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Theodora Bauer | Café Museum, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Theodora Bauer

 

Das Café Museum. Repräsentation, Repräsentation, Repräsentation. Obwohl mittlerweile Teil der großen Landtmann-Kette, strahlt es für mich nach wie vor den Charme eines edlen, kleinen Wiener Cafés mit der einer solchen Institution eigenen Würde aus. Ich – das muss ich gestehen – bin keine große Kaffehaus-Gängerin. Ich arbeite am liebsten zu Hause in Jogginganzug oder Pyjama, mit einer Tasse Kaffee, aus dem eigenen Vollautomaten frisch heruntergerumpelt, mit zerknittertem Gesichtsausdruck und bedenklicher Haltung auf meinem Schreibtischstuhl. Ins Café Museum gehe ich also nicht zum Schreiben, sondern zu geschäftlichen Treffen – was ja durchaus auch ein mir sehr angenehmer Teil meiner Arbeit ist. Das hier ist das Café, das ich vorschlage, wenn jemand noch nie in einem Wiener Kaffeehaus war und unbedingt ein „echtes“ sehen möchte; wenn jemand ein Interview mit mir führen oder man zukünftige gemeinsame Projekte besprechen will. Die Atmosphäre ist repräsentativ, aber nicht bieder; das Café strahlt Ruhe und eine gewisse unterschwellige Betriebsamkeit gleichzeitig aus. Es wirkt eingewohnt und trotzdem nicht ranzig. Gemütlich und dennoch edel. Ein Ort, der Anonymität und Öffentlichkeit gleichermaßen bietet. Schlicht: Ein durch und durch Wienerisches Café, das ich immer wieder gerne besuche.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Theodora Bauer: Eine große Frage mit einer Antwort, die die Grenzen dieses Interviews sprengen würde.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
TB: Cafés sind für mich schöne Optionen – wenn jemand nicht zu Hause arbeiten kann oder will, gibt es immer die Möglichkeit, ein Wohnzimmer außerhalb der eigenen vier Wände aufzusuchen und dort auch zu verweilen. Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass das in einer Großstadt wie Wien noch möglich ist.

Wo fühlst du dich zu Hause?
TB: In Wien und im Burgenland.

 

BIO

Geboren in Wien, aufgewachsen im Burgenland. Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und der Philosophie. Schreibt Romane („Das Fell der Tante Meri“, „Chikago“), Theaterstücke und Kurzprosa. Seit 2018 moderiert sie die Literatursendung „literaTOUR“ auf ServusTV.
Nähere Infos auf www.theodorabauer.at

Sophia Lunra Schnack | Kaffee Monarchie, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Sophia Lunra Schnack

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Sophia Lunra Schnack: Öffnen und bremsen. Gedankengänge, Emotionen, Überzeugungen in Bewegung setzen. Gerade junge Menschen können sich sozusagen Lebenserfahrung, Reflexionsfähigkeit und sinnliche Bereitschaft anlesen. Literatur kann Zeitabläufe bremsen, sich gegen ein durchgetaktetes Dasein positionieren. Und gegenüber der gegenwärtig zunehmenden Automatisierung und Anonymisierung würde ich sagen, dass Literatur den Menschen, das Menschliche bewahren kann.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SLS: Wenn mir zuhause Stille zum Arbeiten zu radikal wird, wechsle ich in ein Kaffeehaus. Es muss aber die richtige Mischung aus sanftem Stimmenrauschen und Rückzug geben. Da gibt es einige Stammcafés, von denen ich weiß, da geht es, da habe ich eine Ecke, mein Schneckenhaus, aus dem ich aber jederzeit herauskriechen kann um Kontakt aufzunehmen. Ich liebe diese ungezwungene Art, mit unbekannten Personen ins Gespräch kommen zu können, aber nicht zu müssen.

Wo fühlst du dich zu Hause?
SLS: Zu Hause sein hat für mich immer mit Sprache zu tun. Lange Zeit habe ich mich in der französischen Sprache zuhause gefühlt, hatte mit meiner Muttersprache Probleme. Da war es auch sehr naheliegend für mich, in Frankreich zu leben. Das Fluchtverhalten vor meiner Muttersprache habe ich mittlerweile überwunden, jetzt habe ich einen sprachlichen Haupt- und Zweitwohnsitz. Ich könnte mir jedenfalls nicht vorstellen in einem Land zu leben, in dessen Klänge ich nicht einfließen kann.

