Guillaume Métayer | Le Select Montparnasse, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Guillaume Métayer | Übersetzung aus dem Französischen: Andreas Unterweger

 

Im Café Select

Ich sitze auf der Terrasse des Sélect, und es ist spät, sehr spät, als ich glaube zu sehen, dass eine kleine Nähmaschine auf dem Boden vorbeifährt. Ganz rund ist sie und winzig, nicht größer als der Bizeps eines kleinen Großmauls. Der Muskel bewegt sich, als ob nichts dabei wäre, im gleichmäßigen Rhythmus eines Reißverschlusses, eines Elektroautos, ohne je davon abzuweichen. Diese Gleichmäßigkeit ist seine Zauberformel für Unsichtbarkeit. Seine Vogel-Strauß-Politik. Ab und zu stoppt der Zipp, um dann ganz plötzlich wieder, aber ohne Ruck, weiterzufahren. Diese aufmerksame Schneiderin flickt da im Stillen, ganz auf ihre Arbeit konzentriert, etwas unter den Tischen, repariert ein Stück Welt im Hintergrund. Die Maschine erstarrt, fährt wieder los, wie ein Spielzeugauto, das sich selbst aufzieht. Sie erscheint ebenso erratisch wie regelmäßig, als ob der Mechanismus verrückt spielte. Andererseits wirkt sie alles andere als kaputt. Im Gegenteil, sie ist völlig glatt, von einem perfekten Hellgrau, ohne Muster. Von ihrem aufmerksamen, pünktlichen Hin-und-her geht eine Atmosphäre der Ruhe und Gelassenheit aus. Ich stelle mir vor, dass sie – indem sie immer eines nach dem anderen ansteuert: Stuhlbein nach Stuhlbein, dann die Körner des Langustenrisottos, das zur Kippe verkohlte Pommes, einen Krümel Brot –, etwas auf den Boden zeichnet, etwas, das nur von oben sichtbar ist. Sie erledigt die Arbeit einer unauffälligen Müllsammlerin wie ein automatisierter Staubsauger, und ich bin stolz darauf, diese Mischung aus Roboter und Klabauter wahrgenommen zu haben. Paris ist noch voll von diesen Kleinereignissen, diesen kleinen Wundern, Skandälchen, für die man wie eine müde Katze nur halb die Augen öffnet. Schon heute Morgen war ich da, in meinem Lieblingscafé: als der Angorakater des Besitzers, ein pensionierter Jäger, über die Bar-Relings von Tisch zu Tisch strolchte. Dieser Oger lungert zu dieser Stunde wohl irgendwo weiter oben herum, in einem der himmlischen Stockwerke dieses Feen-, dieses Kaffeehauses. Keinerlei Aufmerksamkeit schenkt er der potenziellen Beute hier, dem kleinen Däumling, der von Brösel zu Brösel segelt, um einen Großen Bären darzustellen, dessen schlaftrunkenem Faden ich zu folgen versuche, ohne daran zu glauben.

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Guillaume Métayer: Alles, und zwar mehrfach. Sie kann die Welt erschaffen und wieder erschaffen, ohne Unterlass. Aber all das geschieht im Plural und im Konjunktiv, und das macht es erträglich.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
GM: Sie flößen mir ein bisschen Angst ein, wie Treibsand: die Angst, nicht mehr zu wissen, wo man zu Hause ist. Daher besuche ich sie nicht so häufig, wie ich wohl sollte. Natürlich trinke ich Kaffee mit Freunden und Kollegen, aber es ist nicht wirklich meine Gewohnheit, im Café zu arbeiten. Ich mag das Select, weil sein zeitloser Chic wie eine Nicht-Zeit wirkt, die Freundlichkeit seiner Kellner und die Abwesenheit von Musik wie ein Nicht-Ort. Ich fühle mich beschützt von dieser Zeitlosigkeit.

Wo fühlst du dich zu Hause?
GM: In gewissen Métro-Zügen, zu gewissen Jahreszeiten. Ich sitze und warte, bis die Bahn aus dem Untergrund steigt und wieder über der Seine schwebt, vorbei an den Haussmann’schen Balkonen… Dann drehe ich den Kopf, genau in jenem Moment, in dem in der Zahnlücke zwischen zwei Gebäuden der Taj Mahal des Montmartre als Silhouette auftaucht. Das billige Parfum, das in der Luft liegt, erinnert mich an die Sonntage meiner Jugend. In solchen Momenten gibt es nichts Komfortableres als einen Klappsitz.

 

BIO

Guillaume Métayer ist Lyriker, Übersetzer und Literaturhistoriker. Sein letzter Gedichtband, „Mains positives“, ist eben bei Rumeur libre éditions (2024) erschienen. Seine Texte wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Er selbst überträgt zahlreiche mitteleuropäische Stimmen ins Französische, sowohl zeitgenössische wie István Kemény, Aleš Šteger, Krisztina Tóth oder Andreas Unterweger als auch romantische und moderne wie Attila József, Ágnes Nemes Nagy, Sándor Petőfi sowie die Gedichte von Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer.

