Gundula Schiffer | Café Feynsinn, Köln

Foto: Alain Barbero | Text: Gundula Schiffer

 

Im Café Feynsinn weiß ich das kraftvolle Beit Haknesset mit dem zarten, aber stabilen Davidstern, der an der Spitze des Pyramidendachs in den Himmel aufragt, in meiner Nähe. Das Portal lässt mich an die Tore Jerusalems denken. Das Beit Hacafé, das Kaffeehaus schaut geschwisterlich nach dem Beit Haknesset, der Synagoge: Kunst und Gebet fechten nicht miteinander, nein, sie achten, umwinden sich neugierig. Der Samtvorhang in der Tür, die glitzernden Kronleuchter und Spiegel verwandeln das Feynsinn in einen Theatersaal. Auf jedem Tisch steht eine Schnittblume in einer eleganten Vase wie eine Schreibfeder im Tintenfass. Durch den Eingang weht eine Brise Paris – das Café ist in einem dieser schönen Altbauten, in roter Schnörkelschrift leuchtet „Feynsinn“ über der Tür. Am Rathenauplatz ist Köln am französischsten, seine Liberté am edelsten. Ein Grüppchen beugt sich über die Boulekugeln auf der Erde wie die Männer am Schabbat über die Torarolle auf der Bima. 
Im Sommer wirkt der Rathenauplatz für mich nahöstlich. Staub liegt nah bei Sand. Sand – da ist er! „Flucht man mich, so möge meine Seele schweigen, meine Seele sei allem gegenüber wie Staub“. Dieser Vers wird in der Amida, als Gebet die Mitte jedes jüdischen Gottesdienstes, gesprochen. Glanzlos, haltlos erscheint der Staub vor dem Kristallglas, in dem sich das Sonnen- und das elektrische Licht brechen, in festen, scharfen Strahlen. Die Füße in den Sandalen brennen, das Französische wird zu Israelischem: einem Stück Wüste. Weil Abraham absolut gehorchte, sich anschickte, Gott seinen einzigen Sohn als Brandopfer darzubringen, wurden Sand und Sterne zu Zeichen eines Segens, der strahlender, dauerhafter ist als jeder Lüster, der Lohn des Ewigen für den Frommen. So suche ich von allen Cafés de Cologne am liebsten das Feynsinn auf, wo eine biblisch-abrahamitische Strenge die sinnlich-vergnügliche Leichtigkeit durchweht – beides trifft sich im herb-süßen Geschmack einer Tasse Kaffee mit Milch, die mir Worte eingibt. 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Gundula Schiffer: „Triumph der Verletzlichkeit“ hieß einmal eine Tanztheaterkritik. Umklammert von den Nachwehen des Terrors und vom Sterben im Krieg wollte ich im Dezember in Israel nicht tatenlos in einer Schriftsteller-Residenz sitzen. Ich fand ein Krankenhaus für Freiwilligendienste. Und wählte dann doch meine Werkzeuge – das Schreiben und Übersetzen, ich kann kaum etwas anderes gut. Ingold hat Becketts Antwort auf die Frage, warum er schreibe – „Bon qu’à ça“ – darum mit „Bonkassa!“ übersetzt. Elija konnte ein totes Kind wieder zum Leben erwecken. Ein Gedicht-Blatt ist wehrlos, wo ein Schuss fällt. Doch dieses verletzliche „Trotzdem“ birgt eine bleibende Gegenmacht. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
GS: Diese anmutige Stimmung, die von Cafés ausgeht, ähnelt kleinen Theatern, erinnert mich an Bühnen. In Cafés schreibe ich spontane Notate und Betrachtungen. Fürs Textewerken suche ich die Einkehr, vertraute Dinge um mich her. In Cafés genieße ich Gespräche mit Freunden, den Rummel.        

Wo fühlst du dich zu Hause?
GS: Da ich seit über der Hälfte des Lebens mit der hebräischen Sprache, dem Judentum und Land Israel verbunden bin, ist mein Herz auch nach Jerusalem gerichtet, fühle ich mich in Deutschland nicht vollständig. Es macht mir immer Freude, in Israel ein kleines Zimmer geschwind einzurichten: Notizhefte, Computer, Bücher, ein paar Bilder, Kaffeetasse, fertig. Noch teile ich mich auf zwei Orte auf. 

 

BIO

Gundula Schiffer, geboren 1980 in Bergisch Gladbach, lebt als Dichterin und Übersetzerin in Köln. Sie schreibt Lyrik hauptsächlich auf Deutsch, daneben auf Hebräisch und übersetzt sich selbst ins Deutsche. Sie hat Komparatistik sowie hebräische Sprache und Literatur in München und Jerusalem studiert und zur Poesie der Psalmen promoviert. Derzeit schreibt sie, unterstützt durch ein Arbeitsstipendium der Kunststiftung NRW, an ihrem vierten Lyrikband Fremde Einkehr, der im Herbst 2024 im Verlag Ralf Liebe herauskommt. 