 

BIO

Sophia Lunra Schnack (*1990) lebt und schreibt derzeit überwiegend in Wien. Sie verfasst Lyrik und (lyrische) Prosa in diversen namhaften Literaturzeitschriften, u.a. in den manuskripten, der Poesiegalerie oder Das Gedicht.
2022 erhält sie den rotahorn-Förderpreis und seit 2023 leitet sie einen Lyrikblog für Das Gedicht. Im August 2023 erscheint ihr Debütroman „feuchtes holz“ (Otto Müller).
Derzeit arbeitet sie an ihrer Kurprosasammlung „Fliederkuss“ sowie an einem zweisprachigen Lyrikband „wimpern piniengrün – cils vert de pins“.

Reinhard Junge | Café Ferdinand, Bochum

Foto: Alain Barbero | Text: Reinhard Junge

 

Meinen ersten Krimi fand Brunhilde noch gut. Ein schreibender Gatte – damit konnte sie richtig angeben. So hatte sie mir beim Start sogar eine ihrer schönsten Metaphern geschenkt.
Als ich ihr stolz das zweite Buch überreichte (extra in rosa Papier gehüllt), warf sie es ungeöffnet in die blaue Tonne. „Aber jetzt lassen wir die alberne Schreiberei, gelt? Oder …“
„Oder was?“
„Du wirst Hausmann. Da kannst du jeden Abend ein Stündchen tippen!“
Prima, dachte ich. Doch: Werch ein Illtum! Vier Mahlzeiten täglich für vier Personen, Taxidienste zu Kita, Grundschule, Kinderarzt und Bioladen, die Wäsche, Fenster- und Flurputzen, die Steuererklärung, die Blumen auf dem Friedhof, Friedenseinsätze am Sandkasten, wo unser Heiko gerne die Nachbarskinder terrorisierte …
Meine Gattin, Lehrerin für Musik und Kunst, blühte indes auf. Endlich Mittagsschlaf! Und zweimal pro Woche mit Freundin Thea ins Café Ferdinand, während ich auch noch Theas Blagen am Hals hatte. Tippen? Abends fiel ich nach fünf Zeilen sitzend ins Koma.
„Schatz“, säuselte Brunhilde eines Mittags, als ich gerade die Bestecke reinigte. „Nächste Woche ist Pfingsten. Fünf freie Tage! Ich fliege mit Thea nach Rom. Jasmina geht zu Opa und Heiko bleibt bei dir. Okay?“
„Wieso kann Heiko nicht ebenfalls zu Opa?“
„Der wird doch auch nicht mit ihm fertig!“
Danke, dachte ich und fragte: „Und mein Exposé?“
„Süßer! Dieser Quatsch kann doch warten!“
Welch ein Zufall, dass da gerade das Fleischmesser lag …

In meinem neuen Quartier kann ich in Ruhe schreiben. Bye, bye Brunhilde heißt das Buch. Und wenn die 12 Jahre um sind, gehe ich auch mal ins Ferdinand.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Reinhard Junge: Alles! Unterhalten, langweilen, bilden, empören, Kriege verherrlichen, zu Revolutionen aufrufen oder zum Völkermord, Regierungen ärgern oder feiern, Unrecht anklagen oder rechtfertigen. Eigentlich kann sie alles. Vorausgesetzt, die Autorinnen und Autoren finden einen Verlag, der bereit ist, ihre Werke auch zu drucken. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RJ: Ich liebe Cafés. Ein gutes Café ist für mich die goldene Mitte zwischen Restaurants, in denen schon das Lächeln des Kellners 50 € kostet, und einer Säuferkneipe, in der man allem Elend dieser ungerechten Welt begegnet. Für mich können sie Orte der Ruhe, zum Nachdenken, zum Träumen, zum Schreiben und zur Pflege von  Freundschaften sein.  

Wo fühlst du dich zu Hause?
RJ: Überall, wo es viel Sonne, freien Blick auf das blaue Meer, einen weißen Strand und einen guten Kaffee gibt.

 

BIO

* 1946 in Dortmund. 1966 Abitur. Bundeswehr, Studium in Bochum. Nach dem Referendariat 1978 als DKP-Mitglied zunächst  Berufsverbot. Proteste aus dem In- und Ausland (u.a. CGT). 1979-2012 Lehrer an einem Gymnasium. 6 weitere Jahre Deutsch für ausländische Kinder. – 12 Kriminalromane (z. T. mit Leo P. Ard und Christiane Bogenstahl), 4 Dokus über Neonazis. – 3 Kinder, 1 Enkel, kein Haus, kein Hund. Fan aller Teams, die Bayern München besiegen.