Philippe Remy-Wilkin | Le Relais Saint-Job, Brüssel

Foto: Alain Barbero | Text: Philippe Remy-Wilkin | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Das Relais de Saint-Job ist für mich der ideale Ort für Treffen und für die Aufhebung der Zeit, gleichermaßen streichelt es das Zentrum meines Dorfes, den Saint-Job-Platz, dieses Wunder der Heiterkeit und der Verwurzelung mitten im Zentrum, mein Montmartre für mich und für viele andere, dieses Paradies für Künstler und Bobos*, mit ihrer Kirche, ihren Schulen, ihrer Frittenbude und ihren gastronomischen Aushängeschildern. Wie eine Erweiterung meines Home sweet home 100 Meter weiter, ein Ort auf halbem Weg, und wie eine Schleuse zwischen Identität und Andersartigkeit. 
Ich widme mein Leben der Geschichte und den Geschichten, und sie strömen in dieser alten Poststation zusammen, sie laufen entlang der Balken, der Holzvertäfelung, der Fliesen und der Tische. Mehr noch: das Relais scheint meinen Sehnsüchten zu ähneln oder fasst sie zusammen, es metaphorisiert sie. Die Genüsse vergangener Zeit, aber Modernität und Eklektizismus; Anspruch, aber Treue und Komfort. Das freundliche Personal, das man gerne wiedersieht, die Bar im hinteren Teil mit ihren hohen Tischen und Hockern, der Festsaal, der Partyservice, die Terrasse frontal zum Platz, und die andere über den Dächern. Die frischen, immer wieder neuen Produkte, aber meine ewige Verbindung zum Wolfsbarschfilet oder zum Estragon-Hähnchen. 
Ich habe dort einen Blick auf Stars erhascht (Paul van Himst), mit Persönlichkeiten (Jacques De Decker, Albert-André Lheureux, Joëlle Maison, Jean-Marc Rigaux, Maxime Benoît-Jeannin, etc.), Eltern, Freunden, Kameraden, zu Mittag oder zu Abend gegessen. Hier wurden Eintritte in den Ruhestand und der Start neuer Projekte, Geburtstage und Wiedersehen gefeiert.
Und dieses göttliche Relais ist sieben Tage die Woche geöffnet, ab 12 Uhr wird man zu jeder Stunde empfangen. Brasserie-Küche, aber anspruchsvoll, sehr gut bewertet, ganz im Sinne unserer Gemeinde im Süden Brüssels, die Qualität ohne Tamtam den Zufälligkeiten der Moden und Gegen-Moden vorzieht. 

*Abkürzung für „bourgeois-bohème, ironisch, denn die andere Bedeutung für bobo ist „Wehwehchen“ (Anm. Übers.)

 


Interview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Philippe Remy-Wilkin: Die Literatur erschien mir immer wie ein Weg zum Über-Leben. Die Wirklichkeit ist nicht mehr als ein Schein unter vielen, man kann genauso die Welten wählen, in denen man herumbummelt, die Gefährten, die sich dort einschleichen. Nichts existiert ganz ohne das Erzähltwerden, eine Intensivierung, eine „Metaphorisierung“. 

Wie wichtig sind Cafés für dich?
PRW: Die Cafés und Restaurants sind für mich Orte, in denen die Zeit aussetzt, und der Begegnung, fernab der Arbeit und der Zufälligkeiten des Lebens. Sie müssen ein Dekor, eine Atmosphäre bieten, die dafür gemacht sind, das Wohlbefinden zu maximieren. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
PRW: Zunächst in meinem Büro, auf der vierten von vier Ebenen unseres Wohnsitzes, isoliert, inmitten meiner Bücher und Unterlagen, wenn meine Augen über die sattgrüne Fläche gleitet, die bis über meine Straße geht, ihrem geheimnisvollen Gässchen und ihrem Bauwerk weiter oben, wo ich den Schatten der „Bates“ erahnen kann. Zum anderen sind da einige Orte außerhalb, die für mich ein süßes Gefühl der Harmonie widerspiegeln, das ich notwendigerweise als Paar erlebt habe, in Brügge, Damme, Linkebeek oder Beersel, in Le Coq oder in Tournai, in Saint-Véran oder Bonneval. 

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BIO

Philippe Remy-Wilkin, geboren in Brüssel während einer familiären Pause zwischen afrikanischen und hennuyèrischen Jahren, navigiert zwischen dem Appetit auf die große weite Welt und der Anziehungskraft seiner Wurzeln. Nach dem Philologie-Studium organisiert er sein Leben um das Schreiben herum, das er zwischen kreativem Schaffen und dessen Vermittlung teilt (bislang 19 Bücher und über 400 veröffentlichte Artikel). Im Jahr 2024 gibt er seine Radio-Chroniken auf, um Verleger zu werden, auf Anfrage von Edern éditions, die ihr Geschäftsmodell komplett verändern wollen.
http://philipperemywilkin.com

Rhea Krčmářová | Dorotheum Café, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Rhea Krčmářová

 

Zum Ersten / eine Buchrecherche-Entdeckung / ein touristenarmer Ruhepunkt / ein Blick / auf zu versteigernde Preziosen / auf Kumpfdrucke und / auf die Tortenvitrine / wo einmal ein Kloster war / trifft Bohdana auf Dorothea / im imperialen Erbe / ein Gottesgeschenk im Gottesgeschenk

Zum Zweiten / sitzen in und über wechselnder Kunstkulisse / käufliches Glitzern / nahezu okkult über den Dächern der Stadt / im Versatz- und Fragamt / unter den Sammlerpausen / die überhohen Räume des Pfandls / vielleicht Juwelen früh verstorbener Sängerinnen / oder im Glashof rare Asiatika / und auf der Empore / keine Rekordrufpreise für / die Ausrufung kaiserlicher Konditoreikünste   