Semier Insayif | Café Diglas im Schottenstift, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Semier Insayif

 

… was ist ein ort.  fragt er. was ist ein ort. sie sagt ich sei hier zu hause. in einem gewissen sinne. mitten im zwischen. ich solle an ein zimmer denken. menschenwesen die hier zu verschwinden versuchen. tief in sich gekehrt. blick zum boden.  andere. die sich zu finden versprechen. den boden unter die füßen zu bekommen. augen zur decke. mit einer tasse tee. kaffee. ein glas wasser. heiß. kalt. mitten unter vielen. einander zu finden. zwischenräume zu schaffen. sich zu verabreden. sich wiederzusehen. ein erstes mal. an ein du zu geraten. an ein fremdes. an ein vertrautes. anzustoßen. ins gespräch zu kommen. sich mit einem du aus zu tauschen. oder gar ein. nur für dieses eine mal. und somit für immer. sie meint ich solle einfach an ein zimmer denken. treppen nach oben. dort ist es ruhig. ruhiger. wenn auch nicht still. nur die stimmen von unten werden hochgespült. so als wäre der klang nur ein ton. die rufe nur ein geräusch. so als wäre der atem nur luft. wenn das so wäre. könnte fleisch doch niemals mensch. könnte stoff doch niemals kleidung sein. sage ich. und holz niemals baum. sie sagt ich solle die augen schließen. meine hände auf den tisch legen. und die spuren begreifen. lack. furchen. rillen. risse.  überprüfen. aus welchem material mein körper sei. mir meine kohlenstoffverbindungen zu herzen nehmen. die augen wieder öffnen. denn das bild. sagst du. das bild. das du siehst.  ist ein abbild von einem bild. das es nicht gibt. sieh mich an. sieh über mich hinweg.  ist dein blick eine frage. kann dein blick je einblick verschaffen. je ausblick auf etwas. oder gar durchblick.  ist dein blick. durchdringung oder fläche. erkenntnis rahmen oder entblößung …  

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur? 
Semier Insayif: für sich und in sich kann literatur bei nahe alles. berühren. anregen. mut machen. deprimieren. in frage stellen. ahnungen schenken. perspektiven erweitern. intensivieren. zur flucht verhelfen. leben retten. leben schenken. und auch nehmen. und sie kann über alle grenzen hinweg verbindungen herstellen. aber auch spalten. und . völlig unbemerkt liegen gelassen werden. harmlos in einer ecke schlummern. dir plötzlich unerwartet ins auge springen. deine herzkammern fluten.  dich beatmen. erkenntnisse entdecken. ein universum erfinden. identität stiften. dich umarmen. ausspucken. und die welt sehnsüchtig poetisieren …. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SI: fokussierung und zerstreuung. an einem ort vieler orte zu sein. heterotopoesis.

Wo fühlst du dich zu Hause?
SI: manchmal fühle ich mich zu hause zu hause. manchmal gerade eben dort nicht. also dann dort wo nicht mein zu hause ist.  weit weit weg. immer wieder in meinem schreibraum. oder ortsunabhängig  mit menschen die ich liebe. mit einem menschen. wo ich allein sein kann. in einem buch. in einem satz. in einem gedicht. 

 

BIO

semier insayif lebt als freier schriftsteller, dichter und literaturvermittler in wien. er konzipiert, kuratiert und moderiert literarische veranstaltungen wie z.b. „dicht-fest“ im kunstverein alte schmiede oder “verssprechen“ in der österreichischen gesellschaft für literatur. zahlreiche kunstübergreifende projekte und leitung von schreibworkshops. trainer für kommunikation und interaktionsanalyse, supervisor, systemischer coach, mediator. insayif  ist präsident des bös (berufsverband österreichischer schreibpädagog:innen). zuletzt erschienen: „mondasche“ (klever, 2019), „mondasche“ (die cd, mit der cellistin cecilia sipos, 2019), „ungestillte blicke“ (gedichte, klever, 2022); www.semierinsayif.com

Martina Jakobson | Café Schwarzenberg, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Martina Jakobson

 