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Tanja Raich | Cafemima, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Tanja Raich, Auszug aus dem Roman „Schwerer als das Licht“ (Verlag Blessing, 2022). Erscheint am 24.8.22!

 

Ich erinnere mich an diesen Tag, der schon lange zurückliegt. Eines Morgens regnete es alle möglichen Formen und Farben. Nagas- und Hibiskusblüten, Orchideen und Amaryllis, ein buntes Treiben zwischen den Bäumen und hoch in der Luft. Ich hatte nie zuvor etwas Schöneres gesehen. Der Wind wirbelte die Blüten über die Baumkronen, wirbelte sie über die ganze Insel. Sie flogen wie Schmetterlinge durch die Luft und sanken irgendwo zu Boden. Eine Hibiskusblüte schlug mir ins Gesicht und hinterließ einen stechenden Schmerz. Und dann war alles kahl. Keine Knospen, nichts folgte nach. Und als die Blüten verdorrten, gab es endgültig keine Farben, kein Leuchten mehr. Alles wurde stumpf und braun und grau.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich? 
Tanja Raich: Literatur ist für mich das Eintrittstor in neue Welten, Literatur eröffnet neue Perspektiven und Erfahrungen, führt mich auf Reisen, lässt mich in Gedankenwelten hinein, berührt mich und schockiert mich – im Idealfall gehe ich als neuer Mensch daraus hervor: als Lesende und als Schreibende. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
TR: Da muss ich unterscheiden zwischen Wien und Italien. In Italien sind sie Treffpunkt, da geht es auch mehr um den Kaffee an sich, selten verliere ich einen Tag darin. In Wien sind sie tatsächlich ein erweitertes Wohnzimmer, auch wenn ich dort selten schreibe. Ich mag das Kaffeehaus als Ort der ersten Begegnung, wenn ich Autor:innen kennenlerne, mit denen ich Bücher realisieren möchte zum Beispiel. Manchmal verliere ich mich darin, und das passiert mir nur in Wien: Man trifft sich auf eine Melange und stolpert um zwei Uhr nachts wieder auf die Straße. Dabei fühlt es sich gar nicht an, als wär man in Wien, vielleicht irgendwo an einem Ort ohne Raum und Zeit. 

Warum hast du Cafemima ausgewählt?
TR: Ich liebe Märkte und das Cafemima ist ein Marktlokal, bunt und chaotisch. Meine Wohnung sieht ziemlich ähnlich aus. Viele Pflanzen und bunte Dinge, die ich von meinen Reisen mitgebracht habe. 

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
TR: Dann bin ich irgendwo draußen, im Park, im Prater, oder ich fahre mit dem Fahrrad über die Donauinsel. 

 

BIO

Tanja Raich, 1986 in Meran (Italien) geboren, sie lebt als Lektorin und Autorin in Wien. 2015 initiierte sie eine neue Literaturreihe bei Kremayr & Scheriau mit Fokus auf deutschsprachige Debüts, wo sie bis 2020 als Programmleiterin tätig war. Derzeit leitet sie das Literatur- und Kinderbuchprogramm beim Leykam Verlag. Ihr Debütroman „Jesolo“ (Blessing 2019) wurde für den Österreichischen Buchpreis Debüt 2019 sowie für den Alpha Literaturpreis 2019 nominiert. Ihr zweiter Roman „Schwerer als das Licht“ wird im August 2022 bei Blessing erscheinen. 
tanjaraich.at

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Sabine Gruber, Café Engländer, Wien

Sabine Gruber | Café Engländer, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Sabine Gruber

 