Zum Dritten / Adrenalinüberreste / die herabsinken / auf Antiquitätenjäger und auf Frau Sensalin / katalogbeladen und schmökerwütig / ein Raten / was liegenbleiben wird / und ein Mindestgebot an siebenundzwanzig Kaffeespezialitäten / von denen ich keine einzige trinke / die Teegenießerin im Kaffeetempel / also auch hier / nichts wirklich Neues

 


Kurzinterview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Rhea Krčmářová: Literatur kann: Neue Perspektiven aufzeigen / die eigenen Glaubenssätze, Überzeugungen, Narrative hinterfragen / unterhalten / ein Zufluchtsort sein / mit schönen Sätzen entzücken / Fragen im Innersten zum Keimen bringen / Worte finden für etwas, von dem man nicht einmal wusste, dass es in einem schlummert

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
RK: Cafés werden manchmal als „home outside the home“ bezeichnet. Als jemand, die zum Schreiben Ruhe braucht, sind sie für mich keine Schreiborte, eher ausgelagerte Wohnzimmer, für Interviews und Recherchetreffen, für Lektoratsbesprechungen und als Überbrückungsorte mit Laptop und Buch. Ich liebe es, Lokale zu besuchen, die ich noch nicht kenne, und meine Entdeckungen dann mit Freundinnen und Freunden zu teilen – so auch das Café Dorotheum, in dem ich in den letzten Monaten immer wieder war. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
RK: Für mich ist zu Hause weniger ein physischer Ort als die Gegenwart von Menschen, mit denen ich lachen und diskutieren kann, die mich inspirieren und herausfordern, denen gegenüber ich mich öffne. Insofern bin ich überall und nirgendwo ein bisschen zu Hause …

 

BIO

Rhea Krčmářová (Krtsch-mar-scho-wa) ist Autorin und transmediale Textkünstlerin. Die Wienerin mit Prager Wurzeln studierte Gesang, Schauspiel und Theaterwissenschaften und ist Sprachkunst-Absolventin. Zahlreiche Preise und Stipendien, zuletzt Projektstipendium des BMKK, Jubiläumsstipendium der LiterarMechana und Arbeitsstipendium der Stadt Wien. 2023 Dramalab der Wiener Wortstaetten. Rhea schreibt Prosa, Theatertexte, Libretti, Essays und Lyrik (unter anderem auf Instagram) und experimentiert mit transmedialer Kunst, Videopoesie, Stickerei, Performance und Buchkunst.  2023 erschien ihr Roman MONSTROSA (Kremayr & Scheriau), 2024 erscheint ihr erster Gedichtband (Limbus).

Peter Hodina | Pasticceria Duca D’Este, Ferrara

Foto: Alain Barbero | Text: Peter Hodina

 

Es ist mehr ein Zufall, dass wir die Pasticceria Duca D‘Este hier in Ferrara ausgesucht haben. Der Regenschauer hat uns hereingetrieben. Außer uns sind während der Siesta keine Gäste zu sehen: um so besser lässt sich parlieren, inszenieren und fotografieren. Die Einrichtung ohne Gäste hat etwas direkt schon Brutalistisches. Auch wie ich hier sitze, ein dunkles Bier nach dem anderen trinkend, ist unverstellt, nicht gestellt. Oder ich bin gestellt, wie ich leibe und lebe. Wenn ich Cafés alleine besuche, dann immer nur so zwischendurch und ungeplant. 

Blicken wir aus dem Fenster, steht allerdings sogleich ein Lieblingsbauwerk von mir vor unseren Augen: das von einem Wassergraben umgebene Castello Estense, das den Ferrareser Herzögen als Residenz diente, worauf auch der Name unseres Cafés anspielt. Dieses imposante Bauwerk findet sich insbesondere auf Gemälden von Giorgio de Chirico, dem Hauptvertreter einer Pittura metafisica. 

Ich wandere abends gerne um diese roten Mauern herum und komme aus dem Staunen nicht heraus. Es ist für mich ein Symbol des erratischen, zeitenüberdauernden Beharrens. Von diesem Bauwerk will ich mir etwas für ein eigenes Werk abschauen: es ist das Symbol meines eigenen künftigen philosophischen Buches, das ich umkreise. Ich blicke zur Turmuhr hinauf, wie spät es für mich ist. Charles Dickens mochte das Castello nicht, das er „eine finster dräuende Stadt für sich allein“ nannte. Das Denkmal für Savonarola, der 1452 in Ferrara geboren wurde, komplettiert diesen Eindruck. 

Neulich hatte ich einen Traum, in dem der kinderlos gebliebene Herzog Borso d’Este mich erfahren ließ: „Was du in dir mitbrachtest an Bedrückendem, deine alte Leier zählt hier nicht im Umkreis meines Szepters. Magst es Utopie nennen, nachträgliche. Nie fühlte sich ein Herrscher in seinem Schuhwerk wohler.“

Am Vorplatz steht eine alte Kanone, auf der ich schon als Zwölfjähriger hinaufkletterte und feststellen musste, dass das Rohr vorne verschlossen war. Auch wollte ich mir unbedingt damals einen der runden Steine vom Pflaster herausbrechen, als wären diese Steine ganz besondere Leckerbissen. Noch heute hege ich den gleichen Appetit auf sie; ich begnüge mich jedoch damit, sie nur zu fotografieren.