Es hat mir die Sprache verschlagen

So wie ein Kind 
das im Spiel über einen Stein stolpert
und dem es im Schmerz 
für einen Augenblick die Sprache verschlägt
so bin ich über dein Denkmal gestolpert
russische Sprache
Wien Schwarzenbergplatz Säulengang
im Zentrum die Figur des Soldaten
Februar 2022 beschließe ich 
über mein aufgeschlagenes Knie streichend
an dir – meiner so vertrauten zweiten Sprache –
stumm vorbeizugehen
viele Jahre hast du mich
gleich einer Mutter ihr gestürztes Kind
mit süßer Torte geködert
deine Schichten aus Größe Macht Gewalt 
sind mir zu bitter
ich schiebe dich zur Seite 
selektiver Mutismus nennt man es
nur dann zu sprechen
an selbstgewählten Orten
und mit wem man will
wieder und wieder rasselst du
inmitten der lauten Menge 
die immergleichen Sprüche
du hast nicht bemerkt 
deine Zeit auf den Plätzen läuft ab
1956 Budapest
Praha
Warszawa
Sofia 
2024 Kyiv – wohin?
die Fontäne vor deinem Abbild höher montiert
eine Wand hinter deinem Rücken installiert
die Steine gelb und blau angesprüht 
ein ermordetes Lächeln hinzugefügt
im Schatten deines Sockels 
wuchern Büsche Gras Felder 
hinkend trat ich in ihre Stille ein
und habe Schätze gefunden
Stöckchen für ein Feuer
kupfergrüne Käfer
Pirole in den Kronen
Muscheln Alter Hafen Marseille
Restaurant “Basso“
wilde Beeren 
Hasensprünge
und stöbernd traf ich 
auf die Lichtung meiner köstlichen Sprache
den Kescher in der Hand
vereinzelt Rehe

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Martina Jakobson: Betrachten und Zweifeln; es ist, als nähme ich eine Taschenlampe in die Hand und der helle Lichtschein der Sprache beleuchtet die Gegenwart und die Vergangenheit.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
MJ: Ich habe eine heimliche Leidenschaft, ich beobachte gern Menschen; im Café treffen die verschiedensten Charaktere aufeinander; und die Orte, wo sich die Cafés befinden oder auch nicht mehr befinden, erzählen Geschichten. In Wien gehe ich aber auch gern ins Kaffeehaus, weil die Auswahl an Torten vorzüglich ist. Als ich 2016 nach Wien gezogen bin, habe ich mich durch die verschiedensten Cafés mit Sachertorte durchgekostet. Und hier trifft man Freunde, um zu reden oder zu Lesungen, diese Tradition liebe und kenne ich auch noch aus meiner Heimatstadt Berlin.
Das Café Schwarzenberg suche ich auf, um in die Zeitgeschichte einzutauchen.  Von hier aus, an der Ringstraße, fällt der Blick in Sichtachse bis auf den Schwarzenbergplatz und das sogenannte Wiener „Russendenkmal“, das nach der Einnahme Wiens durch die Sowjetarmee 1945 errichtet wurde. Und selbst das Mobiliar des Cafés, ein großer Spiegel, trug bis in die 1970er Jahre die Spuren, etwa Sprünge und Einschusslöcher, weil sowjetische Offiziere hier feierten. Ein Kellner hat mir gezeigt, wo dieser Spiegel früher angebracht war, und so sitze ich heute in einem anderen Kontext in diesem Teil des Cafés.

Wo fühlst du dich zu Hause?
MJ: Zu Hause fühle ich mich eigentlich nirgends mehr, zu Hause ist für mich ein Moment, dort, wo ich die Winkel einer Stadt erkundet habe und diese später, gleich einem Hund mit seiner Spürnase wiedererkenne. Ich habe etwa längere Zeit in Marseille gelebt. Als ich am Quai des Belges den Ort des einstigen Restaurants „Basso“ gefunden hatte, das Walter Benjamin in „Haschisch in Marseille“ beschreibt, habe ich die darin beschriebene Atmosphäre anders verstanden. Deshalb beziehe ich mich in meinem Text „Es hat mir die Sprache verschlagen“ unter anderem auch auf diesen Ort.

 

BIO

Martina Jakobson, geboren 1966 in Ost-Berlin, wuchs in Moskau und Berlin zweisprachig in einer Familie mit russischen und ukrainischen Wurzeln auf. Sie ist Autorin, Pädagogin und Literaturübersetzerin aus dem Russischen, Belarussischen und Französischen. Seit 2016 lebt sie in Wien und im Südburgenland (Österreich). Sie ist Mitglied der IG Übersetzerinnen Übersetzer Wien, des Forum Mare Balticum sowie des PEN Berlin.
Ihr Lyrikband „Hier biegen wir ab“ erschien 2022 in der edition lex liszt 12.

Anicée Willemin | Brasserie de Montelly, Lausanne

Foto: Alain Barbero | Text: Anicée Willemin | Übersetzung aus dem Französischen: Yla von Dach

 

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Anicée Willemin: Die Literatur kann alles, die Poesie kann alles. Sie ist der einzige Ort absoluter Freiheit. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
AW: Die Cafés sind ein Katalysator, eine Art teilnehmendes Beobachten, das seinen Namen nicht nennt. Die Cafés sind ein Adjuvans. Manchmal sind sie das Leben selbst. Manchmal sind sie ein poetischer Moment. Manchmal nur ein blasser Abglanz. In jedem Fall laden sie zum Beobachten ein. Ein Beobachten ausserhalb seiner selbst und in sich selbst, wie ein tiefer Singsang, ein schwindelerregender Abstieg, eine nie endende Entropie.

