich mich wohl etwas hinreißen lassen, Verzeihung, der genaue Wortlaut war das sicher nicht. Ich schloss meine kleinen Ausführungen aber jedenfalls folgendermaßen: Manchmal stelle ich mir vor, ich wäre Peter Altenberg in Wien vor hundert Jahren. Das war ein Schriftsteller, der hat quasi im Café gewohnt. Der sitzt jetzt noch als Statue an seinem Stammplatz. Vielleicht setzen sie hier ja auch irgendwann eine von mir, wie ich mich bucklig über meine Manuskripte beuge, an den Tisch dort in der Ecke. Hehe.
Man sollte nicht versuchen das Eis zu brechen, auf dem man sich noch einen Abend lang bewegen muss. Ich hatte eh schon immer das Gefühl, die Eltern meiner damaligen Freundin wünschten sich eher einen pragmatischer veranlagten Mann für ihre Tochter als mich. Um so unverständlicher, dass ich glaubte, mit folgendem Satz ans bescheidenere und damit vermeintlich sicherere Ufer zurückzurudern: Naja, viel hat er ja nicht verdient mit seiner Kunst, er musste sich seinen Einspänner (das ist ein Espresso mit Schlagsahne – sehr beliebt in Wiener Kaffeehäusern) ständig erschnorren. (Genau genommen – erfuhr ich beim Überarbeiten dieses Essays – gibt es gar keine Statue an Altenbergs Stammtisch. Was es gibt, ist eine wächserne Puppe, direkt am Eingang, eigentlich alles andere als schmeichelhaft.)

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was bedeutet Literatur für dich?
Marcus Klugmann: Zum Glück und leider so ziemlich alles. Keine Sekunde am Tag, in der ich nicht an sie denke zumindest.
Zum Glück, weil ich lange nicht wusste, was ich mit meinem Leben anfangen will, weil ich immer bedauert hab, dass ich für nichts brenne, und immer die bewunderte, die voller Leidenschaft für etwas leben.
Und dann leider, weil ich nichts anderes mehr will und kann, ich bin für alles unbrauchbar, das sage ich ganz unkokett, und das ist ziemlich hinderlich im Alltag (sehr, nicht ziemlich). Ich meine: Ich könnte mich doch jetzt, wo wir einen Garten haben, für Anbau und Pflege der Pflanzen interessieren oder wenigstens das Häuschen reparieren wollen, das da steht, im Schrebergarten. Fällt mir aber schwer.
Ausnahmen bilden meine Kinder und meine Frau, die sind genauso immer anwesend in mir und um mich herum und sollen das auch bitteschön für immer bleiben.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MK: Früher unendlich große, jetzt kaum noch bis gar keine Bedeutung. Früher konnte ich dort lange alleine sitzen, gleichzeitig unter Menschen sein, aber ohne Gefahr angesprochen zu werden. Ich fand es im Grunde von Anfang an ein bisschen peinlich, im Café zu schreiben, ungefähr hundert Jahre zu spät zu der Party, lächerlich. Schaut her, ein Literat! Aber genau das zwang mich, dann auch wirklich zu schreiben. Wenn ich jetzt nicht schreiben würde, dann wäre ich mir vor mir selber ganz unrettbar peinlich. Zu Hause war ich zu sehr abgelenkt von Internet und Ruhe, Müdigkeit, das Bett lockt. Seit Corona, d. h. geschlossenen Cafés, später verkürzten Öffnungszeiten, hab ich mich daran gewöhnt, hier am Esstisch zu sitzen, na ja, fast, fast (das Internet ist immer noch zu groß: PROKRASTINATION!). Außerdem: Geldgründe.

Warum hast du das Café Kapital ausgewählt?
MK: Die Musik dort nervt nicht, die Bedienungen sind mir nicht unsympathisch, ich muss nicht dauernd was bestellen … und dann wollte ich das Café zeigen, in dem ich immer saß, in dem ich auch den Großteil meines Romans schrieb, der hoffentlich bald erscheinen wird. Ist ja auch fotogen, das Kapital.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
MK: Schreiben, lektorieren, die Kinder in die Kita fahren/abholen, essen, trinken, Windeln wechseln, lesen, Youtube gucken, vorlesen, Katze streicheln – so was halt.

 

BIO

Geboren 1981 in Halle, Germanistikstudium in Halle, dann am DLL in Leipzig, dann Hochzeit, zwei Kinder, noch selbständig als Lektor und Schriftsteller, bald erstes Buch.

 

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Beloslava Dimitrova, FOX Book Café, Sofia, Bulgarie

Beloslava Dimitrova | FOX book café, Sofia

Foto: Alain Barbero | Text: Beloslava Dimitrova | Übersetzung (aus dem Bulgarischen): Alexander Sitzmann

 

 

Original (Bulgarisch)

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Beloslava Dimitrova: Die Literatur war und ist immer noch das Zuhause, wovon ich geträumt habe. Der Raum, den ich mit dem klaren Wissen betrete und auch wenn ich ihn doch irgendwann wieder verlassen muss, bleibe ich dankbar, zufrieden und entspannt.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
BD: Was ich an ihnen mag, ist, dass wir alle anonym sind, und gleichzeitig gibt es diese Nähe und das Gefühl, dass man nicht ganz allein ist.