 


Kurzinterview mit dem Autor

Was kann Literatur?
Peter Hodina: Alles und nichts. Und etliches dazwischen. Ich möchte diese Frage unbescheiden und tendenziell viel optimistischer als für gewöhnlich beantworten. Österreich ohne Thomas Bernhard wäre ein anderes. 
Vielleicht hat sie auch potentielle Unholde an sich so sehr gebunden, dass wir weiter nichts von ihnen wissen. Insofern könnte die Literatur destruktive Kräfte neutralisiert haben. Sie wurden dann Leser statt Täter. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
PH: Keine so überaus große. Ich würde mich niemals mit meinem Notebook sichtbar für alle in meinem Stammcafé aufpflanzen, um zu zeigen, dass ich arbeite. Ich habe nicht einmal ein Stammcafé. 

Wo fühlst du dich zu Hause? 
PH: Dort, wo mir das Fällen eines Baumes oder der Abriss eines alten Hauses persönlich nahegeht. Wo ich in den Nächten viele Stunden wachliege, um das Verlorene in mir zu rekonstruieren. Ich kann den Rest meines Lebens darüber traurig sein, wenn eine Wurzel am Waldweg, über die ich als Kind mit meiner Großmutter klettern musste, nach Jahrzehnten beseitigt wurde. Oder jener Baum, der ein Fahrverbotsschild überwachsen hatte, das wie ein Auge aus Rindenlidern hervorblinzelte.

 

BIO

Peter Hodina, am Neujahrstag 1963 geboren. Lebt in Salzburg, Berlin, Silberwald und Wien. 
Buchveröffentlichungen: 
Steine und Bausteine 1-3, Berlin: Avinus, 2009-2014. 
Sternschnuppen über Hyrkanien, St. Wolfgang/Wien: Edition Art Science, 2012. 
Spalier der Farne. Notate, Wien: Fabrik.Transit, 2022.

Muriel Augry | Les Éditeurs, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Muriel Augry | Übersetzung aus dem Französischen: Daniela Gerlach 

 

Saint-Germain des Prés, der Boul‘Mich, das sind unweigerlich die Viertel der Universitätsjahre, Tage, ebenso verrückt wie lernintensiv, ebenso lernintensiv wie verrückt … Jahre der Begegnungen, der Entdeckung eines Anderswo, eines Anderen.
Es ist der Heißhunger auf Bücher, der in der Bibliothek verbrachten Stunden und dann der „Diabolo Minz“ am Ausgang, an der Ecke eines Tisches, damit sich Das Buch in der Mitte entfalten  lässt. 
„Les Editeurs“ (Die Verleger), ein Café mit einem Namen, der zum Träumen einlädt. Verlegt werden, gelesen werden … Seit meinem achten Lebensjahr, in meiner Grundschule in der Pariser Vorstadt, der Wunsch die Worte aneinanderzureihen, sie aufs Papier zu betten, Wunsch, unterstützt von der Lehrerin, die mich mit einem Buch belohnte, wenn ich die geforderte Aufgabe fertig hatte, vor den anderen Schülern. Wachsender Wunsch, sie  weiterleben zu lassen, sie mit anderen zu teilen, sie flügge werden zu lassen.
Jahre später, Paris, Ort der geschäftlichen Besprechungen, der Familientreffen. Die Hauptstadt am Scheideweg so vieler Wege. Wie viele besuchte Orte, durchreiste Länder, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden.  
In Paris sein, so umringt und so allein, die Gegensätze kombinieren. Zwischen einer Passion und einer anderen leben. Die Monotonie ablehnen und schreiben. Schreiben. 

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Muriel Augry: Ich würde gerne sagen, dass Literatur alles kann. Ich möchte daran glauben. Aber das hängt damit zusammen, welche Achtung wir ihr entgegenbringen. Für mich ist sie ein Credo. Sie begleitet mich seit jeher. Sie ist eine treue Begleiterin, die mich niemals enttäuscht. Die Literatur vermittelt eine Lehre, Literatur regt uns an, unseren kritischen Geist zu schärfen, Literatur unterhält und lädt uns zu einem räumlichen und zeitlichen Tapetenwechsel ein. Derjenige, der nicht mit ihr verkehrt, der hat einen Mangel in seinem Leben. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich? 
MA: Sie sind von entscheidender Bedeutung für mich. Ich habe viele Jahre im Ausland gelebt, gearbeitet und habe immer Cafés gesucht: dieser Ort der Pause an einem gut gefüllten Tag, dieser Ort des Lebens, unordentlich. Ich gehe am liebsten allein hin und lerne dann meine Tischnachbarin, meinen Tischnachbarn kennen. Ich kann mich dort perfekt zurückziehen, wie in einer Blase, die ich kreiere. Im Café schreibe ich kurze Texte, oft Poesie …

Wo fühlst du dich zu Hause? 
MA: Ich habe nicht wirklich ein „Zuhause“. Oder eher zahlreiche Zuhause. Es sind die Städte, in denen ich gewohnt habe, in Europa, in Afrika. Wo ich schöne Freundschaften geschlossen habe. Wo ich mich wohl fühle. Ich bin eine Erbin Stendhals — Uni bene, ibi patria (Wo es einem gut geht, ist die Heimat). Es kann also hier oder dort sein. Dort, wo man die stärkste Affinität von Herz und Geist spürt … und damit sind wir wieder bei der Literatur! 