Wo fühlst du dich zu Hause? 
AW: Ich fühle mich an gewissen Orten zu Hause, hauptsächlich aber in mir selbst, meiner grössten Zugangsquelle zur Aussenwelt. Wenn ich mich innerlich gut fühle, werde ich mich auch draussen gut fühlen. Dann fühle ich mich überall gut. Der Ort, an dem ich mich am meisten zu Hause fühle, ist jedoch die Poesie. 

 

BIO

Anicée Willemin ist a-ni-c. Sie ist und wird, was sie gerade wird. Getragen vom dröhnenden Atem des Absoluten hat sie den Blick vor allem auf poetisch-fragmentierte Räume gerichtet und ihre Musik genährt, während diese sie nährte. Sie kommt aus einem kleinen Juradorf und ist eine frische Vierzigerin, die sich durch Feld und Wiesen tollt und tummelt und ohne Unterlass das Leben ausprobiert, desgleichen das Leben des grünenden Schreibens. Ihr erster Gedichtband, Les balcons étaient comme des roses d’eau entêtantes (Die Balkone waren wie betörend duftende Wasserrosen) ist im März 2023 bei den Editions du Griffon in Neuenburg (Schweiz) erschienen.  

Laura Nußbaumer | Café Zehnsiebzig, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Laura Nußbaumer

 

Café 1070

Ob sie den Haselnuss-Latte haben, frage ich, weil er auf der Karte steht.
Nein, aber sie haben ein limitiertes Angebot für Vanille-Zimt-Latte, ob ich das ausprobieren will?
Ja, mit Sojamilch.
Ich trinke das limitierte Angebot ein paar Wochen lang, bis ich einmal um drei Uhr nachmittags auftauche, in der Hoffnung auf den Käse-Toast, aber sie haben jetzt neue Zeiten, und die Küche ist nach eins zu, also trinke ich nur wieder den limitierten Vanille-Zimt-Latte, der nicht auf der Karte steht.
Solange man darüber reden kann, und man kann ja drüber reden.
Ich frage, gibt es diesen Kaffee und man sagt freundlich, nein, und ich frage nach der Steckdose, aber sie wissen nichts davon und wir suchen gemeinsam und sie fragen, ob ich schon in die Karte geschaut habe, oder noch Zeit brauche, und ich schaue in die Karte, und da steht, Kuchen nach Auslage, oder so ähnlich.
Ich beschließe Sachertorte zu bestellen, die steht sogar in der Karte. Meine Freundin aus Graz berät mich, es ist aber keine wirkliche Sachertorte. Solang man darüber reden kann, stört mich das nicht.
Sie haben die Getränkekarte erweitert, aber immer noch trinke ich den Vanille-Zimt-Latte, der nicht ausgeschrieben ist.

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur? 
Laura Nußbaumer: Ziemlich viel. Literatur kann bewegen, natürlich. Literatur kann Fragen beantworten, Fragen aufwerfen. Ich will nicht vorgreifen, aber Literatur begleitet mich durch den ganzen Tag und hilft mir, mich überall ein bisschen zu Hause zu fühlen. Es kann viel Sicherheit geben, ein Buch oder auch Hörbuch an einem fremden Ort dabei zu haben. Ich lese auch dasselbe Buch mehrmals und ein vertrautes Buch dabeihaben hilft doppelt.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
LN: Cafés gehören für mich zum Sozialleben dazu. Ich treffe dort allerlei gut bekannte bis weniger bekannte Menschen für Austausch aller Art. Ich schreibe auch gerne in Cafés und mag den Hintergrundlärm beim Arbeiten, der hilft mir oft mich mehr zu konzentrieren als die Stille in der Wohnung. Ähnlich wie beim weißen Blatt, da hilft eine bekritzelte Seite oft auch mehr.

Wo fühlst du dich zu Hause?
LN: Die Bücher und Hörbücher helfen zwar unterwegs, aber wirklich zu Hause fühle ich mich eigentlich nur zu Hause. Ich schätze aber das Café 1070 sehr, wegen dem freundlichen Umgang und dem Vanille-Zimt-Latte natürlich.

 

BIO

Laura Nußbaumer, geboren 1997 in Bludenz, lebt und studiert seit 2018 in Wien und unterrichtet an einer Wiener Mittelschule. Ist Mitglied bei Literatur Vorarlberg, GAV und hat den Lehrgang „Schreibpädagogik“ beim BÖS abgeschlossen. Unterrichtet Schreibworkshops in Wien und Vorarlberg. Schreibt Prosa, Lyrik, satirische Zeitungsartikel (diezeitungsente.com) und kombiniert schreiben und zeichnen zu Blackout Poetry. Der Debütroman Riesendisteln beißen nicht (Edition fabrik.transit) ist 2023 erschienen.