Glücklicherer August
Millstättersee

                                    für KH zum 5. Todestag

Das Leben ist da, so lange unsere Hände
Sprechen und die Zunge in einem anderen
Mund schweigt. Es ist da, so lange keine
Wörter dazwischengeraten, unsere Fragen
Uns nicht entblößen. Es ist noch immer
Da, wenn es zu nichts führt, außer zu uns,
Wenn wir im anderen wohnen bleiben
Atemlos mit Augen, die verschlossen
Begreifen. Es ist da, wenn du nie mehr
Kommst und nichts mehr weißt, vom feinen
Feuer, von meinem wüsten Wanderleben,
Vom Flug über den See, mit den geretteten
Flügeln. Das Wasser trägt uns, die Barsche
Sammeln deine Bilder an ihrem Leib, und
Was vorher war, bevor etwas entstand,
Das wunde Niemandsland, die Spur im
See, die hinter uns zerrann, ich fühle
Es jeden Tag. Ich kann Dich in der Tiefe
Des Grunds, in jeder Welle wieder hören,
Sehen.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Sabine Gruber: Schreiben ist meine Art zu atmen. Lesen gibt mir das Gefühl, ich könne mit den literarischen Texten der anderen mein eigenes Leben verlängern und intensivieren. Das ist natürlich ein Anachronismus, weil die Zeit bei der Lektüre vergeht.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SG: Die Kaffeehäuser sind für mich vor allem Lese- und Schreiborte, wenn mir zuhause die Decke auf den Kopf fällt.

Warum hast du das Café Engländer ausgewählt?
SG: Das Café Engländer ist eines meiner Stammcafés, es ist nicht weit von meiner Wohnung entfernt, hat eine exzellente Küche, liebenswürdige Kellner, und meistens wird es von interessanten Gästen besucht.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
SG: Wenn ich nicht im Kaffeehaus bin, träume ich von weit entfernten Kaffeehäusern, zum Beispiel vom Caffè Meletti in Ascoli Piceno, das auf einer mit Arkaden eingefaßten Piazza im Zentrum der Stadt zu finden ist und meiner Ansicht nach zu den schönsten Kaffeehäusern Europas zählt.

BIO

Sabine Gruber, geboren 1963 in Meran, lebt in Wien. Sie schreibt Gedichte, Erzählungen, Romane, Essays. Zuletzt erschienen: „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“ (C.H.Beck, 2016, dtv 2018); „Am Abgrund und im Himmel zuhause“ Gedichte Haymon 2018. Im Februar 2022 erscheint „Am besten lebe ich ausgedacht. Journalgedichte“ als bibliophile Ausgabe ebenfalls beim Haymon-Verlag. www.sabinegruber.at

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Katherina Braschel, Café Anno, Café, Kaffeehaus, Wien, Vienne

Katherina Braschel | Café Anno, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Katherina Braschel

 

wie: die Nägel gegen den Holzlack stemmen, sie ziehen, kreischen lassen, aber das Innen, es muss ein Innen bleiben, im Rahmen, wenn sie sprechen möchte, nein schreien, nein brüllen, wenn sie aus der Haut, aber nur die Haut von ihr, oder: die Holzsplitter ihr unter die Haut, die Nägel, sich hineinbohren, verhaken, Sporen aussäen, subkutan, die später zu Bäumen vielleicht, zu Wäldern, zu Brennholz, es fackelt
sie: eine gefasste Säule, sie atmet, der Tisch, er wackelt, das Bier, es tropft, sie: eine umfasste Säule, der Stuhl, er kippt, der Aschenbecher, er fällt, ihr in Köpfe, in Worte hinein, hinterlässt platzwunde Spuren, ein Aufriss in ihren Handflächen, das Glas, es ist kühl in ihr, keine Faserreste,
nur klare Brüche

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Katherina Braschel: Vielleicht auch: die Suche nach einer Antwort auf diese Frage, die nicht kitschig ist. Oder gut kitschig? In jedem Fall, eine Suche, ein (Selbst-)Entlarven, ein (kompliziertes) Zuhause, ein Fluchtort, eine Streicheleinheit, eine Watsche. Und Macht.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
KB: Ich schätze Cafés meist als Orte, an denen man verschwinden kann ohne zu verschwinden. Und das brauche ich, um schreiben zu können.
Im richtigen Café muss ich mir nicht die Ohren zuhalten, um zur Sprache, zum Schreiben, zu kommen, da erledigt das diese bestimmte Mischung aus Stille, Stimmen und Geschirrgeräuschen für mich.
Natürlich muss man sich Cafés auch leisten können und das ist keine Selbstverständlichkeit.

Warum hast du das Café Anno ausgewählt?
KB: Weil ich im Normalfall meist einmal in der Woche hier bin, da ich Mitveranstalterin zweier Lesereihen hier bin. Weil hier Literatur einen niederschwelligen Raum findet und ich das für enorm wichtig halte. Das Café Anno ist einfach ein Ort, an dem ich sein kann und das schon lange, wo ich mich wohl fühle und wo ich weiß, wo hinter der Bar Kugelschreiber und Zettel sind, falls ich kein Notizbuch dabei habe.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
KB: Momentan tatsächlich sehr viel an Cafés denken und sie vermissen. Zu Hause schreiben kann ich fast nicht und ich merke, wie mich das aushöhlt.
Ansonsten: lohnarbeiten, lesen, mit lieben Menschen Zeit verbringen, mich über Dinge aufregen und online Videos von Frachtschiffen schauen.