 

BIO

Muriel Augry hat zwei Leidenschaften: das Reisen und das Schreiben. Sie wohnt zurzeit in Paris, nachdem sie im Bereich der „kulturellen Diplomatie“ in Italien, Marokko und  Rumänien arbeitete und an der Universität Turin lehrte. Sie publizierte etwa zehn poetische Anthologien in Zusammenarbeit mit Kunstmalern. Sie erhielt den Preis der „l’Académie française“ für ihren Essay Le cosmopolitisme dans les textes courts de Stendhal et Mérimée und den Vénus Khoudry Ghata-Preis der Poesie für den Bildband Les lignes de l’attente. 

Mieze Medusa & Markus Köhle | Cafe C.I. – Club International, Wien

Foto: Alain Barbero | Text: Mieze Medusa & Markus Köhle

 

Tee-Tête-à-Tête im C. I. mit Mieze Medusa and me

Nie Tee. Tee nie. Kaffee, Bier, Wasser. Auch C. I.-Toast, Pommes und Spinatstrudel. Aber nie Tee. Tee nie. Justament ein schwacher Teemoment geht jetzt ein in die Geschichte. Ja, mehr noch, ist Bild geworden. Köhle mit Tee. Das bleibt für immer picken. Köhle mit Tee im C. I. Ist er krank? Köhle beim Tee-Tête-à-Tête mit Mieze Medusa. Was soll das? Die Macht der Bilder ist groß, die macht der Worte nicht minder. Die Nacht der Biere ist lang, die Zeit des Tees im Kommen oder doch vorbei? Ist an- oder ausgeteet? Das geht nur uns was an.

Was redet der Mann vom Tee? Er hat ihn doch selbst bestellt!

Wir stehen nicht auf Statussymbole. Wir stehen nicht auf Eigenheim mit Garten, Zaun und Carport. Lieber Hallenbad als Pool. Lieber Leihladen, als alle Geräte selbst im Keller. Lieber Bücherei, als übervolles Bücherregal … 
Moment! Das stimmt so nicht. 
Wir leben extra im Altbau, damit die Bücherregale Platz haben bis zur Decke. Aber wenn sie uns dann wieder auf den Kopf zu fallen drohen, gehen wir ins Kaffeehaus. Alleine oder zu zweit oder mit anderen. Wahrscheinlich mit mehr als einem Buch und mindestens einem Notizbuch in der Tasche. Uns gegenseitig anschweigen. 
Ich lese, er schreibt. 
Er denkt nach, ich notiere mir was. 
Einer hat immer ein Manuskript dabei … Na, wo ist er denn, der Rotstift?
Stadt ist auch Luxus! Man muss nicht für jedes Zimmer, das man braucht, Miete zahlen. Mit dem Geplauder der anderen im Ohr sind wir herrlich allein. Es gibt ein Umfeld an Gedanken, Gesprächen und Getränken. 
Ich persönlich mag Tee. Immer schon. Markus hat dafür ein paar Jahrzehnte gebraucht. Aber es stimmt: Im C.I. trinken wir wirklich nur Tee, wenn es sein muss. Wenn wir gesund durch den Herbst kommen wollen. Damit es sich ausgeht, das Ja auf die Frage: „Und davon kann man leben?“

 


Kurzinterview mit den AutorInnen

Was kann Literatur? 
Markus Köhle: Flexen, schweißen, kitten.
Mieze Medusa: Kommt drauf an, was man von ihr braucht.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich / euch?
MK: Je nach dem, wann-wo ich bin, dies-das brauche, eine hochhaushohe oder mauslochkleine. 
MM: Alleine was trinken gehen, als Frau: Manchmal immer noch ein Akt der Rebellion in den Augen der Leute, die blöd schauen wollen. Ich werde mir diese Freiheit den Rest meines Lebens nicht nehmen lassen.

Wo fühlst du dich / euch zu Hause?
MK: Da, wo ich die Schuhe ausziehen kann.
MM: Da, wo ich ein paar Bücher ins Regal stelle und den Laptop hinstelle. Es hilft, wenn drumherum eine Großstadt ist.

 

BIO

Markus Köhle schreibt, um gehört zu werden: www.autohr.at
Er ist Schriftsteller, Literaturarbeiter, Sprachinstallateur und der Papa Slam Österreichs. Er schreibt für jung und alt, macht E- und U-Literatur, veranstaltet und moderiert seit über 20 Jahren Poetry Slams und das Innsbrucker Prosa Festival, betreibt das Autor*innenprojekt „Retrogranden aufgefrischt“ in der Alten Schmiede in Wien und ist Redakteur der Literaturzeitschrift DUM (www.dum.at). Zuletzt erschienen: Das Dorf ist wie das Internet, es vergisst nichts (Roman, Sonderzahl 2023).