Mamadou Mahmoud N’Dongo | Bar Bukowski, Amsterdam

Foto: Alain Barbero | Text: Mamadou Mahmoud N’Dongo | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Charles Bukowski (1920-1994) war der erste Schriftsteller, dessen Biographie ich las, als ich auf dem Gymnasium war. Eine pittoreske Figur der Westküste, Underground-Poet des Suffs, des Sex, Novellist und Erzähler des Gothisch-Absurden, ein Romancier des Lumpenproletariats. Ein großzügiger Schriftsteller, der sich der Selbstironie und des Humors bediente. Chronist des künstlerischen L.A. – so lernte ich durch ihn das Werk von John Fante kennen. Bukowski war der talentierte Porträtist eines anderen Amerikas aus Kneipengängern, himmlischen Pennern, ätherischen Schönheiten, wunderbar verkörpert von Faye Dunaway in dem großartigen Film Barfly von Barbet Schroeder, wo Mickey Rourke Chinaski ist, also Bukowski! 

Einige Jahrzehnte später, Freude und Überraschung, als ich in meinem neuen Viertel in Amsterdam die so passend benannte Bar Bukowski entdecke. 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Mamadou Mahmoud N’Dongo: Schlechte Schriftsteller machen 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
MMN: Es gibt eine Erzählung von Borges mit dem Titel „Das Aleph“,  in der man diesen Satz findet: „(…) und mir schwindelte und ich weinte, weil meine Augen dieses geheime und auf Vermutungen beruhende Objekt gesehen hatten, dessen Namen die Menschen sich aneignen, aber das nie ein Mensch geschaut hat: das unfassbare Universum. (…)“*
Ist es dir schon mal passiert, dass du durch ein Land, eine Stadt, ein Viertel oder auch nur durch eine Straße spazierst, und du zufällig um die Ecke biegst und auf ein Café triffst? Du siehst an seiner Architektur, seinem Licht, seinem Dekor und den Menschen, die dort sind, dass du nicht mehr in einer Straße, einem Viertel, einer Stadt oder einem Land bist, sondern dass dieses Café ein ganzes Universum ist, und manchmal, ich sage manchmal, hast du den Eindruck, die Figur, der Erzähler des „Aleph“ zu sein …, so kann dieses Café, diese Bar, eine Art „Horizont der Ereignisse“ sein; wenn du die Schwelle überschreitest, tauchst du ein!

Wo fühlst du dich zu Hause?
MMN: In meinem Innersten. 

 

BIO

Mamadou Mahmoud N’Dongo, 1970 im Senegal geboren, ist Schriftsteller, Dramaturg, Fotograf und französischer Filmemacher, der in Drancy und Amsterdam lebt. Seine ersten Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Berichte veröffentlichte er ab 1997. Neben seinem literarischen Werk ab 1991, wurde er Dokumentarfotograf und drehte experimentelle Filme. 

*Freie Übersetzung aus dem Spanischen El Aleph von Jorge Luis Borges (Seix Barral)

Isabella Breier | Käuzchen, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Isabella Breier

 

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Isabella Breier: Eine notwendigerweise verkürzte Antwort: Mit ein bisschen Glück ist Literatur – freilich im Rahmen ihrer (begrenzten) Möglichkeiten als „Kunst“, als eine gewisse „symbolische Form“ (Cassirer) – in der Lage, Menschen, die sich darauf einlassen, die Vielschichtigkeiten und Schönheiten sprachlicher Strukturen zu vermitteln. Des Weiteren kann sie Lesende dazu bringen, verschiedene Aspekte oder Ebenen oder Schichten unserer Wirklichkeiten „zusammenzudenken“, diverse Relationen wahrzunehmen und selbige vielleicht – übers konkrete Werk hinaus – besser verstehen zu wollen.  

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
IB: Schon als Schülerin liebte ich Aufenthalte in Cafés. In Wels, wo ich meine Jugend verbrachte, zelebrierte ich diese am allerliebsten mit meiner besten Freundin. Stundenlang saßen wir an unserem Nischentisch, nippten am Schwarztee und besprachen Gott, die Welt und vor allem uns selbst. Außerdem partizipierte ich an einer Art „Jour fixe“ – eine Gruppe miteinander befreundeter Teenager, die verschiedene Gymnasien o.Ä. besuchten, weswegen es nötig war, die jeweiligen Stundenpläne zu vergleichen, um uns verbindlich verabreden zu können. Unentschuldigt durfte man bei den im schönsten Kaffeehaus der Stadt stattfindenden Schulschwänz-Runden nicht fehlen.
Auch als nach Wien übersiedelte Studentin gehörte das Plaudern und Kartenspielen in (möglichst günstigen) Cafés oder Beisln vor, zwischen oder nach den Vorlesungen zum Alltag.