 

BIO

Aufgewachsen im Barock-Disneyland Salzburg, lebt und arbeitet sie seit 2011 in Wien, wo sie auch Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert hat. Sie schreibt in erster Linie Prosa. Dafür erhielt sie bereits diverse Preise und Stipendien, darunter der Rauriser Förderungspreis und der Wortmeldungen Förderpreis der Crespo Foundation Frankfurt, beide 2019. 2020 erschien ihr Debüt „es fehlt viel“ in der Edition Mosaik.
Sie glaubt an feministische Solidarität, gutes Bier und die zarte Macht der Sprache.

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Norbert Gstrein, Café Leonard, Kaffeehaus, Café

Norbert Gstrein | Café Leonar, Hamburg

Foto: Alain Barbero | Text: Norbert Gstrein

 

Seit einiger Zeit schon sitze ich, wenn ich in Hamburg bin, am Morgen im Café Leonar am Grindelhof, um dort die Neue Zürcher Zeitung zu lesen und die Süddeutsche durchzublättern, bevor ich mich an meinen Schreibtisch setze. Davor gehe ich in das dem Abaton Kino gegenüberliegende Balzac Café und lese dort die FAZ. Ich sehe streng zu, dass die ganze Prozedur nicht mehr als eine Stunde in Anspruch nimmt. Im Leonar ist mein Platz nicht auf dem Sofa wie auf dem Bild, das Alain Barbero von mir gemacht hat, sondern an einem kleinen runden Tischchen mit Blick aus dem Fenster direkt daneben. Das Café öffnet um acht Uhr am Morgen, und ich treffe gewöhnlich zwischen acht Uhr zehn und acht Uhr zwanzig ein und bin mir meiner Zwanghaftigkeit und Schrulligkeit durchaus bewusst. Wenn ich zu glauben anfange, dass die Kellnerinnen und Kellner über den merkwürdigen, nicht mehr jungen Mann zu sprechen beginnen, den ich für sie darstellen muss, bleibe ich ein paar Tage lang weg und starte irgendwann den nächsten Zyklus. Ich betrete das Café dann wie zum allerersten Mal, ein Doppelgänger oder Stellvertreter meiner selbst, und bin am zweiten Tag schon wieder Stammgast. Neulich hat mich eine andere Besucherin des Cafés offensichtlich mit einem österreichischen Schriftsteller verwechselt und mir von dessen jüngstem Buch vorgeschwärmt. Sie hat gesagt, sie sei selbst aus der Buchbranche und sie werde es sich über ihre Kanäle kommen lassen. Ich wollte sie nicht fragen, warum sie dafür Kanäle benötigte und es nicht einfach kaufte wie andere Menschen auch, aber diese Formulierung und ihr Gehabe als ausgewiesene Vertreterin der Hamburger Kulturwelt haben mich zutiefst demoralisiert. Deshalb habe ich mir vorgenommen, das Café den ganzen Winter nicht mehr zu betreten und lieber an die Elbe zu gehen und den Möwen zuzusehen, nach Tirol zurückzukehren und Skilehrer zu werden oder ein für alle Mal nach Australien auszuwandern und dort Schafe zu züchten.

 


BIO

Norbert Gstrein, 1961 in Tirol geboren, lebt in Hamburg. Er erhielt unter anderem den Alfred-Döblin-Preis, den Uwe-Johnson-Preis und 2019 den Österreichischen Buchpreis. Bei Hanser erschienen: „Die Winter im Süden“ (Roman, 2008), „Die englischen Jahre“ (Roman, Neuausgabe 2008), „Das Handwerk des Tötens“ (Roman, Neuausgabe 2010), „Die ganze Wahrheit“ (Roman, 2010), „In der Luft“ (Erzählungen, Neuausgabe 2011), „Eine Ahnung vom Anfang“ (Roman, 2013), „In der freien Welt“ (Roman, 2016), „Die kommenden Jahre“ (Roman, 2018) und „Als ich jung war“ (Roman, 2019).