Mieze Medusa ist Autorin, Rapperin und Pionierin der österreichischen Poetry Slam Szene. Sie steht seit 2002 auf internationalen Bühnen und hat ihren MC-Namen in die Prosa mitgenommen. Ihr Debütroman „Freischnorcheln“ erschien 2008, seitdem hat sie Prosa, aber auch Sammlungen von Slam Texten und Tonträger des HipHop-Duos „mieze medusa & tenderboy“ publiziert und sonst auch allerhand. Sie organisiert und moderiert Poetry Slams in Österreich, als aktive Slammerin reist sie nicht nur nach Deutschland und in die Schweiz, ihre Spoken Word Performances haben sie schon bis nach Shanghai geführt.
Zuletzt: „Was über Frauen geredet wird“ (Roman, Residenz Verlag 2022) und „Die Krise schreibt man nicht mit langem „i“, auch wenn sie riesengroß ist“ (Slamtexte gemeinsam mit Yasmin Hafedh, Lektora Verlag 2023)
www.miezemedusa.com 

Elke Steiner | Brixton House, Bratislava

Foto: Alain Barbero | Text: Elke Steiner

 

Drüben

Der Geometrie entkommen. Der Vorstellung, eine Gerade sei die einfache Lösung einer Berechnung wie Kalkulieren von Balken. Angsteinflößende Balken als Maß aller Dinge und denken wir kurz an den Unterschied. Wie das so ist, wenn man sich eingeengt fühlt von Begrenzungen, Schranken oder zwei Kindheiten später einfach ein Ticket lösen und sagen: Bratislava, ahoi!
Neue Linien finden heißt freihändig zeichnen, Verbindungen ohne Berechnung, wie schwappende Nachmittage zwischen zwei Städten, schlängelnde Bahnverbindung ohne Schwellen, Kontrollen und wie ein Versprechen von Charme. Eine Reise in eine gemeinsame Vergangenheit, in eine stattliche Schönheit, Barock oder kopfsteingepflasterte Gässchen, später Gedichte.
Trennlinien ziehen wie Zäune, wie zumachen, gewaltsam verteidigen und eine Sprache der Spaltung sprechen oder: Andere Positionen bestimmen. Linienliebe, wie Bahnlinienliebe, geradezu eine Zuganbetung und dann aus allen Richtungen kommen. Wir trinken Tee mit Lavendel und Honig.
Der Geometrie entkommen. Der Vorstellung, in einer Ecke (Drei! Länder! Ecke!) wäre es eng. Sie sei dunkel und kantig, sei ein begrenzter Raum, bei jeglicher Annäherung sei allerhöchste Vorsicht geboten und denken wir kurz an den Unterschied. Wie das so ist, wenn man sich eingeengt fühlt oder zwei Kindheiten später den Himmel kopieren, er hat keine Balken.

Gefördert vom Land Burgenland.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Elke Steiner: Literatur wirkt auf mich stärkend in allen Belangen. Sie ist ein Trainingslager für meinen Geist, ein Bootcamp und manchmal ein Spa. 

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
ES: Es gibt keinen Aufenthalt in einer Stadt ohne Kaffeehausbesuch. Ich entdecke gerne neue Kaffeehäuser, aber ich liebe auch die alteingesessenen Wiener Kaffeehäuser, die murmelnde und klappernde Geräuschkulisse, die Mehlspeisen. Ich reserviere mir oft ein bis zwei Stunden, um an einem Text zu schreiben, das funktioniert ganz gut, vorausgesetzt, es steht eine große Schnitte – im Idealfall mit viel Zuckerschaum – und ein Verlängerter vor mir. Innerhalb weniger Minuten ist der Teller leer, dann tauche ich ab. 

Wo fühlst du dich zu Hause?
ES: In meinen Texten. Durch eine unsichtbare Tür gehe ich hinein und bewege mich durch die Räume, dort bin ich allein und kann in aller Ruhe Möbel verrücken, träumen oder meine Figuren beobachten.

 

BIO

Elke Steiner lebt und arbeitet als Autorin, Schreibpädagogin und Literaturvermittlerin im Burgenland und in Wien. Sie ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung, im Literaturkreis Podium und beim Berufsverband Österreichischer Schreibpädagog:innen. Sie hält Workshops für Kreatives Schreiben für Erwachsene und Kinder.
Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Anthologien und im Hörfunk. Ihre beiden Romane „Über das Licht gedreht“ und „Die Frau im Atelier“ erschienen 2018 und 2021 in der edition keiper. Im Herbst 2024 erscheint der Lyrik-Krimi „hast dein Federkleid gelöscht“ in der edition lex liszt 12.

Bessora | La Demeure Monceau, Paris

Foto: Alain Barbero | Text: Bessora | Übersetzung aus dem Französischen: Georg Renöckl

 