Wo fühlst du dich zu Hause?
IB: Ich fühle mich zum Beispiel in Wien, im nördlichen Waldviertel oder in Südmexiko (Oaxaca) zu Hause und oft auch unterwegs beziehungsweise sobald ich einen vor kurzem noch völlig fremden Ort ein wenig zu kennen vermeine und mir einbilde, dass sich eine „Vertrautheit“ entwickelt habe. An „Heimweh“ leide ich kaum, an „Fernweh“ viel öfter. (Zwar muss ich mich beständig vergewissern, dass es meinen Liebsten gut geht. Aber – zugegeben! – ich reise sehr gerne allein.) Was ich jedenfalls – überall – brauche, um „zu Hause“ zu sein, ist ein (temporärer) Rückzugsraum für mich selbst.

 

BIO

*1976 in Gmünd/NÖ; Diplomstudium (Philosophie/Germanistik) u. Doktoratsstudium (Philosophie) an der Universität Wien (2005: Dissertation zu Cassirer und Wittgenstein); Mitarbeit bei sozialistischen Organisationen sowie feministischen Initiativen; 2000: Geburt ihrer Tochter Hannah Medea; Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache; regelmäßige Aufenthalte in Südmexiko

http://www.literaturport.de/Isabella.Breier/

letzte literarische Publikationen:
– DesertLotusNest. Anmerkungen zur „Poetik des Phönix“. Bibliothek der Provinz. 2017
– mir kommt die Hand der Stunde auf meiner Brust so ungelegen, (…)
(Lyrik). fabrik.transit 2019
– Grapefruits oder Vom großen Ganzen (Groteske). fabrik.transit 2022/2023

Guillaume Métayer | Le Select Montparnasse, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Guillaume Métayer | Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Unterweger

 

Im Café Select

Ich sitze auf der Terrasse des Sélect, und es ist spät, sehr spät, als ich glaube zu sehen, dass eine kleine Nähmaschine auf dem Boden vorbeifährt. Ganz rund ist sie und winzig, nicht größer als der Bizeps eines kleinen Großmauls. Der Muskel bewegt sich, als ob nichts dabei wäre, im gleichmäßigen Rhythmus eines Reißverschlusses, eines Elektroautos, ohne je davon abzuweichen. Diese Gleichmäßigkeit ist seine Zauberformel für Unsichtbarkeit. Seine Vogel-Strauß-Politik. Ab und zu stoppt der Zipp, um dann ganz plötzlich wieder, aber ohne Ruck, weiterzufahren. Diese aufmerksame Schneiderin flickt da im Stillen, ganz auf ihre Arbeit konzentriert, etwas unter den Tischen, repariert ein Stück Welt im Hintergrund. Die Maschine erstarrt, fährt wieder los, wie ein Spielzeugauto, das sich selbst aufzieht. Sie erscheint ebenso erratisch wie regelmäßig, als ob der Mechanismus verrückt spielte. Andererseits wirkt sie alles andere als kaputt. Im Gegenteil, sie ist völlig glatt, von einem perfekten Hellgrau, ohne Muster. Von ihrem aufmerksamen, pünktlichen Hin-und-her geht eine Atmosphäre der Ruhe und Gelassenheit aus. Ich stelle mir vor, dass sie – indem sie immer eines nach dem anderen ansteuert: Stuhlbein nach Stuhlbein, dann die Körner des Langustenrisottos, das zur Kippe verkohlte Pommes, einen Krümel Brot –, etwas auf den Boden zeichnet, etwas, das nur von oben sichtbar ist. Sie erledigt die Arbeit einer unauffälligen Müllsammlerin wie ein automatisierter Staubsauger, und ich bin stolz darauf, diese Mischung aus Roboter und Klabauter wahrgenommen zu haben. Paris ist noch voll von diesen Kleinereignissen, diesen kleinen Wundern, Skandälchen, für die man wie eine müde Katze nur halb die Augen öffnet. Schon heute Morgen war ich da, in meinem Lieblingscafé: als der Angorakater des Besitzers, ein pensionierter Jäger, über die Bar-Relings von Tisch zu Tisch strolchte. Dieser Oger lungert zu dieser Stunde wohl irgendwo weiter oben herum, in einem der himmlischen Stockwerke dieses Feen-, dieses Kaffeehauses. Keinerlei Aufmerksamkeit schenkt er der potenziellen Beute hier, dem kleinen Däumling, der von Brösel zu Brösel segelt, um einen Großen Bären darzustellen, dessen schlaftrunkenem Faden ich zu folgen versuche, ohne daran zu glauben.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Guillaume Métayer: Alles, und zwar mehrfach. Sie kann die Welt erschaffen und wieder erschaffen, ohne Unterlass. Aber all das geschieht im Plural und im Konjunktiv, und das macht es erträglich.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
GM: Sie flößen mir ein bisschen Angst ein, wie Treibsand: die Angst, nicht mehr zu wissen, wo man zu Hause ist. Daher besuche ich sie nicht so häufig, wie ich wohl sollte. Natürlich trinke ich Kaffee mit Freunden und Kollegen, aber es ist nicht wirklich meine Gewohnheit, im Café zu arbeiten. Ich mag das Select, weil sein zeitloser Chic wie eine Nicht-Zeit wirkt, die Freundlichkeit seiner Kellner und die Abwesenheit von Musik wie ein Nicht-Ort. Ich fühle mich beschützt von dieser Zeitlosigkeit.