 

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Ditha Brickwell, Feuerbach Café, Café, Berlin

Ditha Brickwell | Feuerbach Café, Berlin

Foto: Alain Barbero | Text: Ditha Brickwell

 

Das Kaffeehaus ist mein Sehnsuchtspol. Um mich herum ist Vielfalt, und nach überall hin sind Wünsche unterwegs. In meinem Berliner Café Feuerbach sehne ich mich nach Wien, nach meinem Stammcafé in der Josefstadt (wo ich, noch nicht 14 Jahre alt, meine ersten Zigaretten rauchte, Kakao trank und Lesenachhilfe gab, um das zu finanzieren). Dort im Café Hummel herrscht eine Schwirrwolke glücklicher Stimmen, zum Klappern von Schachfiguren, zum Rascheln der Weltpresse. Ein Berliner Freund sagte, wenn er traurig sei, wünsche er sich nach Wien, dass ihm die Kaffeehausstimmen wieder froh machten… Und wenn ich in Wien ankomme, begrüßen mich die Ober überschwänglich in meinem geistigen Zuhause, und ich setze mich auf meinen Stammplatz – und sehne mich nach Berlin, nach den fröhlichen Stimmen der jungen Menschen auf harten Stühlen an eng gestellten Tischen, nach dem Stimmenlärm, der von den Wänden zurückschlägt und mich ärgert, nach dem ironisch-knappen Wortgeplänkel des Kellners – nach der klaren Wirklichkeit Berlins. Ich träume von den Alleen, großzügigen Gründerzeitbauten mit ihren Balkonen und Loggien, den lichtdurchfluteten Räumen und den gläsernen Schiebetüren; ich liebe die leeren Flächen und nackten Brandmauern, die einer unbestimmten Zukunft entgegen warten … und die Rätselschriften der Graffiti an den Stützwänden der S-Bahn Schluchten. Ich warte auf den Duft der Linden und auf das Herbstgold der Buchenwälder in Wannsee. Berlin, sagt man, hat viele Kulturen. In Wien sagt man, es sei eine Weltstadt der Kultur, die man überallhin exportiere; Berlin ist bescheiden, Wien ist eigensüchtig, kommt mir vor; und ich bin in beiden Städten zu Hause. Metropolen sind sie, meine beiden Lieblinge, die alle unsere Spannungen abbilden, wer sie zu lesen vermag, und viele Kulturen zeigen, wenn ihr hinschaut; und sie kommen alle ins Kaffeehaus zu dir herein, dass du sie begreifst und ich darüber schreiben kann. Das Kaffeehaus – mein Sehnsuchtspol der Welt.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was bedeutet Literatur für dich?
Ditha Brickwell: Literatur bannt den besonderen Augenblick, überhöht ihn – und ist eine Möglichkeit, der Wahrheit hinter den Dingen näher zu kommen.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
DB: Cafés sind eine Theaterumgebung, du hörst die Stimmen, siehst die Leute, lernst, was vor sich geht in der Gesellschaft

Warum hast du das Café Feuerbach ausgewählt?
DB: Es ist mir vertraut, seit unsere Tochter zwei Stockwerke darüber wohnte. Leute aus dem Quartier kommen, die Küche ist gut und das Ambiente bescheiden. So mag ich das.

Was machst du, wenn du nicht im Café bist?
DB: Schreiben. Den Alltag bändigen. Mit Kindern sein – im Sommer im Garten. Im Herbst und im Winter gelegentlich auf Reisen.

 

BIO

Ditha Brickwell ist 1941 in Wien geboren; studierte in Wien, Berlin und New York; wirkte für die ökonomische Entwicklung der Städte in Berlin, Brüssel und Paris; schreibt seit 1987 Romane, Essays und Erzählungen, seit 2005 als freie Schriftstellerin, lebt in Berlin und Wien. Bislang liegen elf Bücher vor.

 

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Aiat Fayez | Das Möbel, Wien [2/2]

Foto: Alain Barbero | Text: Aiat Fayez | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Seine große Liebe zum Café Möbel liegt bestimmt darin begründet, dass der Schriftsteller hier seine Art zu sein bewahrt fühlt: All die Computer auf so vielen Tischen zu sehen gibt ihm jedes Mal aufs Neue die Sicherheit, völlig anonym sein zu dürfen, in diesem langgestreckten Raum, der es ihm erlaubt, nach vorne zu schauen und seinen Blick sich im Leeren verlieren zu lassen, wie der Fischer seine Schnur auswirft, mit einem Haken am Ende: Der Fisch, das ist die Idee, die Vorstellung. Und oft findet der Autor den Gedanken amüsant, dass er aussehen muss wie ein alter Doktorand unter all diesen Studierenden. Die Beleuchtung in diesem Café könnte besser sein, kein Tisch wird für Stammgäste freigehalten, doch im Grunde kann der Schriftsteller noch auf vieles mehr verzichten, solange er im Gegenzug dafür Unsichtbarkeit bekommt. Wenn das Jelinek auch das Café seines Herzens ist, so hat das Möbel darin ohne den geringsten Zweifel einen bevorzugten Platz.