Marco Polo und ich

Wie sein Name nicht vermuten lässt, ist Marco Polo ein Tee. Schwarz, grün oder weiß wird er in den Cafés serviert, um Sie zu einem unbeweglichen Globetrotter zu machen. Seine Aromen von Blumen und Früchten aus China und Tibet verwandeln Sie in einen kaiserlichen Abgesandten in Zentralasien. Wie Marco Polo sind Sie nun Botschafter des Papstes in China, abendländischer Reisender vor dem Ewigen und vor dem großen Kublai Khan.
Das alles, ohne den Hintern von Ihrem Sessel zu bewegen.
Ihr kleiner Arsch hat es schön warm in den gepolsterten Sesseln der Demeure Monceau, Paris. Dieses Restaurant nimmt Sie in eine andere Zeit mit, ins neunzehnte Jahrhundert, mit den Tönen eines bürgerlichen Hauses, in dem Marco Polo seine Reiseberichte vortragen könnte. Nur, dass er seit 1324 tot ist.
Also gut, Winter 2023, ihre Hände werden von einem Vintage-Teapot aus den 30ern gewärmt, den schmerzlich vermissten, so photogenen 1930er Jahren.
In der Teekanne zieht der marvellous fruity & flowery black tea, voll wehmütiger Erinnerung an bestimmte Zeiten und vielleicht bestimmte Vorherrschaften. Wie soll man dem netten Fotografen gegenüber eine Pause machen, der sich so bemüht, Ihr Porträt aufzunehmen?
Sich daran erinnern, dass man einst die Cafés mochte.
Dort den Großvater treffen, der dort seine gewohnte Kartenrunde hatte, mit seinen Freunden, den Stammgästen. Es war entweder das Dôme oder die Bergerie, neben dem Laden der Großeltern.
Wir tranken eine Limonade, Sinalco, Grapillon oder Rivella.
Als Jugendliche gingen wir in die Rhumerie, das chemische Orangenfanta färbte einem die Zunge. Hin und wieder geselliges Zusammensein in einer Kaschemme in Cap Lopez mit Freunden, die sich mit Reisschnaps oder Palmwein besoffen.
Später, in den Cafés des Abendlandes von Marco Polo, wundern sich Arglose: Tu trinkst nichts? Warum… bist du Muslimin?
Nein.
Wir sind gar nichts. Aber jemand, der nicht trinkt UND dessen Haut zu braun ist, gibt den idealen Verdächtigen für islamistische Tendenzen ab. Vor allem, wenn er einen Lindenblütentee bestellt. Sehr eigenartig.
Und unversehens wird das Café zum Banner der Zivilisation gegen die Barbarei. Der Barbar, das ist die Kanakenfresse, die nicht ins Café geht und die Kräutertee trinkt.

 


Interview mit der Autorin

Was kann die Literatur machen?
Bessora: Nicht viel, aber das ist besser als nichts.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
B: Ich mag sie nicht mehr besonders. Aber ich habe sie auch nicht völlig von der Karte gelöscht. Meine Großtante betrieb ihr ganzes Leben lang ein Café-Restaurant. Und ich habe sie zu oft im Nyfnegger in Lausanne getroffen, als dass das Motiv „Café“ aus meinem Leben verschwinden könnte. Vor allem hat sie mir Bonbons geschenkt. Sugus-Kaubonbons. What else.

Wo fühlst du dich zuhause ?
B: Dort, wo ich bin.

 

BIO

Bessora veröffentlicht seit 25 Jahren Literatur, Jugendbücher und Comics, und sie schreibt für Persönlichkeiten, die Zeugenberichte und Dokumentationen verfassen. Sie sitzt auch der Nationalen Gewerkschaft der Autoren und Komponisten vor (Syndicat National des Auteurs et des Compositeurs, SNAC).
Ihr vorletzter Roman Les Orphelins (Lattès-Harper Collins) wurde auf Deutsch übersetzt (Ihr werdet glücklich sein, Peter Hammer Verlag).
Neuester Roman: Vous, les ancêtres  (Lattès, Harper Collins)
Preise und Auszeichnungen : Best European Fiction 2016, English Pen 2016, Grand Prix Filiga d’Honneur 2022, Chevalier des Arts et des Lettres 2022, Prix Kourouma 2024, Prix Suisse de Littérature 2024.

Karin Peschka & Marianne Jungmaier | Eferdinger Gastzimmer, Eferding

Foto: Alain Barbero | Text: Karin Peschka & Marianne Jungmaier

 

aus alter Geschichte
in Zeiten des Dunkels
ein Spiegel
tritt hervor

Die erste Begegnung im Oktober 2011, alte Schmiede in Wien. Schwarze Eisen, Gewölbe und Ambos, Werkzeug an den Wänden, dazwischen wir Lesenden, vor uns das Publikum auf seiner Tribüne. Warst Du nervös? Ich war es bestimmt.

ein bekanntes Gesicht
belassen, lichtvoll
versteht sich sofort
auf Freundschaft

Jetzt ist es so. Wir gehen zwischen den Feldern unsere Wege, lauschen einander, stützen einander, mögen einander. Du lachst, weil ich jeden Hund, der uns begegnet, grüßen muss. Ich lächle, weil Du Marmeladen einkochst und alle Gläser verschenkst. 

ein Verständnis
aus dem Tagwerk
des Schreibens
erspürt

Aus unserer Nähe und unseren Distanzen haben sich Räume ergeben. Den Entschluss, einen davon so zu nützen, wie wir es tun, verdank ich Dir. Eine Ahnung von früher. Das Gastzimmer voll, an Stelle von Wirtshausgeräuschen (Geschirr auf Geschirr, Glas an Glas) das Umblättern von Buchseiten.

ein Schwingen
unter Anverwandten
im Gleichschritt
an der Zeit gesägt

Im Kaffeehaus sitzen wir auf unseren Plätzen. Du mir gegenüber, eine Nische im Durchgang, nicht ganz drinnen und nicht wirklich draußen. Den Kellnerinnen vertraut, und der Strohhalm zu Deinem Café Latte ist mittlerweile Geschichte. Oder auch nicht. Eferding ist ein Überraschungspaket.

im Herz
ein Talisman
aus off‘nem Blick
und lauschend‘ Ohr

Wir zwei reisen unterschiedlich. An Orte, im Schreiben, in Projekten. Wir kommen dort, wo wir hinwollen, wo es uns hinzieht, auf andere Art an. In anderer Form. (Welche Musik hörst Du? Ich weiß es kaum. Kann das sein?) Dass auch Du unterwegs bist, in einer parallelen Welt, ist gut. 