Wo fühlst du dich zu Hause?
GM: In gewissen Métro-Zügen, zu gewissen Jahreszeiten. Ich sitze und warte, bis die Bahn aus dem Untergrund steigt und wieder über der Seine schwebt, vorbei an den Haussmann’schen Balkonen… Dann drehe ich den Kopf, genau in jenem Moment, in dem in der Zahnlücke zwischen zwei Gebäuden der Taj Mahal des Montmartre als Silhouette auftaucht. Das billige Parfum, das in der Luft liegt, erinnert mich an die Sonntage meiner Jugend. In solchen Momenten gibt es nichts Komfortableres als einen Klappsitz.

 

BIO

Guillaume Métayer ist Lyriker, Übersetzer und Literaturhistoriker. Sein letzter Gedichtband, „Mains positives“, ist eben bei Rumeur libre éditions (2024) erschienen. Seine Texte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er selbst überträgt zahlreiche mitteleuropäische Stimmen ins Französische, sowohl zeitgenössische wie István Kemény, Aleš Šteger, Krisztina Tóth oder Andreas Unterweger als auch romantische und moderne wie Attila József, Ágnes Nemes Nagy, Sándor Petőfi sowie die Gedichte von Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer.

Philippe Remy-Wilkin | Le Relais Saint-Job, Brüssel

Foto: Alain Barbero | Text: Philippe Remy-Wilkin | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Das Relais de Saint-Job ist für mich der ideale Ort für Treffen und für die Aufhebung der Zeit, gleichermaßen streichelt es das Zentrum meines Dorfes, den Saint-Job-Platz, dieses Wunder der Heiterkeit und der Verwurzelung mitten im Zentrum, mein Montmartre für mich und für viele andere, dieses Paradies für Künstler und Bobos*, mit ihrer Kirche, ihren Schulen, ihrer Frittenbude und ihren gastronomischen Aushängeschildern. Wie eine Erweiterung meines Home sweet home 100 Meter weiter, ein Ort auf halbem Weg, und wie eine Schleuse zwischen Identität und Andersartigkeit. 
Ich widme mein Leben der Geschichte und den Geschichten, und sie strömen in dieser alten Poststation zusammen, sie laufen entlang der Balken, der Holzvertäfelung, der Fliesen und der Tische. Mehr noch: das Relais scheint meinen Sehnsüchten zu ähneln oder fasst sie zusammen, es metaphorisiert sie. Die Genüsse vergangener Zeit, aber Modernität und Eklektizismus; Anspruch, aber Treue und Komfort. Das freundliche Personal, das man gerne wiedersieht, die Bar im hinteren Teil mit ihren hohen Tischen und Hockern, der Festsaal, der Partyservice, die Terrasse frontal zum Platz, und die andere über den Dächern. Die frischen, immer wieder neuen Produkte, aber meine ewige Verbindung zum Wolfsbarschfilet oder zum Estragon-Hähnchen. 
Ich habe dort einen Blick auf Stars erhascht (Paul van Himst), mit Persönlichkeiten (Jacques De Decker, Albert-André Lheureux, Joëlle Maison, Jean-Marc Rigaux, Maxime Benoît-Jeannin, etc.), Eltern, Freunden, Kameraden, zu Mittag oder zu Abend gegessen. Hier wurden Eintritte in den Ruhestand und der Start neuer Projekte, Geburtstage und Wiedersehen gefeiert.
Und dieses göttliche Relais ist sieben Tage die Woche geöffnet, ab 12 Uhr wird man zu jeder Stunde empfangen. Brasserie-Küche, aber anspruchsvoll, sehr gut bewertet, ganz im Sinne unserer Gemeinde im Süden Brüssels, die Qualität ohne Tamtam den Zufälligkeiten der Moden und Gegen-Moden vorzieht. 

*Abkürzung für „bourgeois-bohème, ironisch, denn die andere Bedeutung für bobo ist „Wehwehchen“ (Anm. Übers.)

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Philippe Remy-Wilkin: Die Literatur erschien mir immer wie ein Weg zum Über-Leben. Die Wirklichkeit ist nicht mehr als ein Schein unter vielen, man kann genauso die Welten wählen, in denen man herumbummelt, die Gefährten, die sich dort einschleichen. Nichts existiert ganz ohne das Erzähltwerden, eine Intensivierung, eine „Metaphorisierung“. 