Nein, zuhause könnte er nicht bleiben: Die Stille würde ihn umbringen: Die Stille einer Bibliothek oder eines Museums bringt ihn sofort um die Konzentration. Er braucht die anderen, der Schriftsteller, dieser hier wenigstens: Er will die Gegenwart von Menschen, aber als Hintergrund, um auf sich selbst konzentriert bleiben zu können: Dank der anderen kann er sich allein fühlen. Die Abgeschiedenheit ist seine Sache nicht, doch die Einsamkeit ist das Brett, an das er sich klammert.

So oft, wie er ins Möbel geht, wird er dort eines Tages als Teil des Mobiliars gelten, dachte der Schriftsteller einmal, innerlich lachend. Im Gesicht jeder einzelnen Kellnerin entdeckt er ein Gemälde oder eine Romanfigur: es gibt dort das Selbstporträt von Parmigianino, von Anfang an ein kurzer Schimmer in seinem Herz, so wie eine andere, die ihn an Nadja von André Breton denken lässt; bei wieder einer anderen sieht der Schriftsteller eine Kombination aus Leonardos Mona Lisa und Ginevra de‘ Benci, während er der vierten insgeheim für ihren Kleidungsstil gratuliert, und so geht es bei den anderen weiter.

Unabänderlich bestellt der Schriftsteller Cappuccino: Würde man ihm die Augen verbinden, müsste er nur daran nippen, um zu erraten, welche der Kellnerinnen ihn serviert: Es sind die gleichen Kaffeebohnen, die Maschine ist dieselbe, und doch ist der Cappuccino der einen stärker als der der anderen; der einer dritten ist milder; eine andere füllt die Tasse ein kleines bisschen weniger an als ihre Kolleginnen, dafür ist der Milchschaum bei ihr ungleich samtiger. So geht es dem Schriftsteller: Niemals beginnt sein Tag auf die gleiche Weise, er, der auf Arbeitsdisziplin und seine kleinen Marotten Wert legt, befindet sich am gleichen Ort, im gleichen Viertel, umgeben von den gleichen Gesichtern: er ist zuhause, ohne zuhause zu sein. Und im Grunde ist es diese Erschütterung, die ihn anrührt: ein paar Takte Exil.

 


BIO

Aiat Fayez, geboren 1979, studierte Philosophie in Paris. 2010 verließ er Frankreich, lebte in Berlin, Oxford, später Wien, wo er sich dem Schreiben widmet. Er hat bisher drei Romane im Verlag P. O. L. veröffentlicht, sowie zehn Theaterstücke im Verlag L’Arche. 2016 war er im Finale des Grand Prix de littérature dramatique, im selben Jahr wurde ihm der Prix Scenic Youth zuerkannt. Das Kulturministerium verlieh ihm 2018 den Orden Chevalier des Arts et des Lettres.

Romane: 2009 : Cycle des manières de mourir, éditions P.O.L, 2012 : Terre vaine, éditions P.O.L, 2014 : Un autre, éditions P.O.L
Theater: 2011: Les Corps étrangers, L’Arche Éditeur (deutsche Übersetzung : Fremdkörper. In: Scène 16, Neue französische Theaterstücke, Hg. v. Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand, Theater der Zeit, Berlin 2013), 2015: La Baraque, L’Arche Éditeur, 2016: De plus belles terres / Angleterre, Angleterre, L’Arche Éditeur, 2018: Place des Minorités / Le Monologue de l’exil, L’Arche Éditeur. Bei L’Arche Agence: 2013: Perceptions, 2013: Naissance d’un pays, 2015: L’Éveil du printemps (deutsche Übersetzung : Frühlingsgefühle, verfügbar unter: https://henschel-schauspiel.de/de/werk/5209), 2016: La Valise, 2019: Un pays dans le ciel

Blog Entropy, Barbara Rieger, Alain Barbero, Aiat Fayez, Das Möbel, Paris

Aiat Fayez | Das Möbel, Wien [1/2]