eine Rückkehr
in die vertrauen Worte
ein weiches Nest
aus Vorsicht und Behaglichkeit

 


Kurzinterview mit den Autorinnen

Was kann Literatur? 
Karin Peschka: Ist dazu nicht schon alles gesagt? Spontan habe ich geschrieben und gleich wieder gelöscht: „Nix und viel.“ Jetzt steht es doch wieder da. Vielleicht stimmt es ohnehin.
Marianne Jungmaier: Berühren, verstören. Im besten Fall inspirieren.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich / euch?
KP: In meinen ersten Jahren in Wien war ein Café in der Otto-Bauer-Gasse mein erweitertes Wohnzimmer, da gleich ums Eck und daheim wenig Ruhe. Jetzt gehe ich eher nur zum Lesen und Mails-beantworten ins Kaffeehaus. Im Eferdinger Kaffeehaus Vogl arbeite ich nicht, sondern halte Hof. (Ein Scherz.)
MJ: Freundinnen und Kolleginnen treffen. (Männer sind mitgemeint.) Menschen beobachten, versteckt hinter einem Verlängerten und einem großen Glas Wasser. Das Kaffeehaus, besonders jenes in Wien, ist immer auch Heimkehr.

Wo fühlst du dich / euch zu Hause?
KP: Dort, wo ich länger bin. Also im kleinen Eferding und im großen Wien, aber nach vier Wochen Belgrad oder Pristina auch dort.
MJ: An vielen Orten. In Boudhanath, Nordkalifornien, London. Am Almsee, in Gmunden, im Kindheitsdorf. Immer: unter Bäumen.

 

BIO

Karin Peschka, geboren 1967, aufgewachsen in Eferding, Oberösterreich. Lebt und arbeitet in Wien und Eferding. Im Otto Müller Verlag, Salzburg, bisher erschienen: Watschenmann (Roman, 2014), FanniPold (Roman, 2016), Autolyse Wien (Erzählungen, 2017), Putzt euch, tanzt, lacht (Roman, 2020), Dschomba (Roman, 2023). Im Juli 2024, ebendort: Bruckners Affe (Theaterstück & Essay).
www.peschka.at

Marianne Jungmaier, 1985 in Linz (Österreich) geboren. Studierte Digitales Fernsehen, Film- und Kulturwissenschaften, Journalismus. Unterrichtet kreatives Schreiben. Zahlreiche Stipendien und Residencies, u.a. in den USA, Italien, Schottland, Island. Publikationen (Auswahl): Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens (Lyrik, 2024, Otto Müller Verlag), Sommernomaden (Stories, Kremayr & Scheriau, 2016), Das Tortenprotokoll (Roman, Kremayr & Scheriau, 2015).
www.mariannejungmaier.at

Simone Buchholz | Kurhaus, Hamburg

Foto: Alain Barbero | Text: Simone Buchholz

 

Vielleicht ist das Kurhaus mein eigentliches Zuhause, vielleicht bin ich aber auch nur eine Art Möbelstück im Kurhaus, bestimmt werde ich es nie erfahren, denn dein Zuhause sagt dir nicht „ich bin übrigens dein Zuhause!“, und einem Möbelstück sagt niemand „du bist übrigens eine Couch!“.
Für das Zuhause spricht, dass ich jede Ecke des Ladens kenne, dass es mir egal ist, wie ich in welcher Ecke des Ladens aussehe, dass es nur wenige Orte gibt, an denen ich mich so geliebt fühle, und dass mein Vater mich sehr gern im Kurhaus besuchte, um dort heimlich mit mir zu trinken und zu rauchen, als er es noch konnte.
Für das Möbelstück spricht, dass ich den Blick auf die kleine Kreuzung vorm Kurhaus seit über 25 Jahren kenne, und zwar zu jeder Jahreszeit, zu jeder Uhrzeit, und bei jedem Wetter (es ist traumhaft, wenn es schneit und alles ganz still ist, es ist traumhaft, wenn es 30 Grad hat und Hamburg fröhlich durchdreht), und dass ich nirgends sonst so schön unsichtbar und einfach nur anwesend sein kann.
Vielleicht ist es auch egal, was genau das Kurhaus ist oder was genau ich bin, so ein großer Unterschied ist ja nicht zwischen „sich irgendwo zu Hause fühlen“ und „irgendwo irgendein Möbelstück sein“.

 


Interview mit der Autorin

Was kann Literatur?
Simone Buchholz: Gedanken befreien und Herzen öffnen, Literatur ist internationale Antifa.

Welche Bedeutung haben Cafés für dich?
SB: Sie sind die einzigen Lagerfeuer, die wir noch haben.

Wo fühlst du dich zu Hause?
SB: Genau genommen in jeder guten Bar.

 

BIO

Simone Buchholz wurde 1972 in Hanau geboren und ist im Spessart aufgewachsen. 1996 zog sie nach Hamburg, wegen des Wetters. Ihre Romane erscheinen im Suhrkamp Verlag, die Chastity-Riley-Reihe wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis und dem International Dagger Award. Im September 2022 erschien Unsterblich sind nur die anderen.
Simone Buchholz wohnt auf St. Pauli und schreibt regelmäßig die Kolumne Getränkemarkt im SZ-Magazin sowie Texte für die ZEIT.