Wie wichtig sind Cafés für dich?
PRW: Die Cafés und Restaurants sind für mich Orte, in denen die Zeit aussetzt, und der Begegnung, fernab der Arbeit und der Zufälligkeiten des Lebens. Sie müssen ein Dekor, eine Atmosphäre bieten, die dafür gemacht sind, das Wohlbefinden zu maximieren. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
PRW: Zunächst in meinem Büro, auf der vierten von vier Ebenen unseres Wohnsitzes, isoliert, inmitten meiner Bücher und Unterlagen, wenn meine Augen über die sattgrüne Fläche gleitet, die bis über meine Straße geht, ihrem geheimnisvollen Gässchen und ihrem Bauwerk weiter oben, wo ich den Schatten der „Bates“ erahnen kann. Zum anderen sind da einige Orte außerhalb, die für mich ein süßes Gefühl der Harmonie widerspiegeln, das ich notwendigerweise als Paar erlebt habe, in Brügge, Damme, Linkebeek oder Beersel, in Le Coq oder in Tournai, in Saint-Véran oder Bonneval. 

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BIO

Philippe Remy-Wilkin, geboren in Brüssel während einer familiären Pause zwischen afrikanischen und hennuyèrischen Jahren, navigiert zwischen dem Appetit auf die große weite Welt und der Anziehungskraft seiner Wurzeln. Nach dem Philologie-Studium organisiert er sein Leben um das Schreiben herum, das er zwischen kreativem Schaffen und dessen Vermittlung teilt (bislang 19 Bücher und über 400 veröffentlichte Artikel). Im Jahr 2024 gibt er seine Radio-Chroniken auf, um Verleger zu werden, auf Anfrage von Edern éditions, die ihr Geschäftsmodell komplett verändern wollen.
http://philipperemywilkin.com

Rhea Krčmářová | Dorotheum Café, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Rhea Krčmářová

 

Zum Ersten / eine Buchrecherche-Entdeckung / ein touristenarmer Ruhepunkt / ein Blick / auf zu versteigernde Preziosen / auf Kumpfdrucke und / auf die Tortenvitrine / wo einmal ein Kloster war / trifft Bohdana auf Dorothea / im imperialen Erbe / ein Gottesgeschenk im Gottesgeschenk

Zum Zweiten / sitzen in und über wechselnder Kunstkulisse / käufliches Glitzern / nahezu okkult über den Dächern der Stadt / im Versatz- und Fragamt / unter den Sammlerpausen / die überhohen Räume des Pfandls / vielleicht Juwelen früh verstorbener Sängerinnen / oder im Glashof rare Asiatika / und auf der Empore / keine Rekordrufpreise für / die Ausrufung kaiserlicher Konditoreikünste   

Zum Dritten / Adrenalinüberreste / die herabsinken / auf Antiquitätenjäger und auf Frau Sensalin / katalogbeladen und schmökerwütig / ein Raten / was liegenbleiben wird / und ein Mindestgebot an siebenundzwanzig Kaffeespezialitäten / von denen ich keine einzige trinke / die Teegenießerin im Kaffeetempel / also auch hier / nichts wirklich Neues

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Rhea Krčmářová: Literatur kann: Neue Perspektiven aufzeigen / die eigenen Glaubenssätze, Überzeugungen, Narrative hinterfragen / unterhalten / ein Zufluchtsort sein / mit schönen Sätzen entzücken / Fragen im Innersten zum Keimen bringen / Worte finden für etwas, von dem man nicht einmal wusste, dass es in einem schlummert

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RK: Cafés werden manchmal als „home outside the home“ bezeichnet. Als jemand, die zum Schreiben Ruhe braucht, sind sie für mich keine Schreiborte, eher ausgelagerte Wohnzimmer, für Interviews und Recherchetreffen, für Lektoratsbesprechungen und als Überbrückungsorte mit Laptop und Buch. Ich liebe es, Lokale zu besuchen, die ich noch nicht kenne, und meine Entdeckungen dann mit Freundinnen und Freunden zu teilen – so auch das Café Dorotheum, in dem ich in den letzten Monaten immer wieder war. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
RK: Für mich ist zu Hause weniger ein physischer Ort als die Gegenwart von Menschen, mit denen ich lachen und diskutieren kann, die mich inspirieren und herausfordern, denen gegenüber ich mich öffne. Insofern bin ich überall und nirgendwo ein bisschen zu Hause …

 

BIO

Rhea Krčmářová (Krtsch-mar-scho-wa) ist Autorin und transmediale Textkünstlerin. Die Wienerin mit Prager Wurzeln studierte Gesang, Schauspiel und Theaterwissenschaften und ist Sprachkunst-Absolventin. Zahlreiche Preise und Stipendien, zuletzt Projektstipendium des BMKK, Jubiläumsstipendium der LiterarMechana und Arbeitsstipendium der Stadt Wien. 2023 Dramalab der Wiener Wortstaetten. Rhea schreibt Prosa, Theatertexte, Libretti, Essays und Lyrik (unter anderem auf Instagram) und experimentiert mit transmedialer Kunst, Videopoesie, Stickerei, Performance und Buchkunst.  2023 erschien ihr Roman MONSTROSA (Kremayr & Scheriau), 2024 erscheint ihr erster Gedichtband (Limbus).