Foto: Alain Barbero | Text: Aiat Fayez | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Der Schriftsteller liebt sie alle, die Kellnerinnen des Café Möbel, wenn er auch nicht mit Sicherheit sagen kann, ob das auf Wechselseitigkeit beruht. Daraus schöpft er seine Melancholie, und ziemlich oft fragt er sich, ob nicht auch ein anderer Ort möglich wäre, ein Woanders. In seinem Innersten weiß er jedoch, dass das nicht sein kann: dass er dort ist, in diesem Café, allein, vor handgeschriebenen oder gedruckten Sätzen, und dass er das immer bleiben wird, in allen Cafés, die er besucht, egal ob in Wien, Paris, Budapest, Zürich, Oxford oder Basel, weil er keinen anderen Weg gefunden hat, zu sein, als einen einsamen, nebelverhangenen, in vielerlei Hinsicht stillen Pfad.

Wenn der Schriftsteller sein Innerstes erforscht, was er mit der gleichen Selbstverständlichkeit tut, mit der andere atmen, und das so gründlich, dass er sich oft verirrt, in sich selbst genauso wie in den Straßen dieses Wien, in dem er doch seit so vielen Jahren lebt, wenn er also sein Innerstes erforscht, wird ihm klar, dass er nicht geliebt werden kann, da er die Liebe, die er für andere empfindet, ständig in ihrer Erfüllung scheitern lässt: er wirft ihr Knüppel zwischen die Beine, damit sie unmöglich wird: So genießt er es – wobei der Genuss mit der Verzweiflung spielt – sich verlassen zu fühlen, vereinsamt, ohne Zuflucht: im Exil. Es ist mehr als eine Bedingung für seine Arbeit, Schriftsteller zu sein ist schließlich in vielerlei Hinsicht mehr als eine Arbeit: es ist eine Art zu sein, bei der es darum geht, außen vor zu bleiben, sich am Rand herumzutreiben, sich dem Abgrund zu nähern: Ausgegrenzt sein zu wollen, das heißt: die Realität nicht zu akzeptieren. Sie nicht zu verleugnen, sondern sich dazu zu zwingen, sie durch das Prisma der Kunst zu sehen; dafür zu sorgen, dass sie durch die Kunst erhöht wird. Und zwischen der Liebe zu den (vorgestellten) Menschen und der Angst vor diesen (wirklichen) Menschen, da liegt nur ein schmaler Grat, auf dem der Schriftsteller taumelt. Eines Tages wird er vielleicht abstürzen. So, wie alle Schriftsteller, die vor ihm abgestürzt sind und alle diejenigen, die nach ihm abstürzen werden. So einsam sie verharren, so schweigsam sie sind, so fremd sie einander bleiben – was die Schriftsteller, die wahren, ohne ihr Zutun verbindet, ist eine Schicksalsgemeinschaft über Zeit und Raum hinweg: Sternenfreundschaften, erschaffen durch das Lesen der Bücher.

Fortsetzung folgt…

 


BIO

Aiat Fayez, geboren 1979, studierte Philosophie in Paris. 2010 verließ er Frankreich, lebte in Berlin, Oxford, später Wien, wo er sich dem Schreiben widmet. Er hat bisher drei Romane im Verlag P. O. L. veröffentlicht, sowie zehn Theaterstücke im Verlag L’Arche. 2016 war er im Finale des Grand Prix de littérature dramatique, im selben Jahr wurde ihm der Prix Scenic Youth zuerkannt. Das Kulturministerium verlieh ihm 2018 den Orden Chevalier des Arts et des Lettres.

Romane : 2009 : Cycle des manières de mourir, éditions P.O.L, 2012 : Terre vaine, éditions P.O.L, 2014 : Un autre, éditions P.O.L
Theater: 2011: Les Corps étrangers, L’Arche Éditeur (deutsche Übersetzung : Fremdkörper. In: Scène 16, Neue französische Theaterstücke, Hg. v. Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand, Theater der Zeit, Berlin 2013), 2015: La Baraque, L’Arche Éditeur, 2016: De plus belles terres / Angleterre, Angleterre, L’Arche Éditeur, 2018: Place des Minorités / Le Monologue de l’exil, L’Arche Éditeur. Bei L’Arche Agence: 2013: Perceptions, 2013: Naissance d’un pays, 2015: L’Éveil du printemps (deutsche Übersetzung : Frühlingsgefühle, verfügbar unter: https://henschel-schauspiel.de/de/werk/5209), 2016: La Valise, 2019: Un pays dans le ciel