Warum hast du das FOX book café ausgewählt?
BD: Ich gehe mit meiner Tochter dorthin, um Kinderbücher zu kaufen, die anderen zu beobachten und inspiriert zu werden. Der Laden ist gemütlich, klein und versteckt im Herzen der Stadt. Er erinnert mich an eine kleine Gruft voller Bücher.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
BD: Jetzt wurde meine Welt durch die Ankunft meiner Tochter Mika auf den Kopf gestellt. Ich lerne wieder, was es ist ein Kind zu sein, und dass die Kinder ein unschätzbares Geschenk sind. Vielen Dank, Mika!

 

BIO

Beloslava Dimitrova ist eine Dichterin und Journalistin. Geboren im Jahr 1986. Sie hat drei Bücher veröffentlicht. Sie wurde mit drei nationalen Lyrikpreisen ausgezeichnet und ist ins Englische, Deutsche, Spanische, Italienische, Kroatische, Mazedonische und Hindi übersetzt worden. Sie wohnt und arbeitet in Sofia.

 

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Teresa Juan López, Códigos del Arte, Dénia

Teresa Juan López | Códigos del Arte, Dénia

Foto: Alain Barbero | Text: Teresa Juan López | Übersetzung (aus dem Spanischen): Daniela Gerlach

 

 

Der, der findet …

Ich bin Reise und bin Ziel. Das schützende Heim. Ich bin das Meer, das erfrischt; der Fels, die Zeit wo keine Zeit existiert. Ich bin die Freude in der Umarmung, Distanz und auch die Stille, die von einem Baum ausgeht. Der beobachtende Blick und die Rückkehr nach Hause, wo das Schlichte wohnt. 
Ich bin der Sand, auf dem du gehst, deine Schuhe, wenn das Leben dich langsam umkreist. Der Mut, die Geduld. Ich bin das Wunder der lebenden Dinge.
Ich bin Raum, bin der Rhythmus, der die Musik vorgibt. Über das Herbstgras schreitend, bin ich heute der klare Blick und das transparente Wort.
Ich bin dein Frieden und deine Gerechtigkeit. Ich bin der Tempel und das Gebet; das Vertrauen, wenn du auf dem Pfad des Erwachens und der Passion voranschreitest. Ich bin Begeisterung und Freude. Ankunft schon, wo die Wegstrecke noch lang schien, voller Biegungen und Schatten.
Ich bin Licht. Und mit bloßen Füßen erleuchte ich diese gesegnete Erde.
Ich bin frei, während ich die Saat der Sterne über dem Feuer alter Erinnerungen verstreue. 
Ich bin, der ich bin.
Offene Flut der Lobpreisungen. Stärke, in der sich der Wind versteckt.
Ich bin, der ich bin.
Ich bin der Gesang, der leise zwischen dem Schilfgras des Flusses erklingt.
Weil ich bin.
Weil ich bin.
Weil ich der bin, der ich bin.

 

Original (Spanisch)

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Poesie/ Literatur für dich? 
Teresa Juan López: Es ist die Übersetzung meiner Seele, ihr Ausdruck und ihre Schönheit. Die ultimative Manifestation von Größe, die sich auf der Erde materialisiert.

Was bedeuten Cafés für dich?
TJL: Ein Durchgangsort. Ein Café sammelt Fragmente verschiedener Leben, die gerettet werden können, wenn man ihnen zuhört. Manchmal ist es ein Ort der Inspiration, denn es passieren Geschichten auf einem reduzierten Raum und zu gleicher Zeit. Manchmal auch ein Ort, von dem aus etwas beginnt oder endet.

Warum hast du „Códigos del Arte“ gewählt?
TJL: „Códigos del Arte“ hat meine Poesie, meine Bewegungen, meine Musik aufgenommen, als ich nach Dénia kam. Hier habe ich Konzerte und poetische Sitzungen organisiert. Ich finde, es ist ein gemütliches Café, das man weiterempfehlen kann.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist? 
TJL: Ich tanze, experimentiere mit Farbe und Stimme, filme und kreiere Geschichten mit meinen Versen. Meine Welt ist wie ein riesiger Fächer aus Orten, Reisen und Leidenschaften.

 

BIO

Geboren in Madrid, 1979. Multidisziplinäre Künstlerin. Dichterin, Erzählerin, Reisende, Liebhaberin des Tanzes, der Malerei, Musik, Fotografie und jeglichen Ausdrucks des Künstlerischen und Schönen. Zurzeit lebt sie in Dénia (Valencia).
Autorin des zweisprachigen Bandes „Poemas de las cinco/ Poems at Five (Editorial Algorfa, 2020) und „Cantos del Alma/ Soul Songs“ (Editorial Algorfa, 2022), außerdem Mitbegründerin des poetisch-musikalischen Duos Celêstial Echoes, das bereits eine Platte herausgebracht hat. 
Ihre Bücher gehen über das normale Buchkonzept hinaus und werden in Szene gesetzt, wobei die Mischung aus Poesie, Musik, Tanz und Video bei jedem Auftritt für eine einzigartige Version sorgt. 
Ihre ganzheitliche Vision der Kunst verleiht ihren Kreationen eine Aura der Inspiration und großer Sensibilität für diejenigen, die sie empfangen.
Web: https://mareas2.webnode.es/
Instagram: @teresajuanlopez